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Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.

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ein Schauspiel.
Franz unruhig im Zimmer auf und abgehend. Pfaffen-
gewäsche, Pfaffengewäsche!
Moser. Jzt zum erstenmal werden die Schwer-
der einer Ewigkeit durch eure Seele schneiden,
und izt zum erstenmal zu spät. -- Der Gedanke
Gott wekt einen fürchterlichen Nachbar auf, sein
Name heißt Richter. Sehet Moor, ihr habt das
Leben von tausenden an der Spize eures Fingers,
und von diesen tausenden habt ihr neunhundert neun
und neunzig elend gemacht. Euch fehlt zu einem
Nero nur das römische Reich, und nur Peru zu ei-
nem Pizarro. Nun glaubt ihr wol, Gott werde es
zugeben, daß ein einziger Mensch in seiner Welt
wie ein Wütrich hause, und das oberste zu unterst
kehre? Glaubt ihr wol, diese neunhundert und
neun und neunzig seyen nur zum Verderben, nur
zu Puppen eures satanischen Spieles da? Oh
glaubt das nicht! Er wird jede Minute, die ihr ih-
nen getödtet, jede Freude, die ihr ihnen vergiftet,
jede Vollkommenheit, die ihr ihnen versperret habt,
von euch fodern dereinst, und wenn ihr darauf
antwortet, Moor, so sollt ihr gewonnen haben.
Franz. Nichts mehr, kein Wort mehr! willst
du, daß ich deinen schwarzlebrigen Grillen zu Ge-
bot steh?
Moser. Sehet zu, das Schicksaal der Men-
schen stehet unter sich in fürchterlich schönem Gleich-
gewicht. Die Waagschaale dieses Lebens sinkend
wird
N 2
ein Schauſpiel.
Franz unruhig im Zimmer auf und abgehend. Pfaffen-
gewaͤſche, Pfaffengewaͤſche!
Moſer. Jzt zum erſtenmal werden die Schwer-
der einer Ewigkeit durch eure Seele ſchneiden,
und izt zum erſtenmal zu ſpaͤt. — Der Gedanke
Gott wekt einen fuͤrchterlichen Nachbar auf, ſein
Name heißt Richter. Sehet Moor, ihr habt das
Leben von tauſenden an der Spize eures Fingers,
und von dieſen tauſenden habt ihr neunhundert neun
und neunzig elend gemacht. Euch fehlt zu einem
Nero nur das roͤmiſche Reich, und nur Peru zu ei-
nem Pizarro. Nun glaubt ihr wol, Gott werde es
zugeben, daß ein einziger Menſch in ſeiner Welt
wie ein Wuͤtrich hauſe, und das oberſte zu unterſt
kehre? Glaubt ihr wol, dieſe neunhundert und
neun und neunzig ſeyen nur zum Verderben, nur
zu Puppen eures ſataniſchen Spieles da? Oh
glaubt das nicht! Er wird jede Minute, die ihr ih-
nen getoͤdtet, jede Freude, die ihr ihnen vergiftet,
jede Vollkommenheit, die ihr ihnen verſperret habt,
von euch fodern dereinſt, und wenn ihr darauf
antwortet, Moor, ſo ſollt ihr gewonnen haben.
Franz. Nichts mehr, kein Wort mehr! willſt
du, daß ich deinen ſchwarzlebrigen Grillen zu Ge-
bot ſteh?
Moſer. Sehet zu, das Schickſaal der Men-
ſchen ſtehet unter ſich in fuͤrchterlich ſchoͤnem Gleich-
gewicht. Die Waagſchaale dieſes Lebens ſinkend
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[195/0217] ein Schauſpiel. Franz unruhig im Zimmer auf und abgehend. Pfaffen- gewaͤſche, Pfaffengewaͤſche! Moſer. Jzt zum erſtenmal werden die Schwer- der einer Ewigkeit durch eure Seele ſchneiden, und izt zum erſtenmal zu ſpaͤt. — Der Gedanke Gott wekt einen fuͤrchterlichen Nachbar auf, ſein Name heißt Richter. Sehet Moor, ihr habt das Leben von tauſenden an der Spize eures Fingers, und von dieſen tauſenden habt ihr neunhundert neun und neunzig elend gemacht. Euch fehlt zu einem Nero nur das roͤmiſche Reich, und nur Peru zu ei- nem Pizarro. Nun glaubt ihr wol, Gott werde es zugeben, daß ein einziger Menſch in ſeiner Welt wie ein Wuͤtrich hauſe, und das oberſte zu unterſt kehre? Glaubt ihr wol, dieſe neunhundert und neun und neunzig ſeyen nur zum Verderben, nur zu Puppen eures ſataniſchen Spieles da? Oh glaubt das nicht! Er wird jede Minute, die ihr ih- nen getoͤdtet, jede Freude, die ihr ihnen vergiftet, jede Vollkommenheit, die ihr ihnen verſperret habt, von euch fodern dereinſt, und wenn ihr darauf antwortet, Moor, ſo ſollt ihr gewonnen haben. Franz. Nichts mehr, kein Wort mehr! willſt du, daß ich deinen ſchwarzlebrigen Grillen zu Ge- bot ſteh? Moſer. Sehet zu, das Schickſaal der Men- ſchen ſtehet unter ſich in fuͤrchterlich ſchoͤnem Gleich- gewicht. Die Waagſchaale dieſes Lebens ſinkend wird N 2

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/217>, abgerufen am 29.03.2024.