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Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.

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ein Schauspiel.
Daniel. Gott erbarme sich meiner.
Franz. Schneebleich stunden alle, ängstlich
klopfte die Erwartung in jeglicher Brust. Da war
mirs, als hört ich meinen Namen zuerst genannt
aus den Wettern des Berges, und mein innerstes
Mark gefror in mir, und meine Zähne klapperten
laut. Schnell begonn die Waage zu klingen, zu
donnern der Fels, und die Stunden zogen vorüber,
eine nach der andern an der links hangenden Schaa-
le, und eine nach der andern warf eine Todsünde
hinein --
Daniel. Oh Gott vergeb euch!
Franz. Das that er nicht! -- die Schaale
wuchs zu einem Gebirge, aber die andere voll vom
Blut der Versöhnung hielt sie noch immer hoch in
den Lüften -- zulezt kam ein alter Mann, schwer
gebeuget von Gram, angebissen den Arm von wü-
tendem Hunger, aller Augen wanden sich scheu vor
dem Mann, ich kannte den Mann, er schnitt eine
Locke von seinem silbernen Haupthaar, warf sie
hinein in die Schaale der Sünden, und siehe, sie
sank, sank plötzlich zum Abgrund, und die Schaa-
le der Versöhnung flatterte hoch auf! -- Da hört
ich eine Stimme schallen aus dem Rauche des
Felsen: Gnade, Gnade jedem Sünder der Erde
und des Abgrunds! du allein bist verworfen! --
Tiefe Pause. Nun, warum lachst du nicht?
Da-
ein Schauſpiel.
Daniel. Gott erbarme ſich meiner.
Franz. Schneebleich ſtunden alle, aͤngſtlich
klopfte die Erwartung in jeglicher Bruſt. Da war
mirs, als hoͤrt ich meinen Namen zuerſt genannt
aus den Wettern des Berges, und mein innerſtes
Mark gefror in mir, und meine Zaͤhne klapperten
laut. Schnell begonn die Waage zu klingen, zu
donnern der Fels, und die Stunden zogen voruͤber,
eine nach der andern an der links hangenden Schaa-
le, und eine nach der andern warf eine Todſuͤnde
hinein —
Daniel. Oh Gott vergeb euch!
Franz. Das that er nicht! — die Schaale
wuchs zu einem Gebirge, aber die andere voll vom
Blut der Verſoͤhnung hielt ſie noch immer hoch in
den Luͤften — zulezt kam ein alter Mann, ſchwer
gebeuget von Gram, angebiſſen den Arm von wuͤ-
tendem Hunger, aller Augen wanden ſich ſcheu vor
dem Mann, ich kannte den Mann, er ſchnitt eine
Locke von ſeinem ſilbernen Haupthaar, warf ſie
hinein in die Schaale der Suͤnden, und ſiehe, ſie
ſank, ſank ploͤtzlich zum Abgrund, und die Schaa-
le der Verſoͤhnung flatterte hoch auf! — Da hoͤrt
ich eine Stimme ſchallen aus dem Rauche des
Felſen: Gnade, Gnade jedem Suͤnder der Erde
und des Abgrunds! du allein biſt verworfen! —
Tiefe Pauſe. Nun, warum lachſt du nicht?
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[189/0211] ein Schauſpiel. Daniel. Gott erbarme ſich meiner. Franz. Schneebleich ſtunden alle, aͤngſtlich klopfte die Erwartung in jeglicher Bruſt. Da war mirs, als hoͤrt ich meinen Namen zuerſt genannt aus den Wettern des Berges, und mein innerſtes Mark gefror in mir, und meine Zaͤhne klapperten laut. Schnell begonn die Waage zu klingen, zu donnern der Fels, und die Stunden zogen voruͤber, eine nach der andern an der links hangenden Schaa- le, und eine nach der andern warf eine Todſuͤnde hinein — Daniel. Oh Gott vergeb euch! Franz. Das that er nicht! — die Schaale wuchs zu einem Gebirge, aber die andere voll vom Blut der Verſoͤhnung hielt ſie noch immer hoch in den Luͤften — zulezt kam ein alter Mann, ſchwer gebeuget von Gram, angebiſſen den Arm von wuͤ- tendem Hunger, aller Augen wanden ſich ſcheu vor dem Mann, ich kannte den Mann, er ſchnitt eine Locke von ſeinem ſilbernen Haupthaar, warf ſie hinein in die Schaale der Suͤnden, und ſiehe, ſie ſank, ſank ploͤtzlich zum Abgrund, und die Schaa- le der Verſoͤhnung flatterte hoch auf! — Da hoͤrt ich eine Stimme ſchallen aus dem Rauche des Felſen: Gnade, Gnade jedem Suͤnder der Erde und des Abgrunds! du allein biſt verworfen! — Tiefe Pauſe. Nun, warum lachſt du nicht? Da-

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/211>, abgerufen am 29.03.2024.