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Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792.

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muthlosen Abzug. Noch in derselben Nacht brach er, ehe noch ein feindlicher Soldat über den Lechstrom gesetzt hatte, sein Lager ab, und ohne dem Könige Zeit zu lassen, ihn auf seinem Marsch zu beunruhigen, hatte er sich in bester Ordnung nach Neuburg und Ingolstadt gezogen. Mit Befremdung sahe Gustav Adolph, der am folgenden Tage den Uebergang vollführte, das feindliche Lager leer, und die Flucht des Churfürsten erregte seine Verwunderung noch mehr, als er die Festigkeit des verlassenen Lagers entdeckte. "Wär' ich der Bayer gewesen," rief er erstaunt aus, "nimmermehr - und hätte mir auch eine Stückkugel Bart und Kinn weggenommen - nimmermehr würde ich einen Posten, wie dieser da, verlassen und dem Feind meine Staaten geöffnet haben."

Jetzt also lag Bayern dem Sieger offen, und die Kriegesflut, die bis jetzt nur an den Grenzen dieses Landes gestürmt hatte, wälzte sich zum erstenmal über seine lange verschonten gesegneten Fluren. Bevor sich aber der König an Eroberung dieses feindlich gesinnten Landes wagte, entriß er erst die Reichsstadt Augsburg dem Bayrischen Joche, nahm ihre Bürger in Pflichten, und versicherte sich ihrer Treue durch eine zurückgelaßne Besatzung. Darauf rückte er in beschleunigten Märschen gegen Ingolstadt an, um durch Einnahme dieser wichtigen Festung, welche der Churfürst mit einem großen Theile seines Heeres deckte, seine Eroberungen in Bayern zu sichern, und festen Fuß an der Donau zu fassen.

Bald nach seiner Ankunft vor Ingolstadt, beschloß der verwundete Tilly in den Mauern dieser Stadt seine Laufbahn, an welcher das untreue Glück alle seine Launen erschöpft hatte. Von der überlegenen Feldherrngröße Gustav Adolphs zermalmt, sah er am Abend seiner Tage alle Lorbeern seiner frühern Siege dahin welken, und befriedigte durch eine Kette von Widerwärtigkeiten die Gerechtigkeit des Schicksals und Magdeburgs zürnende Manen. In ihm verlor die

muthlosen Abzug. Noch in derselben Nacht brach er, ehe noch ein feindlicher Soldat über den Lechstrom gesetzt hatte, sein Lager ab, und ohne dem Könige Zeit zu lassen, ihn auf seinem Marsch zu beunruhigen, hatte er sich in bester Ordnung nach Neuburg und Ingolstadt gezogen. Mit Befremdung sahe Gustav Adolph, der am folgenden Tage den Uebergang vollführte, das feindliche Lager leer, und die Flucht des Churfürsten erregte seine Verwunderung noch mehr, als er die Festigkeit des verlassenen Lagers entdeckte. „Wär’ ich der Bayer gewesen,“ rief er erstaunt aus, „nimmermehr – und hätte mir auch eine Stückkugel Bart und Kinn weggenommen – nimmermehr würde ich einen Posten, wie dieser da, verlassen und dem Feind meine Staaten geöffnet haben.“

Jetzt also lag Bayern dem Sieger offen, und die Kriegesflut, die bis jetzt nur an den Grenzen dieses Landes gestürmt hatte, wälzte sich zum erstenmal über seine lange verschonten gesegneten Fluren. Bevor sich aber der König an Eroberung dieses feindlich gesinnten Landes wagte, entriß er erst die Reichsstadt Augsburg dem Bayrischen Joche, nahm ihre Bürger in Pflichten, und versicherte sich ihrer Treue durch eine zurückgelaßne Besatzung. Darauf rückte er in beschleunigten Märschen gegen Ingolstadt an, um durch Einnahme dieser wichtigen Festung, welche der Churfürst mit einem großen Theile seines Heeres deckte, seine Eroberungen in Bayern zu sichern, und festen Fuß an der Donau zu fassen.

Bald nach seiner Ankunft vor Ingolstadt, beschloß der verwundete Tilly in den Mauern dieser Stadt seine Laufbahn, an welcher das untreue Glück alle seine Launen erschöpft hatte. Von der überlegenen Feldherrngröße Gustav Adolphs zermalmt, sah er am Abend seiner Tage alle Lorbeern seiner frühern Siege dahin welken, und befriedigte durch eine Kette von Widerwärtigkeiten die Gerechtigkeit des Schicksals und Magdeburgs zürnende Manen. In ihm verlor die

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[271/0279] muthlosen Abzug. Noch in derselben Nacht brach er, ehe noch ein feindlicher Soldat über den Lechstrom gesetzt hatte, sein Lager ab, und ohne dem Könige Zeit zu lassen, ihn auf seinem Marsch zu beunruhigen, hatte er sich in bester Ordnung nach Neuburg und Ingolstadt gezogen. Mit Befremdung sahe Gustav Adolph, der am folgenden Tage den Uebergang vollführte, das feindliche Lager leer, und die Flucht des Churfürsten erregte seine Verwunderung noch mehr, als er die Festigkeit des verlassenen Lagers entdeckte. „Wär’ ich der Bayer gewesen,“ rief er erstaunt aus, „nimmermehr – und hätte mir auch eine Stückkugel Bart und Kinn weggenommen – nimmermehr würde ich einen Posten, wie dieser da, verlassen und dem Feind meine Staaten geöffnet haben.“ Jetzt also lag Bayern dem Sieger offen, und die Kriegesflut, die bis jetzt nur an den Grenzen dieses Landes gestürmt hatte, wälzte sich zum erstenmal über seine lange verschonten gesegneten Fluren. Bevor sich aber der König an Eroberung dieses feindlich gesinnten Landes wagte, entriß er erst die Reichsstadt Augsburg dem Bayrischen Joche, nahm ihre Bürger in Pflichten, und versicherte sich ihrer Treue durch eine zurückgelaßne Besatzung. Darauf rückte er in beschleunigten Märschen gegen Ingolstadt an, um durch Einnahme dieser wichtigen Festung, welche der Churfürst mit einem großen Theile seines Heeres deckte, seine Eroberungen in Bayern zu sichern, und festen Fuß an der Donau zu fassen. Bald nach seiner Ankunft vor Ingolstadt, beschloß der verwundete Tilly in den Mauern dieser Stadt seine Laufbahn, an welcher das untreue Glück alle seine Launen erschöpft hatte. Von der überlegenen Feldherrngröße Gustav Adolphs zermalmt, sah er am Abend seiner Tage alle Lorbeern seiner frühern Siege dahin welken, und befriedigte durch eine Kette von Widerwärtigkeiten die Gerechtigkeit des Schicksals und Magdeburgs zürnende Manen. In ihm verlor die

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_krieg_1792/279>, abgerufen am 22.11.2024.