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Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792.

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oder haftete es an dem Blute? Die Stiftungen waren an die katholische Kirche geschehen, weil damals noch keine andre vorhanden war; an den erstgebornen Bruder, weil er damals noch der einzige Sohn war. Galt nun in der Kirche ein Recht der Erstgeburt, wie in adelichen Geschlechtern? Galt die Begünstigung des einen Theils, wenn ihm der andre noch nicht gegenüber stehen konnte? Konnten die Lutheraner von dem Genuß dieser Güter ausgeschlossen seyn, an denen doch ihre Vorfahren mit stiften halfen, bloß allein deswegen ausgeschlossen seyn, weil zu den Zeiten der Stiftung noch kein Unterschied zwischen Lutheranern und Katholischen Statt fand? Beyde Religionspartheyen haben über diese Streitsache mit scheinbaren Gründen gegen einander gerechtet, und rechten noch immer; aber es dürfte dem einen Theile so schwer fallen als dem andern, sein Recht zu erweisen. Das Recht hat nur Entscheidungen für denkbare Fälle, und vielleicht gehören geistliche Stiftungen nicht unter diese; zum wenigsten dann nicht, wenn man die Foderungen ihrer Stifter auch auf dogmatische Säze erstreckt - wie ist es denkbar, eine ewige Schenkung an eine wandelbare Meinung zu machen?

Wenn das Recht nicht entscheiden kann, so thut es die Stärke, und so geschah es hier. Der eine Theil behielt, was ihm nicht mehr zu nehmen war; der andre vertheidigte, was er noch hatte. Alle vor dem Frieden weltlich gemachte Bißthümer und Abteyen verblieben den Protestanten; aber die Papisten verwahrten sich in einem eigenen Vorbehalt, daß künftig keine mehr weltlich gemacht würden. Jeder Besizer eines geistlichen Stiftes, das dem Reich unmittelbar unterworfen war, Churfürst, Bischof oder Abt, hat seine Benefizien und Würden verwirkt, sobald er zur protestantischen Kirche abfällt. Sogleich muß er seine Besizungen räumen, und das Kapitel schreitet zu einer neuen Wahl, gleich als wäre seine

oder haftete es an dem Blute? Die Stiftungen waren an die katholische Kirche geschehen, weil damals noch keine andre vorhanden war; an den erstgebornen Bruder, weil er damals noch der einzige Sohn war. Galt nun in der Kirche ein Recht der Erstgeburt, wie in adelichen Geschlechtern? Galt die Begünstigung des einen Theils, wenn ihm der andre noch nicht gegenüber stehen konnte? Konnten die Lutheraner von dem Genuß dieser Güter ausgeschlossen seyn, an denen doch ihre Vorfahren mit stiften halfen, bloß allein deswegen ausgeschlossen seyn, weil zu den Zeiten der Stiftung noch kein Unterschied zwischen Lutheranern und Katholischen Statt fand? Beyde Religionspartheyen haben über diese Streitsache mit scheinbaren Gründen gegen einander gerechtet, und rechten noch immer; aber es dürfte dem einen Theile so schwer fallen als dem andern, sein Recht zu erweisen. Das Recht hat nur Entscheidungen für denkbare Fälle, und vielleicht gehören geistliche Stiftungen nicht unter diese; zum wenigsten dann nicht, wenn man die Foderungen ihrer Stifter auch auf dogmatische Säze erstreckt – wie ist es denkbar, eine ewige Schenkung an eine wandelbare Meinung zu machen?

Wenn das Recht nicht entscheiden kann, so thut es die Stärke, und so geschah es hier. Der eine Theil behielt, was ihm nicht mehr zu nehmen war; der andre vertheidigte, was er noch hatte. Alle vor dem Frieden weltlich gemachte Bißthümer und Abteyen verblieben den Protestanten; aber die Papisten verwahrten sich in einem eigenen Vorbehalt, daß künftig keine mehr weltlich gemacht würden. Jeder Besizer eines geistlichen Stiftes, das dem Reich unmittelbar unterworfen war, Churfürst, Bischof oder Abt, hat seine Benefizien und Würden verwirkt, sobald er zur protestantischen Kirche abfällt. Sogleich muß er seine Besizungen räumen, und das Kapitel schreitet zu einer neuen Wahl, gleich als wäre seine

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[14/0022] oder haftete es an dem Blute? Die Stiftungen waren an die katholische Kirche geschehen, weil damals noch keine andre vorhanden war; an den erstgebornen Bruder, weil er damals noch der einzige Sohn war. Galt nun in der Kirche ein Recht der Erstgeburt, wie in adelichen Geschlechtern? Galt die Begünstigung des einen Theils, wenn ihm der andre noch nicht gegenüber stehen konnte? Konnten die Lutheraner von dem Genuß dieser Güter ausgeschlossen seyn, an denen doch ihre Vorfahren mit stiften halfen, bloß allein deswegen ausgeschlossen seyn, weil zu den Zeiten der Stiftung noch kein Unterschied zwischen Lutheranern und Katholischen Statt fand? Beyde Religionspartheyen haben über diese Streitsache mit scheinbaren Gründen gegen einander gerechtet, und rechten noch immer; aber es dürfte dem einen Theile so schwer fallen als dem andern, sein Recht zu erweisen. Das Recht hat nur Entscheidungen für denkbare Fälle, und vielleicht gehören geistliche Stiftungen nicht unter diese; zum wenigsten dann nicht, wenn man die Foderungen ihrer Stifter auch auf dogmatische Säze erstreckt – wie ist es denkbar, eine ewige Schenkung an eine wandelbare Meinung zu machen? Wenn das Recht nicht entscheiden kann, so thut es die Stärke, und so geschah es hier. Der eine Theil behielt, was ihm nicht mehr zu nehmen war; der andre vertheidigte, was er noch hatte. Alle vor dem Frieden weltlich gemachte Bißthümer und Abteyen verblieben den Protestanten; aber die Papisten verwahrten sich in einem eigenen Vorbehalt, daß künftig keine mehr weltlich gemacht würden. Jeder Besizer eines geistlichen Stiftes, das dem Reich unmittelbar unterworfen war, Churfürst, Bischof oder Abt, hat seine Benefizien und Würden verwirkt, sobald er zur protestantischen Kirche abfällt. Sogleich muß er seine Besizungen räumen, und das Kapitel schreitet zu einer neuen Wahl, gleich als wäre seine

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_krieg_1792/22>, abgerufen am 24.04.2024.