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Schiller, Friedrich: Kabale und Liebe. Mannheim, 1784.

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den (sie steht nachdenkend) Als ich ihn das erstemal
sah -- (rascher) und mir das Blut in die Wangen
stieg, froher jagten alle Pulse, jede Wallung sprach,
jeder Athem lispelte: Er ists, und mein Herz den
Immermangelnden erkannte, bekräftigte, Er ists,
und wie das wiederklang durch die ganze mitfreuen-
de Welt. Damals -- o damals gieng in meiner
Seele der erste Morgen auf. Tausend junge Gefühle
schoßen aus meinem Herzen, wie die Blumen aus
dem Erdreich, wenns Frühling wird. Ich sah kei-
ne Welt mehr, und doch besinn ich mich, daß sie
niemals so schön war. Ich wußte von keinem Gott
mehr, und doch hatt' ich ihn nie so geliebt.

Miller. (eilt auf sie zu, drükt sie wider seine Brust)
Louise -- theures -- herrliches Kind -- Nimm mei-
nen alten mürben Kopf -- nimm alles -- alles! --
den Maior -- Gott ist mein Zeuge -- ich kann dir ihn
nimmer geben. (er geht ab)
Louise. Auch will ich ihn ja jezt nicht mein
Vater. Dieser karge Thautropfe Zeit -- schon ein
Traum von Ferdinand trinkt ihn wollüstig auf. Ich
entsag ihm für dieses Leben. Dann, Mutter --
dann, wenn die Schranken des Unterschieds einstür-
zen -- wenn von uns abspringen all die verhaßte Hül-
sen des Standes -- Menschen nur Menschen sind --
Ich bringe nichts mit mir, als meine Unschuld, aber
der Vater hat ja so oft gesagt, daß der Schmuk und
die prächtigen Titel wolfeil werden wenn Gott
kommt, und die Herzen im Preise steigen. Ich wer-
de
den (ſie ſteht nachdenkend) Als ich ihn das erſtemal
ſah — (raſcher) und mir das Blut in die Wangen
ſtieg, froher jagten alle Pulſe, jede Wallung ſprach,
jeder Athem liſpelte: Er iſts, und mein Herz den
Immermangelnden erkannte, bekraͤftigte, Er iſts,
und wie das wiederklang durch die ganze mitfreuen-
de Welt. Damals — o damals gieng in meiner
Seele der erſte Morgen auf. Tauſend junge Gefuͤhle
ſchoßen aus meinem Herzen, wie die Blumen aus
dem Erdreich, wenns Fruͤhling wird. Ich ſah kei-
ne Welt mehr, und doch beſinn ich mich, daß ſie
niemals ſo ſchoͤn war. Ich wußte von keinem Gott
mehr, und doch hatt' ich ihn nie ſo geliebt.

Miller. (eilt auf ſie zu, druͤkt ſie wider ſeine Bruſt)
Louiſe — theures — herrliches Kind — Nimm mei-
nen alten muͤrben Kopf — nimm alles — alles! —
den Maior — Gott iſt mein Zeuge — ich kann dir ihn
nimmer geben. (er geht ab)
Louiſe. Auch will ich ihn ja jezt nicht mein
Vater. Dieſer karge Thautropfe Zeit — ſchon ein
Traum von Ferdinand trinkt ihn wolluͤſtig auf. Ich
entſag ihm fuͤr dieſes Leben. Dann, Mutter —
dann, wenn die Schranken des Unterſchieds einſtuͤr-
zen — wenn von uns abſpringen all die verhaßte Huͤl-
ſen des Standes — Menſchen nur Menſchen ſind —
Ich bringe nichts mit mir, als meine Unſchuld, aber
der Vater hat ja ſo oft geſagt, daß der Schmuk und
die praͤchtigen Titel wolfeil werden wenn Gott
kommt, und die Herzen im Preiſe ſteigen. Ich wer-
de
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[14/0018] den (ſie ſteht nachdenkend) Als ich ihn das erſtemal ſah — (raſcher) und mir das Blut in die Wangen ſtieg, froher jagten alle Pulſe, jede Wallung ſprach, jeder Athem liſpelte: Er iſts, und mein Herz den Immermangelnden erkannte, bekraͤftigte, Er iſts, und wie das wiederklang durch die ganze mitfreuen- de Welt. Damals — o damals gieng in meiner Seele der erſte Morgen auf. Tauſend junge Gefuͤhle ſchoßen aus meinem Herzen, wie die Blumen aus dem Erdreich, wenns Fruͤhling wird. Ich ſah kei- ne Welt mehr, und doch beſinn ich mich, daß ſie niemals ſo ſchoͤn war. Ich wußte von keinem Gott mehr, und doch hatt' ich ihn nie ſo geliebt. Miller. (eilt auf ſie zu, druͤkt ſie wider ſeine Bruſt) Louiſe — theures — herrliches Kind — Nimm mei- nen alten muͤrben Kopf — nimm alles — alles! — den Maior — Gott iſt mein Zeuge — ich kann dir ihn nimmer geben. (er geht ab) Louiſe. Auch will ich ihn ja jezt nicht mein Vater. Dieſer karge Thautropfe Zeit — ſchon ein Traum von Ferdinand trinkt ihn wolluͤſtig auf. Ich entſag ihm fuͤr dieſes Leben. Dann, Mutter — dann, wenn die Schranken des Unterſchieds einſtuͤr- zen — wenn von uns abſpringen all die verhaßte Huͤl- ſen des Standes — Menſchen nur Menſchen ſind — Ich bringe nichts mit mir, als meine Unſchuld, aber der Vater hat ja ſo oft geſagt, daß der Schmuk und die praͤchtigen Titel wolfeil werden wenn Gott kommt, und die Herzen im Preiſe ſteigen. Ich wer- de

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Kabale und Liebe. Mannheim, 1784, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_kabale_1784/18>, abgerufen am 25.04.2024.