Erſte Szene.
Saal beim Praͤſidenten.
Der Praͤſident und Sekretair Wurm kommen.
Praͤſident. Der Streich war verwuͤnſcht.
Wurm. Wie ich befuͤrchtete gnaͤdiger Herr.
Zwang erbittert die Schwaͤrmer immer, aber be-
kehrt ſie nie.
Praͤſident. Ich hatte mein beſtes Vertrauen in
dieſen Anſchlag geſezt. Ich urtheilte ſo: Wenn das
Maͤdchen beſchimpft wird, muß er, als Offizier,
zuruͤktreten.
Wurm. Ganz vortreflich. Aber zum Be-
ſchimpfen haͤtt' es auch kommen ſollen.
Praͤſident. Und doch — wenn ich es jezt mit
kaltem Blut uͤberdenke — Ich haͤtte mich nicht ſollen
eintreiben laſſen. Es war eine Drohung, woraus
er wol nimmermehr Ernſt gemacht haͤtte.
Wurm. Das denken Sie ja nicht. Der gereiz-
ten Leidenſchaft iſt keine Thorheit zu bunt. Sie ſa-
gen mir, der Herr Major habe immer den Kopf zu
ihrer Regierung geſchuͤttelt. Ich glaubs. Die
Grundſaͤze, die er aus Akademien hieherbrachte,
wollten mir gleich nicht recht einleuchten. Was ſol-
E 3 ten
ten auch die fantaſtiſchen Traͤumereien von Seelen-
groͤße und perſoͤnlichem Adel an einem Hof, wo die
groͤſte Weisheit diejenige iſt, im rechten Tempo, auf
eine geſchikte Art, Gros und Klein zu ſeyn. Er iſt
zu jung und zu feurig, um Geſchmak am langſamen
krummen Gang der Kabale zu finden, und nichts
wird ſeine Ambizion in Bewegung ſezen, als was
gros iſt und abenteuerlich.
Praͤſident. (verdruͤßlich) Aber was wird dieſe
wohlweiſe Anmerkung an unſerm Handel verbeſſern?
Wurm. Sie wird Ewr. Exzellenz auf die Wun-
de hin weiſen, und auch vielleicht auf den Verband.
Einen ſolchen Karakter — erlauben Sie — haͤtte
man entweder nie zum Vertrauten, oder niemals
zum Feind machen ſollen. Er verabſcheut das Mit-
tel, wodurch Sie geſtiegen ſind. Vielleicht war es
bis jezt nur der Sohn, der die Zunge des Verraͤ-
thers band. Geben Sie ihm Gelegenheit, jenen
rechtmaͤßig abzuſchuͤtteln. Machen Sie ihn durch wie-
derholte Stuͤrme auf ſeine Leidenſchaft glauben,
daß Sie der zaͤrtliche Vater nicht ſind, ſo dringen
die Pflichten des Patrioten bei ihm vor. Ja, ſchon
allein die ſeltſame Phantaſie, der Gerechtigkeit ein
ſo merkwuͤrdiges Opfer zu bringen, koͤnnte Reiz ge-
nug fuͤr ihn haben, ſelbſt ſeinen Vater zu ſtuͤrzen.
Praͤſident. Wurm — Wurm — Er fuͤhrt mich
da vor einen entſezlichen Abgrund.
Wurm. Ich will Sie zuruͤkfuͤhren, gnaͤdiger
Herr. Darf ich freymuͤtig reden?
Praͤſident.
Praͤſident. (indem er ſich niederſezt) Wie ein
Verdammter zum Mitverdammten.
Wurm. Alſo verzeihen Sie — Sie haben,
duͤnkt mich, der biegſamen Hofkunſt den ganzen
Praͤſidenten zu danken, warum vertrauten Sie ihr
nicht auch den Vater an? Ich beſinne mich, mit
welcher Offenheit Sie ihren Vorgaͤnger damals zu
einer Partie Piquet beredeten, und bey ihm die hal-
be Nacht mit freundſchaftlichem Burgunder hinweg-
ſchwemmten, und das war doch die naͤmliche Nacht
wo die groſe Mine losgehen, und den guten Mann
in die Luft blaſen ſolte — Warum zeigten Sie ih-
rem Sohne den Feind? Nimmermehr haͤtte dieſer
erfahren ſollen, daß ich um ſeine Liebesangelegenheit
wiſſe. Sie haͤtten den Roman von Seiten des
Maͤdchens unterhoͤlt, und das Herz ihres Sohnes
behalten. Sie haͤtten den klugen General geſpielt,
der den Feind nicht am Kern ſeiner Truppen faßt,
ſondern Spaltungen unter den Gliedern ſtiftet.
Praͤſident. Wie war das zu machen?
Wurm. Auf die einfachſte Art — und die
Karten ſind noch nicht ganz vergeben. Unterdruͤken
Sie eine Zeitlang, daß Sie Vater ſind. Meſſen
Sie ſich mit einer Leidenſchaft nicht, die jeder Wi-
ſtand nur maͤchtiger machte — Ueberlaſſen Sie es
mir, an ihrem eigenen Feuer den Wurm auszubruͤ-
ten, der ſie zerfrißt.
Praͤſident. Ich bin begierig.
E 4 Wurm.
Wurm. Ich muͤßte mich ſchlecht auf den Baro-
meter der Seele verſtehen, oder der Herr Major iſt
in der Eiferſucht ſchreklich, wie in der Liebe. Ma-
chen Sie ihm das Maͤdchen verdaͤchtig — — Wahr-
ſcheinlich oder nicht. Ein Gran Hefe reicht hin,
die ganze Maſſe in eine zerſtoͤrende Gaͤhrung zu jagen.
Praͤſident. Aber woher dieſen Gran nehmen?
Wurm. Da ſind wir auf dem Punkt — Vor
allen Dingen, gnaͤdiger Herr, erklaͤren Sie ſich mir,
wie viel Sie bei der fernern Weigerung des Majors
auf dem Spiel haben — in welchem Grade es ih-
nen wichtig iſt, den Roman mit dem Buͤrgermaͤd-
chen zu endigen, und die Verbindung mit Lady
Milford zu Stand zu bringen?
Praͤſident. Kann er noch fragen Wurm? —
Mein ganzer Einfluß iſt in Gefahr, wenn die Par-
thie mit der Lady zuruͤkgeht, und wenn ich den Ma-
jor zwinge, mein Hals.
Wurm. (munter) Jezt haben Sie die Gnade
und hoͤren. — Den Herrn Major umſpinnen wir
mit Liſt. Gegen das Maͤdchen nehmen wir ihre
ganze Gewalt zu Hilfe.Wir diktieren ihr
ein Billetdoux an eine dritte Perſon
in die Feder, und ſpielen das mit gu-
ter Art dem Major in die Haͤnde.
Praͤſident. Toller Einfall! Als ob Sie ſich ſo
geſchwind hin bequemen wuͤrde, ihr eigenes Todesur-
theil zu ſchreiben?
Wurm.
Wurm. Sie muß, wenn Sie mir freie Hand
laſſen wollen. Ich kenne das gute Herz auf und
nieder. Sie hat nicht mehr als zwo toͤdliche Sei-
ten, durch welche wir ihr Gewiſſen beſtuͤrmen koͤn-
nen — ihren Vater und den Major. Der leztere
bleibt ganz und gar aus dem Spiel, deſto freier
koͤnnen wir mit dem Muſikanten umſpringen.
Praͤſident. Als zum Exempel?
Wurm. Nach dem, was Ewr. Exzellenz mir
von dem Auftritt in ſeinem Hauſe geſagt haben,
wird nichts leichter ſeyn, als den Vater mit einen
Halsprozeß zu bedrohen. Die Perſon des Guͤnſt-
lings und Siegelbewahrers iſt gewiſſermaſen der
Schatten der Majeſtaͤt — Beleidigungen gegen je-
nen ſind Verlezungen dieſer — Wenigſtens will ich
den armen Schaͤcher mit dieſem zuſammengeflikten
Kobold durch ein Nadeloͤhr jagen.
Praͤſident. Doch — ernſthaft duͤrfte der Han-
del nicht werden.
Wurm. Ganz und gar nicht — Nur in ſo weit
als es noͤtig iſt, die Familie in die Klemme zu trei-
ben — Wir ſezen alſo in aller Stille den Muſikus
feſt — Die Noth um ſo dringender zu machen, koͤnn-
te man auch die Mutter mitnehmen, — ſprechen von
peinlicher Anklage, von Schaffot, von ewiger Ve-
ſtung, und machen den Brief der Tochter zur ein-
zigen Bedingniß ſeiner Befreiung.
Praͤſident. Gut! Gut! Ich verſtehe.
E 5 Wurm.
Wurm. Sie liebt ihren Vater — bis zur Lei-
denſchaft moͤcht ich ſagen. Die Gefahr ſeines Le-
bens — ſeiner Freiheit zum mindeſten — Die Vor-
wuͤrfe ihres Gewiſſens den Anlaß dazu gegeben zu
haben — Die Unmoͤglichkeit, den Major zu beſi-
zen — endlich die Betaͤubung ihres Kopfs, die ich
auf mich nehme — Es kann nicht fehlen — Sie
muß in die Falle gehn.
Praͤſident. Aber mein Sohn? Wird der nicht
auf der Stelle Wind davon haben? Wird er nicht
wuͤtender werden?
Wurm. Das laſſen Sie meine Sorge ſeyn,
gnaͤdiger Herr — Vater und Mutter werden nicht
eher frei gelaſſen, bis die ganze Familie einen koͤr-
perlichen Eid darauf abgelegt, den ganzen Vorgang
geheim zu halten, und den Betrug zu beſtaͤtigen.
Praͤſident. Einen Eid? Was wird ein Eid
fruchten, Dummkopf?
Wurm. Nichts bei uns gnaͤdiger Herr. Bei
dieſer Menſchenart alles — Und ſehen Sie nun,
wie ſchoͤn wir beide auf dieſe Manier zum Ziel kom-
men werden — Das Maͤdchen verliert die Liebe
des Majors, und den Ruf ihrer Tugend. Vater
und Mutter ziehen gelindere Saiten auf, und durch
und durch weich gemacht von Schikſalen dieſer Art,
erkennen ſie's noch zulezt fuͤr Erbarmung, wenn ich
der Tochter durch meine Hand ihre Reputation wie-
der gebe.
Praͤſident.
Praͤſident. (lacht unter Kopfſchuͤtteln) Ja! ich
gebe mich dir uͤberwunden, Schurke. Das Geweb
iſt ſataniſch fein. Der Schuͤler uͤbertrift ſeinen Mei-
ſter — — Nun iſt die Frage, an Wen das Billet
muß gerichtet werden? Mit Wem wir ſie in Ver-
dacht bringen muͤßen?
Wurm. Nothwendig mit jemand, der durch
den Entſchluß Ihres Sohnes alles gewinnen oder alles
verlieren muß.
Praͤſident. (nach einigem Nachdenken) Ich weiß
nur den Hofmarſchall.
Wurm. (zukt die Achſeln) Mein Geſchmak waͤr
er nun freilich nicht, wenn ich Louiſe Millerin hieße.
Praͤſident. Und warum nicht? Wunderlich!
Eine blendende Garderobe — eine Atmosphaͤre von
Eau de mille fleurs und Biſam — auf jedes alberne
Wort eine Handvoll Dukaten — und alles das ſolte
die Delikateſſe einer buͤrgerlichen Dirne nicht endlich
beſtechen koͤnnen? — O guter Freund. So ſcrupuloͤs
iſt die Eiferſucht nicht. Ich ſchike zum Marſchall.
(klingelt)
Wurm. Unterdeſſen, daß Ewr Exzellenz die-
ſes, und die Gefangennehmung des Geigers beſor-
gen, werd ich hingehen, und den bewußten Liebes-
brief aufſezen.
Praͤſident. (zum Schreibpult gehend) Den er
mir zum Durchleſen heraufbringt, ſobald er zu
Stand ſeyn wird. (Wurm geht ab. Der Praͤſident ſezt
ſich
ſich zu ſchreiben; ein Kammerdiener kommt; er ſteht auf,
und gibt ihm ein Papier) Dieſer Verhaftsbefehl muß
ohne Aufſchub in die Gerichte — ein andrer von euch
wird den Hofmarſchall zu mir bitten.
Kammerdiener. Der gnaͤdige Herr ſind ſo
eben hier angefahren.
Praͤſident. Noch beſſer — Aber die Anſtalten
ſollen mit Vorſicht getroffen werden, ſagt ihr, daß
kein Aufſtand erfolgt.
Kammerdiener. Sehr wol, Ihr' Exzellenz.
Praͤſident. Verſteht ihr? Ganz in der Stille.
Kammerdiener. Ganz gut, Ihr' Exzellenz. (ab)
Zweite Szene.
Der Praͤſident und der Hofmarſchall.
Hofmarſchall. (eilfertig) Nur en paſſant mein
Beſter — Wie leben Sie? Wie befinden Sie ſich? —
Heute Abend iſt große Opera Dido — das ſuͤperbeſte
Feuerwerk — eine ganze Stadt brennt zuſammen —
Sie ſehen ſie doch auch brennen? Was?
Praͤſident. Ich habe Feuerwerks genug in mei-
nem eigenen Hause, das meine ganze Herrlichkeit in
die Luft nimmt — Sie kommen erwuͤnſcht, lieber
Marſchall, mir in einer Sache zu rathen, thaͤtig
zu helfen, die uns beide poußiert oder voͤllig zu
Grund richtet. Sezen Sie ſich.
Hofmarſchall. Machen Sie mir nicht Angſt,
mein Suͤßer.
Praͤſident.
Praͤſident. Wie geſagt — poußiert oder ganz
zu Grund richtet. Sie wiſſen mein Projekt mit dem
Major und der Lady. Sie begreifen auch, wie un-
entbehrlich es war, unſer beider Gluͤk zu fixieren.
Es kann alles zuſammenfallen Kalb. Mein Ferdi-
nand will nicht.
Hofmarſchall. Will nicht — will nicht — ich
habs ja in der ganzen Stadt ſchon herumgeſagt.
Die Mariage iſt ja in Jedermanns Munde.
Praͤſident. Sie koͤnnen vor der ganzen Stadt
als Windmacher da ſtehen. Er liebt eine andere.
Hofmarſchall. Sie ſcherzen. Iſt das auch wol
ein Hinderniß?
Praͤſident. Bei dem Trozkopf das unuͤberwind-
lichſte.
Hofmarſchall. Er ſollte ſo wahnſinnig ſeyn,
und ſein Fortune von ſich ſtoßen? Was?
Praͤſident. Fragen Sie ihn das und hoͤren Sie,
was er antwortet.
Hofmarſchall. Aber mon Dieu! Was kann er
denn antworten?
Praͤſident. Daß er der ganzen Welt das Ver-
brechen entdeken wolle, wodurch wir geſtiegen ſind
— daß er unſere falſchen Briefe und Quittungen an-
geben — daß er uns beide an's Meſſer liefern wolle
— Das kann er antworten.
Hofmarſchall. Sind Sie von Sinnen?
Praͤſident. Das hat er geantwortet. Das war
er ſchon Willens ins Werk zu richten — Davon hab
ich
ich ihn kaum noch durch meine hoͤchſte Erniedrigung
abgebracht. Was wiſſen Sie hierauf zu ſagen?
Hofmarſchall. (mit einem Schaafsgeſicht) Mein
Verſtand ſteht ſtill.
Praͤſident. Das koͤnnte noch hingehen. Aber
zugleich hinterbringen mir meine Spionen, daß der
Oberſchenk von Bok auf dem Sprunge ſei, um die
Lady zu werben.
Hofmarſchall. Sie machen mich raſend. Wer
ſagen Sie? Von Bok ſagen Sie? — Wiſſen Sie
denn auch, daß wir Todfeinde zuſammen ſind? Wiſ-
ſen Sie auch, warum wir es ſind?
Praͤſident. Das erſte Wort, das ich hoͤre.
Hofmarſchall. Beſter! Sie werden hoͤren und
aus der Haut werden Sie fahren — Wenn Sie ſich
noch des Hofballs entſinnen — — es geht jezt ins
ein und zwanzigſte Jahr — wiſſen Sie, worauf
man den erſten Engliſchen tanzte, und dem Grafen
von Meerſchaum das heiße Wachs von einem Kron-
leuchter auf den Domino troͤpfelte — Ach Gott! das
muͤßen Sie freilich noch wiſſen!
Praͤſident. Wer koͤnnte ſo was vergeſſen?
Hofmarſchall. Sehen Sie! Da hatte Prinzeſ-
ſin Amalie in der Hize des Tanzes ein Strumpf-
band verloren. — Alles kommt, wie begreiflich iſt,
in Allarm — von Bok und Ich — Wir waren noch
Kammerjunker — wir kriechen durch den ganzen Re-
doutenſaal, das Strumpfband zu ſuchen — endlich
erblik Ichs — von Bok merkts — von Bok darauf
zu
zu — reißt es mir aus den Haͤnden — ich bitte Sie!
— bringts der Prinzeßin und ſchnappt mir gluͤklich
das Kompliment weg — Was denken Sie?
Praͤſident. Impertinent!
Hofmarſchall. Schnappt mir das Kompliment
weg — Ich meyne in Ohnmacht zu ſinken. Eine
ſolche Malice iſt gar nicht erlebt worden. — Endlich
ermann ich mich, naͤhere mich Ihrer Durchlaucht
und ſpreche: Gnaͤdigſte Frau! von Bok war ſo
gluͤklich, Hoͤchſtdenenſelben das Strumpfband zu
uͤberreichen, aber wer das Strumpfband zuerſt er-
blikte, belohnt ſich in der Stille und ſchweigt.
Praͤſident. Bravo Marſchall! Braviſſimo!
Hofmarſchall. Und ſchweigt — Aber ich werds
dem von Bok bis zum juͤngſten Gerichte noch nach-
tragen — der niedertraͤchtige kriechende Schmeichler!
— und das war noch nicht genug — Wie wir beide
zugleich auf das Strumpfband zu Boden fallen,
wiſcht mir von Bok an der rechten Friſur allen Pu-
der weg, und ich bin ruiniert auf den ganzen Ball.
Praͤſident. Das iſt der Mann, der die Mil-
ford heuraten, und die erſte Perſon am Hof wer-
den wird.
Hofmarſchall. Sie ſtoßen mir ein Meſſer ins
Herz. Wird? Wird? Warum wird er? Wo iſt die
Notwendigkeit?
Praͤſident. Weil mein Ferdinand nicht will,
und ſonſt keiner ſich meldet.
Hofmarſchall.
Hofmarſchall. Aber wiſſen Sie denn gar kein
einziges Mittel, den Major zum Entſchluß zu brin-
gen? — — Seys auch noch ſo biſarr! ſo verzwei-
felt! — Was in der Welt kann ſo widrig ſeyn, das
uns jezt nicht willkommen waͤre, den verhaßten von
Bok auszuſtechen?
Praͤſident. Ich weiß nur eines, und das bei
Ihnen ſteht.
Hofmarſchall. Bei mir ſteht? Und das iſt?
Praͤſident. Den Major mit ſeiner Geliebten zu
entzweyen.
Hofmarſchall. Zu entzweyen? Wie meynen
Sie das? — und wie mach ich das?
Praͤſident. Alles iſt gewonnen, ſobald wir ihm
das Maͤdchen verdaͤchtig machen.
Hofmarſchall. Daß ſie ſtehle, meynen Sie?
Praͤſident. Ach Nein doch! Wie glaubte er
das? — daß ſie es noch mit einem andern habe.
Hofmarſchall. Dieſer andre?
Praͤſident. Muͤßten Sie ſeyn, Baron.
Hofmarſchall. Ich ſeyn? Ich? — Iſt ſie von
Adel?
Praͤſident. Wozu das? Welcher Einfall! —
eines Muſikanten Tochter.
Hofmarſchall. Buͤrgerlich alſo? Das wird nicht
angehen. Was?
Praͤſident. Was wird nicht angehen? Narrens-
poſſen! Wem unter der Sonne wird es einfallen,
ein
einfallen, ein paar runde Wangen nach dem Stamm-
baum zu fragen?
Hofmarſchall. Aber bedenken Sie doch, ein
Ehmann! Und meine Reputazion bei Hofe!
Praͤſident. Das iſt was anders. Verzeihen
Sie. Ich hab das noch nicht gewußt, daß Ihnen
der Mann von unbeſcholtenen Sitten mehr iſt als
der von Einfluß. Wollen wir abbrechen?
Hofmarſchall. Seien Sie klug Baron. Es
war ja nicht ſo verſtanden.
Praͤſident. (froſtig) Nein — nein! Sie haben
vollkommen recht. Ich bin es auch muͤde. Ich laſſe
den Karren ſtehen. Dem von Bok wuͤnſch ich Gluͤk
zum Premierminiſter. Die Welt iſt noch anderswo.
Ich fodre meine Entlaſſung vom Herzog.
Hofmarſchall. Und Ich: — Sie haben gut
ſchwazen, Sie! Sie ſind ein Stuttierter! Aber Ich:
— Mon Dieu! Was bin dann ich, wenn mich Sei-
ne Durchleucht entlaſſen?
Praͤſident. Ein Bonmot von Vorgeſtern. Die
Mode vom vorigen Jahr.
Hofmarſchall. Ich beſchwoͤre Sie, Theurer,
Goldner! — Erſtiken Sie dieſen Gedanken! Ich
will mir ja alles gefallen laſſen.
Praͤſident. Wollen Sie ihren Namen zu einem
Rendezvous hergeben, den Ihnen dieſe Millerin
ſchriftlich vorſchlagen ſoll?
Hofmarſchall. Im Namen Gottes! Ich will
ihn hergeben.
F Praͤſi-
Praͤſident. Und den Brief irgend wo heraus-
fallen laßen, wo er dem Major zu Geſicht kom-
men muß.
Hofmarſchall. Zum Exempel auf der Parade
will ich ihn als von Ohngefehr, mit dem Schnupf-
tuch herausſchleudern?
Praͤſident. Und die Rolle ihres Liebhabers ge-
gen den Major behaupten?
Hofmarſchall. Mort de ma vie! Ich will ihn
ſchon waſchen! Ich will dem Naſeweis den Appetit
nach meinen Amouren verleiden.
Praͤſident. Nun gehts nach Wunſch. Der
Brief mus noch heute geſchrieben ſeyn. Sie muͤſſen
vor Abend noch her kommen, ihn abzuholen, und
ihre Rolle mit mir zu berichtigen.
Hofmarſchall. Sobald ich ſechszehn Viſiten
werde gegeben haben, die von allerhoͤchſter Impor-
tance ſind. Verzeihen Sie alſo, wenn ich mich oh-
ne Aufſchub beurlaube (geht)
Praͤſident. (klingelt) Ich zaͤle auf Ihre Ver-
ſchlagenheit, Marſchall.
Hofmarſchall. (ruft zuruͤk) Ah mon Dieu!
Sie kennen mich ja.
Vierte Szene.
Louiſe und Ferdinand.
Louiſe. Ich bitte dich, hoͤre auf. Ich glaube
an keine gluͤkliche Tage mehr. Alle meine Hoffnun-
gen ſind geſunken.
Ferdinand. So ſind die meinigen geſtiegen.
Mein Vater iſt aufgereizt. Mein Vater wird alle
Geſchuͤze gegen uns richten. Er wird mich zwingen,
den unmenſchlichen Sohn zu machen. Ich ſtehe
nicht mehr fuͤr meine kindliche Pflicht. Wut und
Verzweiflung werden mir das ſchwarze Geheimniß
ſeiner Mordthat erpreſſen. Der Sohn wird den
Vater in die Haͤnde des Henkers liefern — Es iſt
F 2 die
die hoͤchſte Gefahr — — und die hoͤchſte Gefahr
mußte da ſeyn, wenn meine Liebe den Rieſenſprung
wagen ſolte. — — Hoͤre Louiſe — ein Gedanke,
gros und vermeſſen wie meine Leidenſchaft draͤngt
ſich vor meine Seele — Du Louiſe und ich und die
Liebe! — Liegt nicht in dieſem Zirkel der ganze
Himmel? oder brauchſt du noch etwas Viertes
dazu?
Louiſe. Brich ab. Nichts mehr. Ich erblaſ-
ſe uͤber das, was du ſagen wilſt.
Ferdinand. Haben wir an die Welt keine Fo-
derung mehr, warum denn ihren Beifall erbetteln?
Warum wagen, wo nichts gewonnen wird und al-
les verloren werden kann? — Wird dieſes Aug
nicht eben ſo ſchmelzend funkeln, ob es im Rhein
oder in der Elbe ſich ſpiegelt oder im baltiſchen
Meer? Mein Vaterland iſt, wo mich Louiſe liebt.
Deine Fußtapfe in wilden ſandigten Wuͤſten mir in-
tereſſanter, als das Muͤnſter in meiner Heimat —
Werden wir die Pracht der Staͤdte vermiſſen? Wo
wir ſeyn moͤgen, Louiſe, geht eine Sonne auf, eine
unter — Schauſpiele, neben welchen der uͤppigſte
Schwung der Kuͤnſte verblaßt. Werden wir Gott
in keinem Tempel mehr dienen, ſo ziehet die Nacht
mit begeiſternden Schauern auf, der wechſelnde
Mond predigt uns Buße, und eine andaͤchtige Kir-
che von Sternen betet mit uns. Werden wir uns
in Geſpraͤchen der Liebe erſchoͤpfen? — Ein Laͤcheln
meiner Louiſe iſt Stoff fuͤr Jahrhunderte, und der
Traum
Traum des Lebens iſt aus, bis ich dieſe Traͤne er-
gruͤnde.
Louiſe. Und haͤtteſt du ſonſt keine Pflicht mehr,
als deine Liebe?
Ferdinand. (ſie umarmend) Deine Ruhe iſt
meine heiligſte.
Louiſe. (ſehr ernſthaft) So ſchweig und verlaß
mich — Ich habe einen Vater, der kein Vermoͤgen
hat, als dieſe einzige Tochter — der morgen ſechzig
alt wird — der der Rache des Praͤſidenten gewiß
iſt. —
Ferdinand. (faͤllt raſch ein) Der uns begleiten
wird. Darum keinen Einwurf mehr, Liebe. Ich
gehe, mache meine Koſtbarkeiten zu Geld, erhebe
Summen auf meinen Vater. Es iſt erlaubt einen
Raͤuber zu pluͤndern, und ſind ſeine Schaͤze nicht
Blutgeld des Vaterlands? — Schlag ein Uhr
um Mitternacht wird ein Wagen hier anfahren. Ihr
werft euch hinein. Wir fliehen.
Louiſe. Und der Fluch deines Vaters uns
nach? — ein Fluch Unbeſonnene, den auch Moͤr-
der nie ohne Erhoͤrung ausſprechen, den die Rache
des Himmels auch dem Dieb auf dem Rade haͤlt,
der uns Fluͤchtlinge, unbarmherzig, wie ein Ge-
ſpenſt, von Meer zu Meer jagen wuͤrde? — Nein
mein Geliebter! Wenn nur ein Frevel dich mir er-
halten kann, ſo hab ich noch Staͤrke, dich zu ver-
lieren.
F 3 Ferdinand.
Ferdinand. (ſteht ſtill und murmelt duͤſter) Wirk-
lich?
Louiſe. Verlieren! — O ohne Graͤnzen
entſezlich iſt der Gedanke — Graͤßlich genug, den
unſterblichen Geiſt zu durchboren, und die gluͤende
Wange der Freude zu bleichen — Ferdinand! dich
zu verlieren! — Doch! Man verliert ja nur, was
man beſeſſen hat, und dein Herz gehoͤrt deinem
Stande — Mein Anſpruch war Kirchenraub, und
ſchauernd geb ich ihn auf.
Ferdinand. (das Geſicht verzerrt, und an der Un-
terlippe nagend) Gibſt du ihn auf.
Louiſe. Nein! Sieh mich an lieber Walter.
Nicht ſo bitter die Zaͤhne geknirrſcht. Komm! Laß
mich jezt deinen ſterbenden Mut durch mein Beiſpiel
beleben. Laß mich die Heldin dieſes Augenbliks
ſeyn — einem Vater den entflohenen Sohn wieder
ſchenken — einem Buͤndniß entſagen, das die Fu-
gen der Buͤrgerwelt auseinander treiben, und die
allgemeine ewige Ordnung zu Grund ſtuͤrzen wuͤrde
— Ich bin die Verbrecherin — mit frechen thoͤ-
rigten Wuͤnſchen hat ſich mein Buſen getragen —
mein Ungluͤk iſt meine Strafe, ſo laß mir doch
jezt die ſuͤße ſchmeichelnde Taͤuſchung, daß es mein
Opfer war — Wirſt du mir dieſe Wolluſt mis-
goͤnnen?
Ferdinand. (hat in der Zerſtreuung und Wut eine
Violine ergriffen, und auf derſelben zu ſpielen verſucht
— Jezt zerreißt er die Saiten, zerſchmettert das Inſtru-
ment
ment auf dem Boden, und bricht in ein lautes Gelaͤch-
ter aus.)
Louiſe. Walter! Gott im Himmel! Was ſoll
das? — Ermanne dich. Faſſung verlangt dieſe
Stunde — es iſt eine trennende. Du haſt ein
Herz, lieber Walter. Ich kenne es. Warm wie
das Leben iſt deine Liebe, und ohne Schranken,
wie's Unermeßliche — Schenke ſie einer Edeln und
Wuͤrdigern — ſie wird die gluͤklichſten ihres Ge-
ſchlechts nicht beneiden — — (Traͤnen unterdruͤkend)
mich ſolſt du nicht mehr ſehn — Das eitle betroge-
ne Maͤdchen verweine ſeinen Gram in einſamen
Mauren, um ſeine Traͤnen wird ſich niemand be-
kuͤmmern — Leer und erſtorben iſt meine Zukunft
— Doch werd ich noch je und je am verwelkten
Strauß der Vergangenheit riechen (indem ſie ihm mit
abgewandten Geſicht ihre zitternde Hand gibt) Leben
Sie wol Herr von Walter.
Ferdinand. (ſpringt aus ſeiner Betaͤubung auf)
Ich entfliehe, Louiſe. Wirſt du mir wirklich nicht
folgen?
Louiſe. (hat ſich im Hintergrund des Zimmers
niedergeſezt, und haͤlt das Geſicht mit beiden Haͤnden be-
dekt) Meine Pflicht heißt mich bleiben und dulden.
Ferdinand. Schlange, du luͤgſt. Dich feſſelt
was anders hier.
Louiſe. (im Ton des tiefſten inwendigen Leidens)
Bleiben Sie bei dieſer Vermutung — ſie macht viel-
leicht weniger elend.
F 4 Ferdinand.
Ferdinand. Kalte Pflicht gegen feurige Liebe!
— Und mich ſoll das Maͤrchen blenden? — Ein
Liebhaber feſſelt dich, und Weh uͤber dich und ihn,
wenn mein Verdacht ſich beſtaͤtigt (geht ſchnell ab.)
Sechste Szene.
Louiſe und Sekretair Wurm.
Wurm. (kommt naͤher) Guten Abend Jung-
fer.
Louiſe.
Louiſe. Gott! Wer ſpricht da? (ſie dreht ſich
um, wird den Sekretair gewahr, und tritt erſchroken zu-
ruͤk) Schreklich! Schreklich! Meiner aͤngſtlichen
Ahndung eilt ſchon die ungluͤkſeligſte Erfuͤllung nach!
(zum Sekretair mit einem Blik voll Verachtung) Su-
chen Sie etwa den Praͤſidenten? Er iſt nicht mehr
da.
Wurm. Jungfer, ich ſuche Sie.
Louiſe. So muß ich mich wundern, daß Sie
nicht nach dem Marktplaz giengen.
Wurm. Warum eben dahin?
Louiſe. Ihre Braut von der Schandbuͤhne ab-
zuholen.
Wurm. Mamſell Millerin, Sie haben einen
falſchen Verdacht —
Louiſe. (unterdruͤkt eine Antwort) Was ſteht Ih-
nen zu Dienſten?
Wurm. Ich komme, geſchikt von Ihrem Va-
ter.
Louiſe. (beſtuͤrzt) Von meinem Vater? — Wo
iſt mein Vater?
Wurm. Wo er nicht gern iſt.
Louiſe. Um Gotteswillen! Geſchwind! Mich
befaͤllt eine uͤble Ahndung — Wo iſt mein Vater?
Wurm. Im Thurm, wenn Sie es ja wiſſen
wollen.
Louiſe. (mit einem Blik zum Himmel) Das
noch! das auch noch! — — Im Thurm? Und
warum im Thurm?
F 5 Wurm.
Wurm. Auf Befehl des Herzogs.
Louiſe. Des Herzogs?
Wurm. Der die Verlezung der Majeſtaͤt in der
Perſon ſeines Stellvertreters —
Louiſe. Was? Was? O ewige Allmacht!
Wurm. Auffallend zu ahnden beſchloſſen hat.
Louiſe. Das war noch uͤbrig! Das! — frei-
lich, freilich, mein Herz hatte noch außer dem Ma-
jor etwas theures — Das durfte nicht uͤbergangen
werden — Verlezung der Majeſtaͤt — Himmliſche
Vorſicht! Rette, o rette meinen ſinkenden Glauben!
— und Ferdinand?
Wurm. Waͤlt Lady Milford oder Fluch und
Enterbung.
Louiſe. Entſezliche Freiheit! — und doch —
doch iſt er gluͤklicher. Er hat keinen Vater zu ver-
lieren. Zwar keinen haben iſt Verdammniß ge-
nug! — Mein Vater auf Verlezung der Majeſtaͤt
— mein Geliebter die Lady oder Fluch und Enter-
bung — Warlich bewundernswerth! Eine vollkom-
mene Buͤberei iſt auch eine Vollkommenheit — Voll-
kommenheit? Nein! dazu fehlte noch etwas — —
Wo iſt meine Mutter?
Wurm. Im Spinnhaus.
Louiſe. (mit ſchmerzvollem Laͤcheln) Jezt iſt es
voͤllig! — voͤllig, und jezt waͤr ich ja frei — Abge-
ſchaͤlt von allen Pflichten — und Traͤnen — und
Freuden. Abgeſchaͤlt von der Vorſicht. Ich brauch
ſie
ſie ja nicht mehr — (ſchrekliches Stillſchweigen) Ha-
ben Sie vielleicht noch eine Zeitung? Reden Sie
immerhin. Jezt kann ich alles hoͤren.
Wurm. Was geſchehen iſt, wiſſen Sie.
Louiſe. Alſo nicht, was noch kommen wird?
(wiederum Pauſe, worinn ſie den Sekretair von oben bis
unten anſieht) Armer Menſch! Du treibſt ein trauri-
ges Handwerk, wobei du ohnmoͤglich ſeelig werden
kannſt. Ungluͤkliche machen iſt ſchon ſchreklich ge-
nug, aber graͤßlich iſts, es ihnen verkuͤndigen —
Ihn vorzuſingen den Eulengeſang, dabei zu ſtehn,
wenn das blutende Herz am eiſernen Schaft der
Nothwendigkeit zittert, und Chriſten an Gott
zweifeln. — Der Himmel bewahre mich! und wuͤr-
de dir jeder Angſttropfe, den du fallen ſiehſt, mit
einer Tonne Golds aufgewogen — ich moͤchte nicht
Du ſeyn — — Was kann noch geſchehen?
Wurm. Ich weiß nicht.
Louiſe. Sie wollen nicht wiſſen? — Dieſe
lichtſcheue Bothſchaft fuͤrchtet das Geraͤuſch der Wor-
te, aber in der Grabſtille Ihres Geſichts zeigt ſich
mir das Geſpenſt — Was iſt noch uͤbrig — Sie
ſagten vorhin, der Herzog wolle es auffallend ahn-
den? Was nennen Sie auffallend?
Wurm. Fragen Sie nichts mehr.
Louiſe. Hoͤre Menſch! Du giengſt beim Henker
zur Schule. Wie verſtuͤndeſt du ſonſt, das Eiſen
erſt langſam-bedaͤchtlich an den knirrſchenden Gelen-
ken
ken hinaufzufuͤhren, und das zukende Herz mit dem
Streich der Erbarmung zu neken? — Welches
Schikſal wartet auf meinen Vater? — Es iſt Tod
in dem, was du lachend ſagſt, wie mag das ausſe-
hen, was du an dich haͤltſt? Sprich es aus. Laß
mich ſie auf einmal haben die ganze zermalmende
Ladung. Was wartet auf meinen Vater?
Wurm. Ein Kriminalprozeß.
Louiſe. Was iſt aber das? — Ich bin ein un-
wiſſendes unſchuldiges Ding, verſtehe mich wenig
auf eure fuͤrchterliche lateiniſche Woͤrter. Was heißt
Kriminalprozeß?
Wurm. Gericht um Leben und Tod.
Louiſe. (ſtandhaft) So dank ich Ihnen! (ſie
eilt ſchnell in ein Seitenzimmer)
Wurm. (ſteht betroffen da) Wo will das hin-
aus? Sollte die Naͤrrin etwa? — Teufel! ſie
wird doch nicht — Ich eile nach — ich muß fuͤr ihr
Leben buͤrgen (im Begriff, ihr zu folgen)
Louiſe. (kommt zuruͤk, einen Mantel umgeworfen)
Verzeihen Sie, Sekretair. Ich ſchließe das Zim-
mer.
Wurm. Und wohin denn ſo eilig?
Louiſe. Zum Herzog (will fort)
Wurm. Was? Wo hin? (er haͤlt ſie erſchroken
zuruͤk)
Louiſe. Zum Herzog. Hoͤren Sie nicht? Zu
eben dem Herzog, der meinen Vater auf Tod und
Leben will richten laſſen — Nein! Nicht will —
muß
muß richten laſſen, weil einige Boͤswichter wollen;
der zu dem ganzen Prozeß der beleidigten Majeſtaͤt
nichts hergiebt, als eine Majeſtaͤt und ſeine fuͤrſtliche
Handſchrift.
Wurm. (lacht uͤberlaut) Zum Herzog!
Louiſe. Ich weiß, woruͤber Sie lachen — aber
ich will ja auch kein Erbarmen dort finden — Gott
bewahre mich! nur Ekel — Ekel nur an meinem
Geſchrei. Man hat mir geſagt, daß die Großen
der Welt noch nicht belehrt ſind, was Elend iſt —
nicht wollen belehrt ſeyn. Ich will ihm ſagen was
Elend iſt — will es ihm vormahlen in allen Ver-
zerrungen des Todes, was Elend iſt — will es ihm
vorheulen in Mark und Bein zermalmenden Toͤ-
nen, was Elend iſt — und wenn ihm jezt uͤber der
Beſchreibung die Haare zu Berge fliegen, will ich ihm
noch zum Schluß in die Ohren ſchreyn, daß in der
Sterbeſtunde auch die Lungen der Erdengoͤtter zu
roͤcheln anfangen, und das juͤngſte Gericht Majeſtaͤ-
ten und Bettler in dem naͤmlichen Siebe ruͤttle.
(ſie will gehen)
Wurm. (boshaft freundlich) Gehen Sie, o ge-
hen Sie ja. Sie koͤnnen warlich nichts kluͤgeres
thun. Ich rathe es Ihnen, gehen Sie, und ich
gebe Ihnen mein Wort, daß der Herzog willfahren
wird.
Louiſe. (ſteht ploͤzlich ſtill) Wie ſagen Sie?
—
Sie rathen mir ſelbſt dazu? (kommt ſchnell zuruͤk)
Hm! Was will ich denn? Etwas abſcheuliches
muß
muß es ſeyn, weil dieſer Menſch dazu rathet —
Woher wiſſen Sie, daß der Fuͤrſt mir willfahren
wird?
Wurm. Weil er es nicht wird umſonſt thun
duͤrfen.
Louiſe. Nicht umſonſt? Welchen Preiß kann
er auf eine Menſchlichkeit ſezen?
Wurm. Die ſchoͤne Supplikantin iſt Preiſes
genug.
Louiſe. (bleibt erſtarrt ſtehn, dann mit brechendem
Laut) Allgerechter!
Wurm. Und einen Vater werden Sie doch,
will ich hoffen, um dieſe gnaͤdige Taxe nicht uͤber-
fodert finden?
Louiſe. (auf und ab, außer Faſſung) Ja! Ja!
Es iſt wahr. Sie ſind verſchanzt eure Großen —
verſchanzt vor der Wahrheit hinter ihre eigene Laſter,
wie hinter Schwerdter der Cherubim — Helfe dir
der Allmaͤchtige, Vater. Deine Tochter kann fuͤr
dich ſterben, aber nicht ſuͤndigen.
Wurm. Das mag ihm wohl eine Neuigkeit
ſeyn dem armen verlaſſenen Mann — „Meine
Louiſe„ ſagte er mir „hat mich zu Boden gewor-
fen. Meine Louiſe wird mich auch aufrichten„ —
Ich eile Mamſell, ihm die Antwort zu bringen.
(ſtellt ſich als ob er gienge)
Louiſe. (eilt ihm nach, haͤlt ihn zuruͤk) Bleiben
Sie! Bleiben Sie! Geduld! — Wie flink dieſer
Satan iſt, wenn es gilt, Menſchen raſend zu ma-
chen!
chen! — Ich hab ihn niedergeworfen. Ich muß
ihn aufrichten. Reden Sie! Rathen Sie! Was
kann ich? Was muß ich thun?
Wurm. Es iſt nur ein Mittel.
Louiſe. Dieſes einzige Mittel?
Wurm. Auch Ihr Vater wuͤnſcht —
Louiſe. Auch mein Vater? — Was iſt das
fuͤr ein Mittel?
Wurm. Es iſt Ihnen leicht.
Louiſe. Ich kenne nichts ſchwerers als die
Schande.
Wurm. Wenn Sie den Major wieder frey
machen wollen?
Louiſe. Von ſeiner Liebe? Spotten Sie mei-
ner? — Das meiner Willkuͤhr zu uͤberlaſſen, wozu
ich gezwungen ward?
Wurm. So iſt es nicht gemeynt, liebe Jung-
fer. Der Major muß zuerſt und freiwillig zuruͤk-
treten.
Louiſe. Er wird nicht.
Wurm. So ſcheint es. Wuͤrde man denn wol
ſeine Zuflucht zu Ihnen nehmen, wenn nicht Sie
allein dazu helfen koͤnnten?
Louiſe. Kann ich ihn zwingen, daß er mich
haſſen muß?
Wurm. Wir wollen verſuchen. Sezen Sie
ſich.
Louiſe. (betreten) Menſch! Was bruͤteſt du?
Wurm.
Wurm: Sezen Sie ſich. Schreiben Sie!
Hier iſt Feder, Papier und Dinte.
Louiſe. (ſezt ſich in hoͤchſter Beunruhigung)
Was ſoll ich ſchreiben? An wen ſoll ich ſchreiben?
Wurm. An den Henker Ihres Vaters.
Louiſe. Ha! du verſtehſt dich darauf, Seelen
auf die Folter zu ſchrauben (ergreift eine Feder)
Wurm. (diktiert) „Gnaͤdiger Herr„
—
Louiſe. (ſchreibt mit zitternder Hand)
Wurm. „Schon drei unertraͤgliche Tage ſind
voruͤber — — ſind voruͤber — und wir ſahen uns
nicht„
Louiſe. (ſtuzt, legt die Feder weg) An wen iſt
der Brief?
Wurm. An den Henker Ihres Vaters.
Louiſe. O mein Gott!
Wurm. „Halten Sie ſich deßwegen an den
Major — an den Major — der mich den ganzen
Tag wie ein Argus huͤtet„
Louiſe. (ſpringt auf) Buͤberei, wie noch keine
erhoͤrt worden! An wen iſt der Brief?
Wurm. An den Henker Ihres Vaters.
Louiſe. (die Haͤnde ringend auf und nieder) Nein!
Nein! Nein! Das iſt thyranniſch o Himmel!
Strafe Menſchen menſchlich, wenn ſie dich reizen,
aber warum mich zwiſchen zwei Schroͤkniſſe preſſen?
Warum
Warum zwiſchen Tod und Schande mich hin und
her wiegen? Warum dieſen blutſaugenden Teufel
mir auf den Naken ſezen? — Macht was ihr wollt.
Ich ſchreibe das nimmermehr.
Wurm. (greift nach dem Hut) Wie Sie wollen,
Mademoiſelle. Das ſteht ganz in Ihrem Belieben.
Louiſe. Belieben, ſagen Sie? In meinem
Belieben? — Geh Barbar! haͤnge einen Ungluͤkli-
chen uͤber dem Abgrund der Hoͤlle aus, bitt ihn um
etwas, und laͤſtre Gott, und frag ihn, obs ihm
beliebe? — O du weiſt allzugut, daß unſer Herz
an natuͤrlichen Trieben, ſo feſt als an Ketten liegt
— Nunmehr iſt alles gleich. Diktieren Sie weiter.
Ich denke nichts mehr. Ich weiche der uͤberliſten-
den Hoͤlle (ſie ſezt ſich zum zweitenmal)
Wurm. „ Den ganzen Tag wie ein Argus huͤ-
tet„ — Haben Sie das?
Louiſe. Weiter! Weiter!
Wurm. „Wir haben geſtern den Praͤſidenten
„ im Haus gehabt. Es war poßirlich zu ſehen, wie
„ der gute Major um meine Ehre ſich wehrte“
Louiſe. O ſchoͤn, ſchoͤn! o herrlich! — Nur
immer fort.
Wurm. „Ich nahm meine Zuflucht zu einer
„Ohnmacht — zu einer Ohnmacht — daß ich nicht
„laut lachte„
Louiſe. O Himmel!
G Wurm.
Wurm. „Aber bald wird mir meine Maske
unertraͤglich — unertraͤglich — Wenn ich nur los-
kommen koͤnnte —
Louiſe. (haͤlt inne, ſieht auf, geht auf und nie-
der, den Kopf geſenkt, als ſuchte ſie was auf dem Bo-
den; dann ſezt ſie ſich wiederum, ſchreibt weiter) „Los-
kommen koͤnnte„
Wurm. „Morgen hat er den Dienſt — Paſ-
„ſen Sie ab, wenn er von mir geht, und kom-
„men an den bewußten Ort„ — Haben Sie
bewußten?
Louiſe. Ich habe alles.
Wurm. „An den bewußten Ort zu Ihrer zaͤrt-
lichen ..... Louiſe„
Louiſe. Nun fehlt die Adreſſe noch.
Wurm. „An Herrn Hofmarſchall von
Kalb„
Louiſe. Ewige Vorſicht! ein Name, ſo fremd
meinen Ohren, als meinem Herzen dieſe ſchaͤndlichen
Zeilen (ſie ſteht auf, und betrachtet eine große Pauſe
lang mit ſtarrem Blik das Geſchriebene, endlich reicht
ſie es dem Sekretair, mit erſchoͤpfter hinſterbender Stimme)
Nehmen Sie mein Herr. Es iſt mein ehrlicher Na-
me — es iſt Ferdinand — iſt die ganze Wonne
meines Lebens, was ich jezt in Ihre Haͤnde gebe —
Ich bin eine Bettlerin!
Wurm. O Nein doch! Verzagen Sie nicht,
liebe Mademoiſelle. Ich habe herzliches Mitleid mit
Ihnen.
Ihnen. Vielleicht — wer weiß? — Ich koͤnnte mich
noch wol uͤber gewiſſe Dinge hinwegſezen — War
lich! Bei Gott! Ich habe Mitleid mit Ihnen.
Louiſe. (blikt ihn ſtarr und durchdringend an) Re-
den Sie nicht aus mein Herr. Sie ſind auf dem
Wege ſich etwas Entſezliches zu wuͤnſchen.
Wurm. (im Begriff ihre Hand zu kuͤſſen) Ge-
ſezt, es waͤre dieſe niedliche Hand — Wie ſo liebe
Jungfer?
Louiſe. (groß und ſchreklich) Weil ich dich in
der Brautnacht erdroſſelte, und mich dann mit Wol-
luſt aufs Rad flechten ließe (ſie will gehen, kommt
aber ſchnell zuruͤk) Sind wir jezt fertig mein Herr?
Darf die Taube nun fliegen?
Wurm. Nur noch die Kleinigkeit Jungfer. Sie
muͤſſen mit mir, und das Sakrament darauf neh-
men, dieſen Brief fuͤr einen freiwilligen zu erkennen.
Louiſe. Gott! Gott! und du ſelbſt muſt das
Siegel geben, die Werke der Hoͤlle zu verwahren?
(Wurm zieht ſie fort.)