Schiller, Friedrich: Kabale und Liebe. Mannheim, 1784. Hofmarschall. (für sich hinseufzend) O mein Gott! Wer hier weg wäre! Hundert Meilen von hier im Bicetre zu Paris! nur bei diesem nicht! Ferdinand. Bube! Wenn sie nicht rein mehr ist? Bube! Wenn du genoßest, wo ich anbetete: (wütender) Schwelgtest, wo ich einen Gott mich fühlte? (plözlich schweigt er, darauf fürchterlich) Dir wäre besser, Bube, du flöhest der Hölle zu, als daß dir mein Zorn im Himmel begegnete! -- Wie weit kamst du mit dem Mädchen? Bekenne! Hofmarschall. Lassen Sie mich los. Ich will alles verrathen. Ferdinand. O! es muß reizender seyn mit die- sem Mädchen zu bulen, als mit andern noch so himmlisch zu schwärmen -- Wolte sie ausschweifen, wolte sie, sie könnte den Werth der Seele herunter bringen, und die Tugend mit der Wollust verfäl- schen. (dem Marschall die Pistole auf's Herz drükend) Wie weit kamst du mit ihr? Ich drüke ab, oder bekenne! Hofmarschall. Es ist nichts -- ist ja alles nichts. Haben Sie nur eine Minute Geduld. Sie sind ja betrogen. Ferdinand. Und daran mahnst du mich Böse- wicht? -- Wie weit kamst du mit ihr? Du bist des Todes, oder bekenne! Hofmarschall. Mon Dieu! Mein Gott! Ich spreche ja -- So hören Sie doch nur -- Ihr Vater -- Ihr eigener leiblicher Vater -- Ferdin.
Hofmarſchall. (fuͤr ſich hinſeufzend) O mein Gott! Wer hier weg waͤre! Hundert Meilen von hier im Biçetre zu Paris! nur bei dieſem nicht! Ferdinand. Bube! Wenn ſie nicht rein mehr iſt? Bube! Wenn du genoßeſt, wo ich anbetete: (wuͤtender) Schwelgteſt, wo ich einen Gott mich fuͤhlte? (ploͤzlich ſchweigt er, darauf fuͤrchterlich) Dir waͤre beſſer, Bube, du floͤheſt der Hoͤlle zu, als daß dir mein Zorn im Himmel begegnete! — Wie weit kamſt du mit dem Maͤdchen? Bekenne! Hofmarſchall. Laſſen Sie mich los. Ich will alles verrathen. Ferdinand. O! es muß reizender ſeyn mit die- ſem Maͤdchen zu bulen, als mit andern noch ſo himmliſch zu ſchwaͤrmen — Wolte ſie ausſchweifen, wolte ſie, ſie koͤnnte den Werth der Seele herunter bringen, und die Tugend mit der Wolluſt verfaͤl- ſchen. (dem Marſchall die Piſtole auf's Herz druͤkend) Wie weit kamſt du mit ihr? Ich druͤke ab, oder bekenne! Hofmarſchall. Es iſt nichts — iſt ja alles nichts. Haben Sie nur eine Minute Geduld. Sie ſind ja betrogen. Ferdinand. Und daran mahnſt du mich Boͤſe- wicht? — Wie weit kamſt du mit ihr? Du biſt des Todes, oder bekenne! Hofmarſchall. Mon Dieu! Mein Gott! Ich ſpreche ja — So hoͤren Sie doch nur — Ihr Vater — Ihr eigener leiblicher Vater — Ferdin.
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Ferdinand. Bube! Wenn ſie nicht rein mehr
iſt? Bube! Wenn du genoßeſt, wo ich anbetete:
(wuͤtender) Schwelgteſt, wo ich einen Gott mich
fuͤhlte? (ploͤzlich ſchweigt er, darauf fuͤrchterlich) Dir
waͤre beſſer, Bube, du floͤheſt der Hoͤlle zu, als daß
dir mein Zorn im Himmel begegnete! — Wie weit
kamſt du mit dem Maͤdchen? Bekenne!
Hofmarſchall. Laſſen Sie mich los. Ich will
alles verrathen.
Ferdinand. O! es muß reizender ſeyn mit die-
ſem Maͤdchen zu bulen, als mit andern noch ſo
himmliſch zu ſchwaͤrmen — Wolte ſie ausſchweifen,
wolte ſie, ſie koͤnnte den Werth der Seele herunter
bringen, und die Tugend mit der Wolluſt verfaͤl-
ſchen. (dem Marſchall die Piſtole auf's Herz druͤkend)
Wie weit kamſt du mit ihr? Ich druͤke ab, oder
bekenne!
Hofmarſchall. Es iſt nichts — iſt ja alles nichts.
Haben Sie nur eine Minute Geduld. Sie ſind ja
betrogen.
Ferdinand. Und daran mahnſt du mich Boͤſe-
wicht? — Wie weit kamſt du mit ihr? Du biſt des
Todes, oder bekenne!
Hofmarſchall. Mon Dieu! Mein Gott! Ich
ſpreche ja — So hoͤren Sie doch nur — Ihr Vater
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