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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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dinge würden erfordert haben, welche entweder
mithelfen, oder denen, weil sie stören konnten, auf
irgend eine Art doch begegnet werden mußte! Und
nun erwägen Sie, daß der Russe nicht über eine
halbe Stunde abwesend war. Konnte wohl in
nicht mehr als einer halben Stunde alles ange¬
ordnet werden, was hier nur das Unentbehrlichste
war? -- Wahrlich, gnädigster Herr, selbst nicht
einmal ein dramatischer Schriftsteller, der um die
unerbittlichen drey Einheiten seines Aristoteles ver¬
legen war, würde einem Zwischenakt so viel Hand¬
lung aufgelastet, noch seinem Parterre einen so star¬
ken Glauben zugemuthet haben.

"Wie? Sie halten es also schlechterdings für
unmöglich, daß in dieser kleinen halben Stun¬
de alle diese Anstalten hätten getroffen werden
können?"

In der That, rief ich, für so gut als un¬
möglich. --

"Diese Redensart verstehe ich nicht. Wider¬
spricht es allen Gesetzen der Zeit, des Raums und
der physischen Wirkungen, daß ein so gewandter
Kopf, wie doch unwidersprechlich dieser Armenier
ist, mit Hülfe seiner vielleicht eben so gewandten
Kreaturen, in der Hülle der Nacht, von niemand
beobachtet, mit allen Hülfsmitteln ausgerüstet,
von denen sich ein Mann dieses Handwerks ohne¬
hin niemals trennen wird, daß ein solcher Mensch,
von solchen Umständen begünstigt, in so weniger
Zeit so viel zu Stand bringen könnte? Ist es ge¬
radezu undenkbar, und abgeschmackt zu glauben,

daß

dinge würden erfordert haben, welche entweder
mithelfen, oder denen, weil ſie ſtören konnten, auf
irgend eine Art doch begegnet werden mußte! Und
nun erwägen Sie, daß der Ruſſe nicht über eine
halbe Stunde abweſend war. Konnte wohl in
nicht mehr als einer halben Stunde alles ange¬
ordnet werden, was hier nur das Unentbehrlichſte
war? — Wahrlich, gnädigſter Herr, ſelbſt nicht
einmal ein dramatiſcher Schriftſteller, der um die
unerbittlichen drey Einheiten ſeines Ariſtoteles ver¬
legen war, würde einem Zwiſchenakt ſo viel Hand¬
lung aufgelaſtet, noch ſeinem Parterre einen ſo ſtar¬
ken Glauben zugemuthet haben.

„Wie? Sie halten es alſo ſchlechterdings für
unmöglich, daß in dieſer kleinen halben Stun¬
de alle dieſe Anſtalten hätten getroffen werden
können?“

In der That, rief ich, für ſo gut als un¬
möglich. —

„Dieſe Redensart verſtehe ich nicht. Wider¬
ſpricht es allen Geſetzen der Zeit, des Raums und
der phyſiſchen Wirkungen, daß ein ſo gewandter
Kopf, wie doch unwiderſprechlich dieſer Armenier
iſt, mit Hülfe ſeiner vielleicht eben ſo gewandten
Kreaturen, in der Hülle der Nacht, von niemand
beobachtet, mit allen Hülfsmitteln ausgerüſtet,
von denen ſich ein Mann dieſes Handwerks ohne¬
hin niemals trennen wird, daß ein ſolcher Menſch,
von ſolchen Umſtänden begünſtigt, in ſo weniger
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[82/0090] dinge würden erfordert haben, welche entweder mithelfen, oder denen, weil ſie ſtören konnten, auf irgend eine Art doch begegnet werden mußte! Und nun erwägen Sie, daß der Ruſſe nicht über eine halbe Stunde abweſend war. Konnte wohl in nicht mehr als einer halben Stunde alles ange¬ ordnet werden, was hier nur das Unentbehrlichſte war? — Wahrlich, gnädigſter Herr, ſelbſt nicht einmal ein dramatiſcher Schriftſteller, der um die unerbittlichen drey Einheiten ſeines Ariſtoteles ver¬ legen war, würde einem Zwiſchenakt ſo viel Hand¬ lung aufgelaſtet, noch ſeinem Parterre einen ſo ſtar¬ ken Glauben zugemuthet haben. „Wie? Sie halten es alſo ſchlechterdings für unmöglich, daß in dieſer kleinen halben Stun¬ de alle dieſe Anſtalten hätten getroffen werden können?“ In der That, rief ich, für ſo gut als un¬ möglich. — „Dieſe Redensart verſtehe ich nicht. Wider¬ ſpricht es allen Geſetzen der Zeit, des Raums und der phyſiſchen Wirkungen, daß ein ſo gewandter Kopf, wie doch unwiderſprechlich dieſer Armenier iſt, mit Hülfe ſeiner vielleicht eben ſo gewandten Kreaturen, in der Hülle der Nacht, von niemand beobachtet, mit allen Hülfsmitteln ausgerüſtet, von denen ſich ein Mann dieſes Handwerks ohne¬ hin niemals trennen wird, daß ein ſolcher Menſch, von ſolchen Umſtänden begünſtigt, in ſo weniger Zeit ſo viel zu Stand bringen könnte? Iſt es ge¬ radezu undenkbar, und abgeſchmackt zu glauben, daß

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/90>, abgerufen am 23.11.2024.