dem gräflichen Hause von C***tti zu erfüllen, brauchte nur ein Name geändert zu werden; der Zweck beyder Familien war auf gleiche Art erreicht, Gräfinn Antonie mochte nun Lorenzos oder Jero¬ nymos Gattinn heißen. Die schwache Möglich¬ keit einer Wiedererscheinung des leztern kam ge¬ gen das gewisse und dringende Uebel, den gänz¬ lichen Untergang der Familie, in keine Betrachtung, und der alte Marchese, der die Annäherung des Todes mit jedem Tag stärker fühlte, wünschte mit Ungeduld [v]on dieser Unruhe wenigstens frey zu sterben."
"Wer diesen Schritt allein verzögerte und am hartnäckigsten bekämpfte, war derjenige, der das meiste dabey gewann -- Lorenzo. Ungerührt von dem Reiz unermeßlicher Güter, unempfindlich selbst gegen den Besitz des liebenswürdigsten Geschöpfs, das seinen Armen überliefert werden sollte, weigerte er sich mit der edelmüthigsten Gewissenhaftigkeit, einen Bruder zu berauben, der vielleicht noch am Leben wäre, und sein Eigenthum zurück fodern könnte. Ist das Schicksal meines theuern Jeronymo, sagte er, durch diese lange Gefangenschaft nicht schon schrecklich ge¬ nug, daß ich es noch durch einen Diebstahl verbit¬ tern sollte, der ihn um alles bringt, was ihm das theuerste war? Mit welchem Herzen würde ich den Himmel um seine Wiederkunft anflehen, wenn sein Weib in meinen Armen liegt? Mit welcher Stirne ihm, wenn endlich ein Wunder ihn uns zurück bringt, entgegen eilen? Und gesezt, er ist
uns
dem gräflichen Hauſe von C***tti zu erfüllen, brauchte nur ein Name geändert zu werden; der Zweck beyder Familien war auf gleiche Art erreicht, Gräfinn Antonie mochte nun Lorenzos oder Jero¬ nymos Gattinn heißen. Die ſchwache Möglich¬ keit einer Wiedererſcheinung des leztern kam ge¬ gen das gewiſſe und dringende Uebel, den gänz¬ lichen Untergang der Familie, in keine Betrachtung, und der alte Marcheſe, der die Annäherung des Todes mit jedem Tag ſtärker fühlte, wünſchte mit Ungeduld [v]on dieſer Unruhe wenigſtens frey zu ſterben.“
„Wer dieſen Schritt allein verzögerte und am hartnäckigſten bekämpfte, war derjenige, der das meiſte dabey gewann — Lorenzo. Ungerührt von dem Reiz unermeßlicher Güter, unempfindlich ſelbſt gegen den Beſitz des liebenswürdigſten Geſchöpfs, das ſeinen Armen überliefert werden ſollte, weigerte er ſich mit der edelmüthigſten Gewiſſenhaftigkeit, einen Bruder zu berauben, der vielleicht noch am Leben wäre, und ſein Eigenthum zurück fodern könnte. Iſt das Schickſal meines theuern Jeronymo, ſagte er, durch dieſe lange Gefangenſchaft nicht ſchon ſchrecklich ge¬ nug, daß ich es noch durch einen Diebſtahl verbit¬ tern ſollte, der ihn um alles bringt, was ihm das theuerſte war? Mit welchem Herzen würde ich den Himmel um ſeine Wiederkunft anflehen, wenn ſein Weib in meinen Armen liegt? Mit welcher Stirne ihm, wenn endlich ein Wunder ihn uns zurück bringt, entgegen eilen? Und geſezt, er iſt
uns
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[59/0067]
dem gräflichen Hauſe von C***tti zu erfüllen,
brauchte nur ein Name geändert zu werden; der
Zweck beyder Familien war auf gleiche Art erreicht,
Gräfinn Antonie mochte nun Lorenzos oder Jero¬
nymos Gattinn heißen. Die ſchwache Möglich¬
keit einer Wiedererſcheinung des leztern kam ge¬
gen das gewiſſe und dringende Uebel, den gänz¬
lichen Untergang der Familie, in keine Betrachtung,
und der alte Marcheſe, der die Annäherung des
Todes mit jedem Tag ſtärker fühlte, wünſchte mit
Ungeduld von dieſer Unruhe wenigſtens frey zu
ſterben.“
„Wer dieſen Schritt allein verzögerte und am
hartnäckigſten bekämpfte, war derjenige, der das
meiſte dabey gewann — Lorenzo. Ungerührt von
dem Reiz unermeßlicher Güter, unempfindlich ſelbſt
gegen den Beſitz des liebenswürdigſten Geſchöpfs,
das ſeinen Armen überliefert werden ſollte, weigerte er
ſich mit der edelmüthigſten Gewiſſenhaftigkeit, einen
Bruder zu berauben, der vielleicht noch am Leben wäre,
und ſein Eigenthum zurück fodern könnte. Iſt das
Schickſal meines theuern Jeronymo, ſagte er, durch
dieſe lange Gefangenſchaft nicht ſchon ſchrecklich ge¬
nug, daß ich es noch durch einen Diebſtahl verbit¬
tern ſollte, der ihn um alles bringt, was ihm das
theuerſte war? Mit welchem Herzen würde ich
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Stirne ihm, wenn endlich ein Wunder ihn uns
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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/67>, abgerufen am 16.02.2025.
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