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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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von S. Stephan, Bekanntschaft machte, einem
jungen und reichen Kavalier aus einem der ersten
Häuser des Königreichs, der mich mit Verbindlich¬
keiten überhäufte, und für meine Geheimnisse große
Achtung zu tragen schien. Er entdeckte mir, daß
der Marchese del M***nte, sein Vater, ein eifri¬
ger Verehrer der Kabbala wäre, und sich glücklich
schätzen würde, einen Weltweisen (wie er mich zu
nennen beliebte,) unter seinem Dache zu wissen.
Der Greis wohnte auf einem seiner Landgüter an
der See, ungefähr sieben Meilen von Neapel, wo
er beynahe in gänzlicher Abgeschiedenheit von Men¬
schen das Andenken eines theuern Sohnes beweinte,
der ihm durch ein schreckliches Schicksal entrissen
ward. Der Chevalier ließ mich merken, daß er
und seine Familie in einer sehr ernsthaften Angele¬
genheit meiner wohl gar einmal bedürfen könnten,
um von meiner geheimen Wissenschaft vielleicht ei¬
nen Aufschluß über etwas zu erhalten, wobey alle
natürlichen Mittel fruchtlos erschöpft worden wä¬
ren. Er ins besondere, sezte er sehr bedeutungsvoll
hinzu, würde einst vielleicht Ursache haben, mich
als den Schöpfer seiner Ruhe und seines ganzen
irdischen Glücks zu betrachten. Die Sache selbst
aber verhielt sich folgender Gestalt. Dieser Loren¬
zo war der jüngere Sohn des Marchese. weswegen
er auch zu dem geistlichen Stand bestimmt war;
die Güter der Familie sollten an seinen ältern Bru¬
der fallen. Jeronymo, so hieß dieser ältere Bru¬
der, hatte mehrere Jahre auf Reisen zugebracht,
und kam ungefähr sieben Jahre vor der Begeben¬

heit.
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von S. Stephan, Bekanntſchaft machte, einem
jungen und reichen Kavalier aus einem der erſten
Häuſer des Königreichs, der mich mit Verbindlich¬
keiten überhäufte, und für meine Geheimniſſe große
Achtung zu tragen ſchien. Er entdeckte mir, daß
der Marcheſe del M***nte, ſein Vater, ein eifri¬
ger Verehrer der Kabbala wäre, und ſich glücklich
ſchätzen würde, einen Weltweiſen (wie er mich zu
nennen beliebte,) unter ſeinem Dache zu wiſſen.
Der Greis wohnte auf einem ſeiner Landgüter an
der See, ungefähr ſieben Meilen von Neapel, wo
er beynahe in gänzlicher Abgeſchiedenheit von Men¬
ſchen das Andenken eines theuern Sohnes beweinte,
der ihm durch ein ſchreckliches Schickſal entriſſen
ward. Der Chevalier ließ mich merken, daß er
und ſeine Familie in einer ſehr ernſthaften Angele¬
genheit meiner wohl gar einmal bedürfen könnten,
um von meiner geheimen Wiſſenſchaft vielleicht ei¬
nen Aufſchluß über etwas zu erhalten, wobey alle
natürlichen Mittel fruchtlos erſchöpft worden wä¬
ren. Er ins beſondere, ſezte er ſehr bedeutungsvoll
hinzu, würde einſt vielleicht Urſache haben, mich
als den Schöpfer ſeiner Ruhe und ſeines ganzen
irdiſchen Glücks zu betrachten. Die Sache ſelbſt
aber verhielt ſich folgender Geſtalt. Dieſer Loren¬
zo war der jüngere Sohn des Marcheſe. weswegen
er auch zu dem geiſtlichen Stand beſtimmt war;
die Güter der Familie ſollten an ſeinen ältern Bru¬
der fallen. Jeronymo, ſo hieß dieſer ältere Bru¬
der, hatte mehrere Jahre auf Reiſen zugebracht,
und kam ungefähr ſieben Jahre vor der Begeben¬

heit.
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[55/0063] von S. Stephan, Bekanntſchaft machte, einem jungen und reichen Kavalier aus einem der erſten Häuſer des Königreichs, der mich mit Verbindlich¬ keiten überhäufte, und für meine Geheimniſſe große Achtung zu tragen ſchien. Er entdeckte mir, daß der Marcheſe del M***nte, ſein Vater, ein eifri¬ ger Verehrer der Kabbala wäre, und ſich glücklich ſchätzen würde, einen Weltweiſen (wie er mich zu nennen beliebte,) unter ſeinem Dache zu wiſſen. Der Greis wohnte auf einem ſeiner Landgüter an der See, ungefähr ſieben Meilen von Neapel, wo er beynahe in gänzlicher Abgeſchiedenheit von Men¬ ſchen das Andenken eines theuern Sohnes beweinte, der ihm durch ein ſchreckliches Schickſal entriſſen ward. Der Chevalier ließ mich merken, daß er und ſeine Familie in einer ſehr ernſthaften Angele¬ genheit meiner wohl gar einmal bedürfen könnten, um von meiner geheimen Wiſſenſchaft vielleicht ei¬ nen Aufſchluß über etwas zu erhalten, wobey alle natürlichen Mittel fruchtlos erſchöpft worden wä¬ ren. Er ins beſondere, ſezte er ſehr bedeutungsvoll hinzu, würde einſt vielleicht Urſache haben, mich als den Schöpfer ſeiner Ruhe und ſeines ganzen irdiſchen Glücks zu betrachten. Die Sache ſelbſt aber verhielt ſich folgender Geſtalt. Dieſer Loren¬ zo war der jüngere Sohn des Marcheſe. weswegen er auch zu dem geiſtlichen Stand beſtimmt war; die Güter der Familie ſollten an ſeinen ältern Bru¬ der fallen. Jeronymo, ſo hieß dieſer ältere Bru¬ der, hatte mehrere Jahre auf Reiſen zugebracht, und kam ungefähr ſieben Jahre vor der Begeben¬ heit. D 4

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/63>, abgerufen am 22.11.2024.