Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.eintrat, mußte, wenigstens so lange er ihr lebte, sei¬ ver¬ G 2
eintrat, mußte, wenigſtens ſo lange er ihr lebte, ſei¬ ver¬ G 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0107" n="99"/> eintrat, mußte, wenigſtens ſo lange er ihr lebte, ſei¬<lb/> nen Rang, ſeine Nation, ſeine Religionsparthey, kurz,<lb/> alle conventionelle Unterſcheidungszeichen ablegen,<lb/> und ſich in einen gewiſſen Stand univerſeller Gleich¬<lb/> heit begeben. Die Wahl der Mitglieder war in der<lb/> That ſtreng, weil nur Vorzüge des Geiſts einen<lb/> Weg dazu bahnten. Die Geſellſchaft rühmte ſich<lb/> des feinſten Tons und des ausgebildetſten Geſchmacks,<lb/> und in dieſem Rufe ſtand ſie auch wirklich in ganz<lb/> Venedig. Dieſes ſowohl als der Schein von Gleich¬<lb/> heit, der darin herrſchte, zog den Prinzen unwi¬<lb/> derſtehlich an. Ein geiſtvoller, durch feinen Witz<lb/> aufgeheiterter Umgang, unterrichtende Unterhal¬<lb/> tungen, das Beſte aus der gelehrten und politiſchen<lb/> Welt, das hier, wie in ſeinem Mittelpunkte zu¬<lb/> ſammenfloß, verbargen ihm lange Zeit das Ge¬<lb/> fährliche dieſer Verbindung. Wie ihm nach und<lb/> nach der Geiſt des Inſtituts durch die Maſke hin¬<lb/> durch ſichtbarer wurde, oder man es auch müde<lb/> war, länger gegen ihn auf ſeiner Hut zu ſeyn, war<lb/> der Rückweg gefährlich, und falſche Schaam ſowohl<lb/> als Sorge für ſeine Sicherheit zwangen ihn, ſein<lb/> innres Misfallen zu verbergen. Aber ſchon durch<lb/> bloße Vertraulichkeit mit dieſer Menſchenklaſſe und<lb/> ihren Geſinnungen, wenn ſie ihn auch nicht zur<lb/> Nachahmung hinriſſen, ging die reine, ſchöne Ein¬<lb/> falt ſeines Charakters und die Zartheit ſeiner mo¬<lb/> raliſchen Gefühle verloren. Seine durch ſo wenig<lb/> gründliche Kenntniſſe unterſtüzte Vernunft konnte<lb/> ohne fremde Beyhülfe die feinen Trugſchlüſſe nicht<lb/> löſen, womit man ſie hier verſtrickt hatte, und un¬<lb/> <fw place="bottom" type="sig">G 2<lb/></fw> <fw place="bottom" type="catch">ver¬<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [99/0107]
eintrat, mußte, wenigſtens ſo lange er ihr lebte, ſei¬
nen Rang, ſeine Nation, ſeine Religionsparthey, kurz,
alle conventionelle Unterſcheidungszeichen ablegen,
und ſich in einen gewiſſen Stand univerſeller Gleich¬
heit begeben. Die Wahl der Mitglieder war in der
That ſtreng, weil nur Vorzüge des Geiſts einen
Weg dazu bahnten. Die Geſellſchaft rühmte ſich
des feinſten Tons und des ausgebildetſten Geſchmacks,
und in dieſem Rufe ſtand ſie auch wirklich in ganz
Venedig. Dieſes ſowohl als der Schein von Gleich¬
heit, der darin herrſchte, zog den Prinzen unwi¬
derſtehlich an. Ein geiſtvoller, durch feinen Witz
aufgeheiterter Umgang, unterrichtende Unterhal¬
tungen, das Beſte aus der gelehrten und politiſchen
Welt, das hier, wie in ſeinem Mittelpunkte zu¬
ſammenfloß, verbargen ihm lange Zeit das Ge¬
fährliche dieſer Verbindung. Wie ihm nach und
nach der Geiſt des Inſtituts durch die Maſke hin¬
durch ſichtbarer wurde, oder man es auch müde
war, länger gegen ihn auf ſeiner Hut zu ſeyn, war
der Rückweg gefährlich, und falſche Schaam ſowohl
als Sorge für ſeine Sicherheit zwangen ihn, ſein
innres Misfallen zu verbergen. Aber ſchon durch
bloße Vertraulichkeit mit dieſer Menſchenklaſſe und
ihren Geſinnungen, wenn ſie ihn auch nicht zur
Nachahmung hinriſſen, ging die reine, ſchöne Ein¬
falt ſeines Charakters und die Zartheit ſeiner mo¬
raliſchen Gefühle verloren. Seine durch ſo wenig
gründliche Kenntniſſe unterſtüzte Vernunft konnte
ohne fremde Beyhülfe die feinen Trugſchlüſſe nicht
löſen, womit man ſie hier verſtrickt hatte, und un¬
ver¬
G 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |