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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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"Dein Freund," antwortete der Beschwörer,
"der dein Andenken ehret, und für deine Seele
betet," zugleich nannte er den Namen des Prinzen.

Die Antworten erfolgten immer nach einem sehr
großen Zwischenraum.

"Was verlangt er?" fuhr diese Stimme fort.

"Dein Bekenntniß will er zu Ende hören, das
du in dieser Welt angefangen und nicht beschlossen
hast."

"In einem Kloster auf der flandrischen Gränze
lebt -- -- --

Hier erzitterte das Haus von neuem. Die
Thüre sprang freywillig unter einem heftigen Don¬
nerschlag auf, ein Blitz erleuchtete das Zimmer,
und eine andere körperliche Gestalt, blutig und
blaß wie die erste, aber schrecklicher, erschien an
der Schwelle. Der Spiritus fing von selbst an
wieder zu brennen, und der Saal wurde helle wie
zuvor. "Wer ist unter uns?" rief der Magier
erschrocken, und warf einen Blick des Entsetzens
durch die Versammlung -- "Dich habe ich nicht
gewollt." Die Gestalt ging mit majestätischem lei¬
sem Schritt gerade auf den Altar zu, stellte sich
auf den Teppich, uns gegenüber, und faßte das
Kruzifix. Die erste Figur sahen wir nicht mehr.

"Wer ruft mich?" sagte diese zwote Er¬
scheinung.

Der Magier fing an, heftig zu zittern. Schre¬
cken und Erstaunen hatten uns gefesselt. Ich
griff nach einer Pistole, der Magier riß sie mir aus
der Hand, und drückte sie auf die Gestalt ab. Die

Kugel

„Dein Freund,“ antwortete der Beſchwörer,
„der dein Andenken ehret, und für deine Seele
betet,“ zugleich nannte er den Namen des Prinzen.

Die Antworten erfolgten immer nach einem ſehr
großen Zwiſchenraum.

„Was verlangt er?“ fuhr dieſe Stimme fort.

„Dein Bekenntniß will er zu Ende hören, das
du in dieſer Welt angefangen und nicht beſchloſſen
haſt.„

„In einem Kloſter auf der flandriſchen Gränze
lebt — — —

Hier erzitterte das Haus von neuem. Die
Thüre ſprang freywillig unter einem heftigen Don¬
nerſchlag auf, ein Blitz erleuchtete das Zimmer,
und eine andere körperliche Geſtalt, blutig und
blaß wie die erſte, aber ſchrecklicher, erſchien an
der Schwelle. Der Spiritus fing von ſelbſt an
wieder zu brennen, und der Saal wurde helle wie
zuvor. „Wer iſt unter uns?“ rief der Magier
erſchrocken, und warf einen Blick des Entſetzens
durch die Verſammlung — „Dich habe ich nicht
gewollt.“ Die Geſtalt ging mit majeſtätiſchem lei¬
ſem Schritt gerade auf den Altar zu, ſtellte ſich
auf den Teppich, uns gegenüber, und faßte das
Kruzifix. Die erſte Figur ſahen wir nicht mehr.

Wer ruft mich?“ ſagte dieſe zwote Er¬
ſcheinung.

Der Magier fing an, heftig zu zittern. Schre¬
cken und Erſtaunen hatten uns gefeſſelt. Ich
griff nach einer Piſtole, der Magier riß ſie mir aus
der Hand, und drückte ſie auf die Geſtalt ab. Die

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[29/0037] „Dein Freund,“ antwortete der Beſchwörer, „der dein Andenken ehret, und für deine Seele betet,“ zugleich nannte er den Namen des Prinzen. Die Antworten erfolgten immer nach einem ſehr großen Zwiſchenraum. „Was verlangt er?“ fuhr dieſe Stimme fort. „Dein Bekenntniß will er zu Ende hören, das du in dieſer Welt angefangen und nicht beſchloſſen haſt.„ „In einem Kloſter auf der flandriſchen Gränze lebt — — — Hier erzitterte das Haus von neuem. Die Thüre ſprang freywillig unter einem heftigen Don¬ nerſchlag auf, ein Blitz erleuchtete das Zimmer, und eine andere körperliche Geſtalt, blutig und blaß wie die erſte, aber ſchrecklicher, erſchien an der Schwelle. Der Spiritus fing von ſelbſt an wieder zu brennen, und der Saal wurde helle wie zuvor. „Wer iſt unter uns?“ rief der Magier erſchrocken, und warf einen Blick des Entſetzens durch die Verſammlung — „Dich habe ich nicht gewollt.“ Die Geſtalt ging mit majeſtätiſchem lei¬ ſem Schritt gerade auf den Altar zu, ſtellte ſich auf den Teppich, uns gegenüber, und faßte das Kruzifix. Die erſte Figur ſahen wir nicht mehr. „Wer ruft mich?“ ſagte dieſe zwote Er¬ ſcheinung. Der Magier fing an, heftig zu zittern. Schre¬ cken und Erſtaunen hatten uns gefeſſelt. Ich griff nach einer Piſtole, der Magier riß ſie mir aus der Hand, und drückte ſie auf die Geſtalt ab. Die Kugel

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/37>, abgerufen am 28.11.2024.