Schiller, Friedrich: Dom Karlos, Infant von Spanien. Leipzig, 1787.Dom Karlos. Ich frage, gibt es keinen Gott? So langeMütter geboren haben, ist nur Einer -- Einer so unverdient gestorben -- Weißt Du auch, was Du gethan hast? Nein, er weiß es nicht, weiß nicht, daß er ein Leben hat gestohlen aus dieser Welt, das wichtiger und edler und theurer war, als er mit seinem ganzen Jahrhundert. Ein gemeiner Bettler, der ein Heiligthum erbrach und eine Perle draus stahl -- um zwei Realen zu verdienen! So heillos mußtest du dahin! -- O es ist schrecklich! König mit gelindem Ton. Wenn ich allzurasch gewesen, geziemt es Dir, für den ich es gewesen, mich zur Verantwortung zu ziehen? Karlos. Wie? Ist's möglich? Sie errathen nicht? er- rathen noch nicht, wer mir der Todte war? So arm ist die Vernunft bei einem armen Herzen! Der Todte -- O sagt Ihr es ihm -- helft seiner Dom Karlos. Ich frage, gibt es keinen Gott? So langeMütter geboren haben, iſt nur Einer — Einer ſo unverdient geſtorben — Weißt Du auch, was Du gethan haſt? Nein, er weiß es nicht, weiß nicht, daß er ein Leben hat geſtohlen aus dieſer Welt, das wichtiger und edler und theurer war, als er mit ſeinem ganzen Jahrhundert. Ein gemeiner Bettler, der ein Heiligthum erbrach und eine Perle draus ſtahl — um zwei Realen zu verdienen! So heillos mußteſt du dahin! — O es iſt ſchrecklich! König mit gelindem Ton. Wenn ich allzuraſch geweſen, geziemt es Dir, für den ich es geweſen, mich zur Verantwortung zu ziehen? Karlos. Wie? Iſt’s möglich? Sie errathen nicht? er- rathen noch nicht, wer mir der Todte war? So arm iſt die Vernunft bei einem armen Herzen! Der Todte — O ſagt Ihr es ihm — helft ſeiner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#KAR"> <p><pb facs="#f0456" n="444"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dom Karlos</hi>.</fw><lb/> Ich frage, gibt es keinen Gott? So lange<lb/> Mütter<lb/> geboren haben, iſt nur Einer — Einer<lb/> ſo unverdient geſtorben — Weißt Du auch,<lb/><hi rendition="#g">was</hi> Du gethan haſt? Nein, er weiß es nicht,<lb/> weiß nicht, daß er ein Leben hat geſtohlen<lb/> aus dieſer Welt, das wichtiger und edler<lb/> und theurer war, als er mit ſeinem ganzen<lb/> Jahrhundert. Ein gemeiner Bettler, der<lb/> ein Heiligthum erbrach und eine Perle<lb/> draus ſtahl — um zwei Realen zu verdienen!<lb/> So heillos mußteſt du dahin! — O es<lb/> iſt ſchrecklich!</p> </sp><lb/> <sp who="#KOENIG"> <speaker> <hi rendition="#g">König</hi> </speaker><lb/> <stage>mit gelindem Ton.</stage><lb/> <p><hi rendition="#et">Wenn ich allzuraſch geweſen,</hi><lb/> geziemt es Dir, <hi rendition="#g">für</hi> den ich es geweſen,<lb/> mich zur Verantwortung zu ziehen?</p> </sp><lb/> <sp who="#KAR"> <speaker><hi rendition="#g">Karlos</hi>.</speaker><lb/> <p><hi rendition="#et">Wie?</hi><lb/> Iſt’s möglich? Sie errathen nicht? er-<lb/> rathen<lb/> noch nicht, wer mir der Todte war? So arm<lb/> iſt die Vernunft bei einem armen Herzen!<lb/> Der Todte — O ſagt <hi rendition="#g">Ihr</hi> es ihm — helft<lb/> ſeiner<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [444/0456]
Dom Karlos.
Ich frage, gibt es keinen Gott? So lange
Mütter
geboren haben, iſt nur Einer — Einer
ſo unverdient geſtorben — Weißt Du auch,
was Du gethan haſt? Nein, er weiß es nicht,
weiß nicht, daß er ein Leben hat geſtohlen
aus dieſer Welt, das wichtiger und edler
und theurer war, als er mit ſeinem ganzen
Jahrhundert. Ein gemeiner Bettler, der
ein Heiligthum erbrach und eine Perle
draus ſtahl — um zwei Realen zu verdienen!
So heillos mußteſt du dahin! — O es
iſt ſchrecklich!
König
mit gelindem Ton.
Wenn ich allzuraſch geweſen,
geziemt es Dir, für den ich es geweſen,
mich zur Verantwortung zu ziehen?
Karlos.
Wie?
Iſt’s möglich? Sie errathen nicht? er-
rathen
noch nicht, wer mir der Todte war? So arm
iſt die Vernunft bei einem armen Herzen!
Der Todte — O ſagt Ihr es ihm — helft
ſeiner
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