Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Dom Karlos, Infant von Spanien. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite
Dom Karlos.
in stoltzer, schöner Grazie empfangen,
freiwillig sproßt und ohne Gärtners Hülfe
verschwenderische Blüten treibt. Es ist
ein fremder Zweig, mit nachgeahmtem Süd
in einem rauhern Himmelsstrich getrieben;
Erziehung, Grundsatz, nenn' es wie Du willst,
erworbne Unschuld, dem erhitzten Blut
durch List, durch manchen zweifelhaften Kampf
und kriechende Verträge abgerungen,
dem Himmel, der sie fodert und bezahlt,
gewissenhaft sorgfältig angeschrieben.
Erwäge selbst. Wird sie der Königinn
es je vergeben können, daß ein Mann
an ihrer eignen, schwer erkämpften Tugend
vorüberging, sich für Dom Philipps Frau
in hoffnungslosen Flammen zu verzehren?
Karlos.
Kennst Du die Fürstinn so genau?
Marquis.
Gewiß nicht.
Kaum daß ich zweimal sie gesehn. Doch nur
ein Wort laß mich noch sagen: Mir kam vor,
daß sie geschickt des Lasters Blößen mied,
daß sie sehr gut um ihre Tugend wußte.
Dann sah' ich auch die Königinn -- O Karl,
Dom Karlos.
in ſtoltzer, ſchöner Grazie empfangen,
freiwillig ſproßt und ohne Gärtners Hülfe
verſchwenderiſche Blüten treibt. Es iſt
ein fremder Zweig, mit nachgeahmtem Süd
in einem rauhern Himmelsſtrich getrieben;
Erziehung, Grundſatz, nenn’ es wie Du willſt,
erworbne Unſchuld, dem erhitzten Blut
durch Liſt, durch manchen zweifelhaften Kampf
und kriechende Verträge abgerungen,
dem Himmel, der ſie fodert und bezahlt,
gewiſſenhaft ſorgfältig angeſchrieben.
Erwäge ſelbſt. Wird ſie der Königinn
es je vergeben können, daß ein Mann
an ihrer eignen, ſchwer erkämpften Tugend
vorüberging, ſich für Dom Philipps Frau
in hoffnungsloſen Flammen zu verzehren?
Karlos.
Kennſt Du die Fürſtinn ſo genau?
Marquis.
Gewiß nicht.
Kaum daß ich zweimal ſie geſehn. Doch nur
ein Wort laß mich noch ſagen: Mir kam vor,
daß ſie geſchickt des Laſters Blößen mied,
daß ſie ſehr gut um ihre Tugend wußte.
Dann ſah’ ich auch die Königinn — O Karl,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp who="#MAR">
              <p><pb facs="#f0216" n="206"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dom Karlos</hi>.</fw><lb/>
in &#x017F;toltzer, &#x017F;chöner Grazie empfangen,<lb/>
freiwillig &#x017F;proßt und ohne Gärtners Hülfe<lb/>
ver&#x017F;chwenderi&#x017F;che Blüten treibt. Es i&#x017F;t<lb/>
ein fremder Zweig, mit nachgeahmtem Süd<lb/>
in einem rauhern Himmels&#x017F;trich getrieben;<lb/>
Erziehung, Grund&#x017F;atz, nenn&#x2019; es wie Du will&#x017F;t,<lb/><hi rendition="#g">erworbne Un&#x017F;chuld</hi>, dem erhitzten Blut<lb/>
durch Li&#x017F;t, durch manchen zweifelhaften Kampf<lb/>
und kriechende Verträge abgerungen,<lb/>
dem Himmel, der &#x017F;ie fodert und bezahlt,<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;enhaft &#x017F;orgfältig ange&#x017F;chrieben.<lb/>
Erwäge &#x017F;elb&#x017F;t. Wird &#x017F;ie der Königinn<lb/>
es je vergeben können, daß ein Mann<lb/>
an ihrer eignen, &#x017F;chwer erkämpften Tugend<lb/>
vorüberging, &#x017F;ich für Dom Philipps Frau<lb/>
in hoffnungslo&#x017F;en Flammen zu verzehren?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#KAR">
              <speaker><hi rendition="#g">Karlos</hi>.</speaker><lb/>
              <p>Kenn&#x017F;t Du die Für&#x017F;tinn &#x017F;o genau?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#MAR">
              <speaker><hi rendition="#g">Marquis</hi>.</speaker><lb/>
              <p><hi rendition="#et">Gewiß nicht.</hi><lb/>
Kaum daß ich zweimal &#x017F;ie ge&#x017F;ehn. Doch nur<lb/>
ein Wort laß mich noch &#x017F;agen: Mir kam vor,<lb/>
daß &#x017F;ie ge&#x017F;chickt des La&#x017F;ters Blößen mied,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ehr gut um ihre Tugend <hi rendition="#g">wußte</hi>.<lb/>
Dann &#x017F;ah&#x2019; ich auch die Königinn &#x2014; O Karl,<lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0216] Dom Karlos. in ſtoltzer, ſchöner Grazie empfangen, freiwillig ſproßt und ohne Gärtners Hülfe verſchwenderiſche Blüten treibt. Es iſt ein fremder Zweig, mit nachgeahmtem Süd in einem rauhern Himmelsſtrich getrieben; Erziehung, Grundſatz, nenn’ es wie Du willſt, erworbne Unſchuld, dem erhitzten Blut durch Liſt, durch manchen zweifelhaften Kampf und kriechende Verträge abgerungen, dem Himmel, der ſie fodert und bezahlt, gewiſſenhaft ſorgfältig angeſchrieben. Erwäge ſelbſt. Wird ſie der Königinn es je vergeben können, daß ein Mann an ihrer eignen, ſchwer erkämpften Tugend vorüberging, ſich für Dom Philipps Frau in hoffnungsloſen Flammen zu verzehren? Karlos. Kennſt Du die Fürſtinn ſo genau? Marquis. Gewiß nicht. Kaum daß ich zweimal ſie geſehn. Doch nur ein Wort laß mich noch ſagen: Mir kam vor, daß ſie geſchickt des Laſters Blößen mied, daß ſie ſehr gut um ihre Tugend wußte. Dann ſah’ ich auch die Königinn — O Karl,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_domkarlos_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_domkarlos_1787/216
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Dom Karlos, Infant von Spanien. Leipzig, 1787, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_domkarlos_1787/216>, abgerufen am 26.04.2024.