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Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746.

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Zehndes Buch.
Der Greiß schien ausser sich; sein Auge war benezt;
Der Mund der Tüchtigkeit zu reden fast entsezt.
Was Freude, Lieb und Trost, was Eifer und Entzücken
320Jn einer Seele wirckt, sah man in seinen Blicken.
Jnzwischen drang man sich biß zu dem Kinder Chor;
So trug er endlich doch beherzt die Worte vor:
"Theresia! da du den Schaz von allen Schäzen
"Uns zur Verehrung gibst, wer soll sich wiedersezen
325"Und zweifeln, daß die Gab dieß alles übertrifft,
"Was unser Amt für dich, uns zum Verdienste stift?
"Wir werden dir dadurch mehr als du uns verbunden,
"Ja gar von dir am Preiß der Tugend überwunden.
"So eilen wir, den Schaz als deiner Gnaden Pfand
330"Mit zitternder Begier, mit Eifer-voller Hand
"Jn unser Eigenthum, wie du befiehlst, zu nehmen.
"O wann noch andere dergleichen Prinzen kämen!
Der Königinn Gesicht gieng ihrem Joseph nach;
Zu welchem sie, daß er den Rath umarme, sprach.
335Der Greiß verweilte nicht, nach selbigem zu langen,
Als wollt er ihn, bevor er ihn erreicht', umfangen.
O Väterlicher Trieb! o nicht erhörte Lust!
Der Alte scheint für Trost sich selber nicht bewußt;
Er küßt' ihn auf die Stirn; er fließt in Freuden-Thränen;
340Er spricht: "O könnt ich ihn auch bald zum König krönen!
Er
Zehndes Buch.
Der Greiß ſchien auſſer ſich; ſein Auge war benezt;
Der Mund der Tuͤchtigkeit zu reden faſt entſezt.
Was Freude, Lieb und Troſt, was Eifer und Entzuͤcken
320Jn einer Seele wirckt, ſah man in ſeinen Blicken.
Jnzwiſchen drang man ſich biß zu dem Kinder Chor;
So trug er endlich doch beherzt die Worte vor:
Thereſia! da du den Schaz von allen Schaͤzen
„Uns zur Verehrung gibſt, wer ſoll ſich wiederſezen
325„Und zweifeln, daß die Gab dieß alles uͤbertrifft,
„Was unſer Amt fuͤr dich, uns zum Verdienſte ſtift?
„Wir werden dir dadurch mehr als du uns verbunden,
„Ja gar von dir am Preiß der Tugend uͤberwunden.
„So eilen wir, den Schaz als deiner Gnaden Pfand
330„Mit zitternder Begier, mit Eifer-voller Hand
„Jn unſer Eigenthum, wie du befiehlſt, zu nehmen.
„O wann noch andere dergleichen Prinzen kaͤmen!
Der Koͤniginn Geſicht gieng ihrem Joſeph nach;
Zu welchem ſie, daß er den Rath umarme, ſprach.
335Der Greiß verweilte nicht, nach ſelbigem zu langen,
Als wollt er ihn, bevor er ihn erreicht’, umfangen.
O Vaͤterlicher Trieb! o nicht erhoͤrte Luſt!
Der Alte ſcheint fuͤr Troſt ſich ſelber nicht bewußt;
Er kuͤßt’ ihn auf die Stirn; er fließt in Freuden-Thraͤnen;
340Er ſpricht: „O koͤnnt ich ihn auch bald zum Koͤnig kroͤnen!
Er
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[0105] Zehndes Buch. Der Greiß ſchien auſſer ſich; ſein Auge war benezt; Der Mund der Tuͤchtigkeit zu reden faſt entſezt. Was Freude, Lieb und Troſt, was Eifer und Entzuͤcken Jn einer Seele wirckt, ſah man in ſeinen Blicken. Jnzwiſchen drang man ſich biß zu dem Kinder Chor; So trug er endlich doch beherzt die Worte vor: „Thereſia! da du den Schaz von allen Schaͤzen „Uns zur Verehrung gibſt, wer ſoll ſich wiederſezen „Und zweifeln, daß die Gab dieß alles uͤbertrifft, „Was unſer Amt fuͤr dich, uns zum Verdienſte ſtift? „Wir werden dir dadurch mehr als du uns verbunden, „Ja gar von dir am Preiß der Tugend uͤberwunden. „So eilen wir, den Schaz als deiner Gnaden Pfand „Mit zitternder Begier, mit Eifer-voller Hand „Jn unſer Eigenthum, wie du befiehlſt, zu nehmen. „O wann noch andere dergleichen Prinzen kaͤmen! Der Koͤniginn Geſicht gieng ihrem Joſeph nach; Zu welchem ſie, daß er den Rath umarme, ſprach. Der Greiß verweilte nicht, nach ſelbigem zu langen, Als wollt er ihn, bevor er ihn erreicht’, umfangen. O Vaͤterlicher Trieb! o nicht erhoͤrte Luſt! Der Alte ſcheint fuͤr Troſt ſich ſelber nicht bewußt; Er kuͤßt’ ihn auf die Stirn; er fließt in Freuden-Thraͤnen; Er ſpricht: „O koͤnnt ich ihn auch bald zum Koͤnig kroͤnen! Er

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Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade02_1746/105>, abgerufen am 27.04.2024.