Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_073.001 I. Über den Ursprung der Poesie. psc_073.002 Wir erinnern uns an Aristoteles: er hat eine bestimmte psc_073.003 Der Nachahmungstrieb vermittelt dem Menschen das psc_073.008 Wir erinnern uns, daß für Aristoteles Poesie überhaupt psc_073.015 Und ferner: die Freude über die Richtigkeit der Nachahmung psc_073.023 psc_073.001 I. Über den Ursprung der Poesie. psc_073.002 Wir erinnern uns an Aristoteles: er hat eine bestimmte psc_073.003 Der Nachahmungstrieb vermittelt dem Menschen das psc_073.008 Wir erinnern uns, daß für Aristoteles Poesie überhaupt psc_073.015 Und ferner: die Freude über die Richtigkeit der Nachahmung psc_073.023 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0089" n="73"/> <div n="2"> <lb n="psc_073.001"/> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">I</hi>. Über den Ursprung der Poesie.</hi> </head> <lb n="psc_073.002"/> <p> Wir erinnern uns an Aristoteles: er hat eine bestimmte <lb n="psc_073.003"/> Ansicht aufgestellt, indem er auf zwei in der Menschennatur <lb n="psc_073.004"/> liegende Gründe hinweist, welche die Dichtung überhaupt <lb n="psc_073.005"/> hervorgebracht haben, nämlich: erstens den Nachahmungstrieb, <lb n="psc_073.006"/> zweitens den angeborenen Sinn für Tact und Harmonie.</p> <lb n="psc_073.007"/> <p> Der Nachahmungstrieb vermittelt dem Menschen das <lb n="psc_073.008"/> Lernen und Wissen, womit sich die Freude an den Erzeugnissen <lb n="psc_073.009"/> der Nachahmung verbindet; er äußert sich productiv <lb n="psc_073.010"/> im Nachahmen, receptiv in der Freude am Nachgeahmten; <lb n="psc_073.011"/> beides wurzelt in dem einen Triebe zu wissen und zu lernen, <lb n="psc_073.012"/> und man freut sich über die Richtigkeit der Nachahmung, <lb n="psc_073.013"/> selbst wenn der Gegenstand widerlich ist.</p> <lb n="psc_073.014"/> <p> Wir erinnern uns, daß für Aristoteles Poesie überhaupt <lb n="psc_073.015"/> darstellende Nachahmung handelnder Menschen ist. Wir haben <lb n="psc_073.016"/> diesen Begriff zu eng gefunden; wir finden die Ansicht über <lb n="psc_073.017"/> den Ursprung ganz auf diesen Begriff berechnet. Wir sehen <lb n="psc_073.018"/> Rhythmus und Harmonie jetzt als wesentlich bezeichnet, während <lb n="psc_073.019"/> Aristoteles selbst, wo Nachahmung handelnder Menschen <lb n="psc_073.020"/> erscheint, auf Rhythmus verzichtet. Der zweite Punct ist <lb n="psc_073.021"/> also für Aristoteles selbst nicht maßgebend.</p> <lb n="psc_073.022"/> <p> Und ferner: die Freude über die Richtigkeit der Nachahmung <lb n="psc_073.023"/> zu urtheilen, ist ein rein intellectuelles Vergnügen; <lb n="psc_073.024"/> soll dies wirklich das Hauptsächliche sein, was Poesie hervorruft, <lb n="psc_073.025"/> die wesentliche Wirkung der Poesie? Da hat doch <lb n="psc_073.026"/> Aristoteles, wo er über die Wirkung der Tragödie spricht, <lb n="psc_073.027"/> schon ganz anders geurtheilt und nicht auf das intellectuelle <lb n="psc_073.028"/> Urtheil über Richtigkeit der Nachahmung provocirt, sondern </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [73/0089]
psc_073.001
I. Über den Ursprung der Poesie. psc_073.002
Wir erinnern uns an Aristoteles: er hat eine bestimmte psc_073.003
Ansicht aufgestellt, indem er auf zwei in der Menschennatur psc_073.004
liegende Gründe hinweist, welche die Dichtung überhaupt psc_073.005
hervorgebracht haben, nämlich: erstens den Nachahmungstrieb, psc_073.006
zweitens den angeborenen Sinn für Tact und Harmonie.
psc_073.007
Der Nachahmungstrieb vermittelt dem Menschen das psc_073.008
Lernen und Wissen, womit sich die Freude an den Erzeugnissen psc_073.009
der Nachahmung verbindet; er äußert sich productiv psc_073.010
im Nachahmen, receptiv in der Freude am Nachgeahmten; psc_073.011
beides wurzelt in dem einen Triebe zu wissen und zu lernen, psc_073.012
und man freut sich über die Richtigkeit der Nachahmung, psc_073.013
selbst wenn der Gegenstand widerlich ist.
psc_073.014
Wir erinnern uns, daß für Aristoteles Poesie überhaupt psc_073.015
darstellende Nachahmung handelnder Menschen ist. Wir haben psc_073.016
diesen Begriff zu eng gefunden; wir finden die Ansicht über psc_073.017
den Ursprung ganz auf diesen Begriff berechnet. Wir sehen psc_073.018
Rhythmus und Harmonie jetzt als wesentlich bezeichnet, während psc_073.019
Aristoteles selbst, wo Nachahmung handelnder Menschen psc_073.020
erscheint, auf Rhythmus verzichtet. Der zweite Punct ist psc_073.021
also für Aristoteles selbst nicht maßgebend.
psc_073.022
Und ferner: die Freude über die Richtigkeit der Nachahmung psc_073.023
zu urtheilen, ist ein rein intellectuelles Vergnügen; psc_073.024
soll dies wirklich das Hauptsächliche sein, was Poesie hervorruft, psc_073.025
die wesentliche Wirkung der Poesie? Da hat doch psc_073.026
Aristoteles, wo er über die Wirkung der Tragödie spricht, psc_073.027
schon ganz anders geurtheilt und nicht auf das intellectuelle psc_073.028
Urtheil über Richtigkeit der Nachahmung provocirt, sondern
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |