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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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Accent liegt für mich nicht auf der Lehre von den Gattungen, psc_070.002
womit ich schließe -- und da wird die Zeit schon sehr knapp psc_070.003
sein --, sondern auf dem was vorhergeht: auf dem allgemeinen psc_070.004
Theil, der Betrachtung des dichterischen Processes.

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Überall ist zu sehen, wie weit auch für unsere neuen psc_070.006
Zwecke die ältere Poetik und Aesthetik Förderndes beigebracht psc_070.007
hat.

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Auch ist es auf dem Boden, den ich schaffen will, nicht psc_070.009
unmöglich in einem gewissen Sinne zu den früheren Zielen psc_070.010
zurückzukehren, nicht etwa um die wahre Poesie zu suchen, psc_070.011
aber wohl um das für eine bestimmte Zeit Zweckmäßige und psc_070.012
Wünschenswerthe zu finden. Eine Betrachtung, welche die psc_070.013
zu verschiedenen Zeiten erstrebten Zwecke der Poesie darlegt, psc_070.014
wird auch für eine bestimmte Zeit solche Zwecke als wünschenswerth psc_070.015
bezeichnen können. So verlangt z. B. die Gegenwart psc_070.016
eine bestimmte Art von Drama: ein Drama, in psc_070.017
dem keine Liebe vorkommt, hat bei dem heutigen Publicum psc_070.018
keine Aussicht auf Erfolg.

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Eine Betrachtungsweise, wie ich sie vorschlage, ist auch psc_070.020
auf andern Gebieten möglich, z. B. auf dem sittlichen, und psc_070.021
üblich, z. B. auf dem nationalökonomischen: die Scala aller psc_070.022
möglichen Erscheinungen und ihrer Wirkungen wird erforscht. psc_070.023
Hiernach dann Regelung für den einzelnen Fall: bestimmte psc_070.024
Stufen und Formen der Wirthschaft sind zweckmäßig für bestimmte psc_070.025
Epochen; nicht aber ist eine wahre Wirthschaft zu psc_070.026
finden. Jn diesem Sinn ist die Geschichte Lehrerin. --

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Hiermit können wir das erste Kapitel schließen. Die psc_070.028
Methode, deren ich mich dabei bediente, war schon die eben

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Accent liegt für mich nicht auf der Lehre von den Gattungen, psc_070.002
womit ich schließe — und da wird die Zeit schon sehr knapp psc_070.003
sein —, sondern auf dem was vorhergeht: auf dem allgemeinen psc_070.004
Theil, der Betrachtung des dichterischen Processes.

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  Überall ist zu sehen, wie weit auch für unsere neuen psc_070.006
Zwecke die ältere Poetik und Aesthetik Förderndes beigebracht psc_070.007
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  Auch ist es auf dem Boden, den ich schaffen will, nicht psc_070.009
unmöglich in einem gewissen Sinne zu den früheren Zielen psc_070.010
zurückzukehren, nicht etwa um die wahre Poesie zu suchen, psc_070.011
aber wohl um das für eine bestimmte Zeit Zweckmäßige und psc_070.012
Wünschenswerthe zu finden. Eine Betrachtung, welche die psc_070.013
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wird auch für eine bestimmte Zeit solche Zwecke als wünschenswerth psc_070.015
bezeichnen können. So verlangt z. B. die Gegenwart psc_070.016
eine bestimmte Art von Drama: ein Drama, in psc_070.017
dem keine Liebe vorkommt, hat bei dem heutigen Publicum psc_070.018
keine Aussicht auf Erfolg.

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  Eine Betrachtungsweise, wie ich sie vorschlage, ist auch psc_070.020
auf andern Gebieten möglich, z. B. auf dem sittlichen, und psc_070.021
üblich, z. B. auf dem nationalökonomischen: die Scala aller psc_070.022
möglichen Erscheinungen und ihrer Wirkungen wird erforscht. psc_070.023
Hiernach dann Regelung für den einzelnen Fall: bestimmte psc_070.024
Stufen und Formen der Wirthschaft sind zweckmäßig für bestimmte psc_070.025
Epochen; nicht aber ist eine wahre Wirthschaft zu psc_070.026
finden. Jn diesem Sinn ist die Geschichte Lehrerin. —

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  Hiermit können wir das erste Kapitel schließen. Die psc_070.028
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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/86>, abgerufen am 30.04.2024.