Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

psc_059.001
unterrichtet: dasselbe wurzelt in Winckelmann und psc_059.002
dieser wieder in der italienischen Praxis seit dem Eklekticismus psc_059.003
der Carracci (s. Justi 22, 144 f.).

psc_059.004

Unter den systematisirenden abstracten Theoretikern muß psc_059.005
entschieden Hegel ausgezeichnet werden: durch die Gewandtheit psc_059.006
der Generalisation ist er zu Lichtblicken gekommen, bis psc_059.007
zur Einzelbeobachtung mit genialer Jntuition vorgedrungen. psc_059.008
Seine Vorlesungen über Aesthetik wurden von Hotho 1835 psc_059.009
herausgegeben; zweite Auflage in 3 Bänden 1842-43. Jhm psc_059.010
schließt sich Fr. Th. Vischer an, der 1843 einen neuen psc_059.011
Plan zur Gliederung der Aesthetik schrieb (abgedruckt in den psc_059.012
Kritischen Gängen 2, 343). Sein Formalismus ist noch psc_059.013
strenger als der Hegels. Sofort aber als sich Vischer ankündigte, psc_059.014
erfuhr seine Betrachtungsweise einen lebhaften Angriff psc_059.015
durch H. Hettner: Wider die speculative Aesihetik psc_059.016
1845 (Kl. Schriften 164 ff.). Hettner schüttet aber das Kind psc_059.017
mit dem Bade aus: ihm war alle Aesthetik speculativ, und psc_059.018
so setzte er nicht empirische Aesthetik dagegen, sondern Kunstgeschichte. psc_059.019
Dieser Vorschlag blieb demnach erfolglos. Den psc_059.020
angekündigten Plan hat Vischer dann ausgeführt: Aesthetik psc_059.021
oder Wissenschaft des Schönen 1846-57; 3. Theil 2. Abschnitt psc_059.022
5. Heft (1857) behandelt die Dichtkunst. Es ist der psc_059.023
Schluß des Werkes, ein mäßiger Band für sich. Jn der psc_059.024
speculativen Grundlage ist es für uns gänzlich unbrauchbar; psc_059.025
die schwierige Frage vom Ursprung der Poesie z. B. wird nirgends psc_059.026
erörtert. Aber das Buch ist voll feiner Einzelbeobachtungen. psc_059.027
Die empirische Grundlage fehlt, weil sich ja der psc_059.028
Hegelsche Begriff ganz von selbst entwickelt. Vischer ist

psc_059.001
unterrichtet: dasselbe wurzelt in Winckelmann und psc_059.002
dieser wieder in der italienischen Praxis seit dem Eklekticismus psc_059.003
der Carracci (s. Justi 2², 144 f.).

psc_059.004

  Unter den systematisirenden abstracten Theoretikern muß psc_059.005
entschieden Hegel ausgezeichnet werden: durch die Gewandtheit psc_059.006
der Generalisation ist er zu Lichtblicken gekommen, bis psc_059.007
zur Einzelbeobachtung mit genialer Jntuition vorgedrungen. psc_059.008
Seine Vorlesungen über Aesthetik wurden von Hotho 1835 psc_059.009
herausgegeben; zweite Auflage in 3 Bänden 1842–43. Jhm psc_059.010
schließt sich Fr. Th. Vischer an, der 1843 einen neuen psc_059.011
Plan zur Gliederung der Aesthetik schrieb (abgedruckt in den psc_059.012
Kritischen Gängen 2, 343). Sein Formalismus ist noch psc_059.013
strenger als der Hegels. Sofort aber als sich Vischer ankündigte, psc_059.014
erfuhr seine Betrachtungsweise einen lebhaften Angriff psc_059.015
durch H. Hettner: Wider die speculative Aesihetik psc_059.016
1845 (Kl. Schriften 164 ff.). Hettner schüttet aber das Kind psc_059.017
mit dem Bade aus: ihm war alle Aesthetik speculativ, und psc_059.018
so setzte er nicht empirische Aesthetik dagegen, sondern Kunstgeschichte. psc_059.019
Dieser Vorschlag blieb demnach erfolglos. Den psc_059.020
angekündigten Plan hat Vischer dann ausgeführt: Aesthetik psc_059.021
oder Wissenschaft des Schönen 1846–57; 3. Theil 2. Abschnitt psc_059.022
5. Heft (1857) behandelt die Dichtkunst. Es ist der psc_059.023
Schluß des Werkes, ein mäßiger Band für sich. Jn der psc_059.024
speculativen Grundlage ist es für uns gänzlich unbrauchbar; psc_059.025
die schwierige Frage vom Ursprung der Poesie z. B. wird nirgends psc_059.026
erörtert. Aber das Buch ist voll feiner Einzelbeobachtungen. psc_059.027
Die empirische Grundlage fehlt, weil sich ja der psc_059.028
Hegelsche Begriff ganz von selbst entwickelt. Vischer ist

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0075" n="59"/><lb n="psc_059.001"/>
unterrichtet: dasselbe wurzelt in Winckelmann und <lb n="psc_059.002"/>
dieser wieder in der italienischen Praxis seit dem Eklekticismus <lb n="psc_059.003"/>
der Carracci (s. Justi 2², 144 f.).</p>
          <lb n="psc_059.004"/>
          <p>  Unter den systematisirenden abstracten Theoretikern muß <lb n="psc_059.005"/>
entschieden Hegel ausgezeichnet werden: durch die Gewandtheit <lb n="psc_059.006"/>
der Generalisation ist er zu Lichtblicken gekommen, bis <lb n="psc_059.007"/>
zur Einzelbeobachtung mit genialer Jntuition vorgedrungen. <lb n="psc_059.008"/>
Seine Vorlesungen über Aesthetik wurden von Hotho 1835 <lb n="psc_059.009"/>
herausgegeben; zweite Auflage in 3 Bänden 1842&#x2013;43. Jhm <lb n="psc_059.010"/>
schließt sich Fr. Th. Vischer an, der 1843 einen neuen <lb n="psc_059.011"/>
Plan zur Gliederung der Aesthetik schrieb (abgedruckt in den <lb n="psc_059.012"/>
Kritischen Gängen 2, 343). Sein Formalismus ist noch <lb n="psc_059.013"/>
strenger als der Hegels. Sofort aber als sich Vischer ankündigte, <lb n="psc_059.014"/>
erfuhr seine Betrachtungsweise einen lebhaften Angriff <lb n="psc_059.015"/>
durch H. Hettner: Wider die speculative Aesihetik <lb n="psc_059.016"/>
1845 (Kl. Schriften 164 ff.). Hettner schüttet aber das Kind <lb n="psc_059.017"/>
mit dem Bade aus: ihm war alle Aesthetik speculativ, und <lb n="psc_059.018"/>
so setzte er nicht empirische Aesthetik dagegen, sondern Kunstgeschichte. <lb n="psc_059.019"/>
Dieser Vorschlag blieb demnach erfolglos. Den <lb n="psc_059.020"/>
angekündigten Plan hat Vischer dann ausgeführt: Aesthetik <lb n="psc_059.021"/>
oder Wissenschaft des Schönen 1846&#x2013;57; 3. Theil 2. Abschnitt <lb n="psc_059.022"/>
5. Heft (1857) behandelt die Dichtkunst. Es ist der <lb n="psc_059.023"/>
Schluß des Werkes, ein mäßiger Band für sich. Jn der <lb n="psc_059.024"/>
speculativen Grundlage ist es für uns gänzlich unbrauchbar; <lb n="psc_059.025"/>
die schwierige Frage vom Ursprung der Poesie z. B. wird nirgends <lb n="psc_059.026"/>
erörtert. Aber das Buch ist voll feiner Einzelbeobachtungen. <lb n="psc_059.027"/>
Die empirische Grundlage fehlt, weil sich ja der <lb n="psc_059.028"/>
Hegelsche Begriff ganz von selbst entwickelt. Vischer ist
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0075] psc_059.001 unterrichtet: dasselbe wurzelt in Winckelmann und psc_059.002 dieser wieder in der italienischen Praxis seit dem Eklekticismus psc_059.003 der Carracci (s. Justi 2², 144 f.). psc_059.004   Unter den systematisirenden abstracten Theoretikern muß psc_059.005 entschieden Hegel ausgezeichnet werden: durch die Gewandtheit psc_059.006 der Generalisation ist er zu Lichtblicken gekommen, bis psc_059.007 zur Einzelbeobachtung mit genialer Jntuition vorgedrungen. psc_059.008 Seine Vorlesungen über Aesthetik wurden von Hotho 1835 psc_059.009 herausgegeben; zweite Auflage in 3 Bänden 1842–43. Jhm psc_059.010 schließt sich Fr. Th. Vischer an, der 1843 einen neuen psc_059.011 Plan zur Gliederung der Aesthetik schrieb (abgedruckt in den psc_059.012 Kritischen Gängen 2, 343). Sein Formalismus ist noch psc_059.013 strenger als der Hegels. Sofort aber als sich Vischer ankündigte, psc_059.014 erfuhr seine Betrachtungsweise einen lebhaften Angriff psc_059.015 durch H. Hettner: Wider die speculative Aesihetik psc_059.016 1845 (Kl. Schriften 164 ff.). Hettner schüttet aber das Kind psc_059.017 mit dem Bade aus: ihm war alle Aesthetik speculativ, und psc_059.018 so setzte er nicht empirische Aesthetik dagegen, sondern Kunstgeschichte. psc_059.019 Dieser Vorschlag blieb demnach erfolglos. Den psc_059.020 angekündigten Plan hat Vischer dann ausgeführt: Aesthetik psc_059.021 oder Wissenschaft des Schönen 1846–57; 3. Theil 2. Abschnitt psc_059.022 5. Heft (1857) behandelt die Dichtkunst. Es ist der psc_059.023 Schluß des Werkes, ein mäßiger Band für sich. Jn der psc_059.024 speculativen Grundlage ist es für uns gänzlich unbrauchbar; psc_059.025 die schwierige Frage vom Ursprung der Poesie z. B. wird nirgends psc_059.026 erörtert. Aber das Buch ist voll feiner Einzelbeobachtungen. psc_059.027 Die empirische Grundlage fehlt, weil sich ja der psc_059.028 Hegelsche Begriff ganz von selbst entwickelt. Vischer ist

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/75
Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/75>, abgerufen am 30.04.2024.