Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_055.001 So weit verfolgen wir, was auf die Tradition der Alten psc_055.009 Es wäre zu untersuchen, ob es im Mittelalter selbständige psc_055.011 psc_055.001 So weit verfolgen wir, was auf die Tradition der Alten psc_055.009 Es wäre zu untersuchen, ob es im Mittelalter selbständige psc_055.011 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0071" n="55"/><lb n="psc_055.001"/> Boileau sucht so seine Bundesgenossen unter den Alten. <lb n="psc_055.002"/> Als im Gegensatz gegen die schwülstige Poesie jene <hi rendition="#aq">raison</hi> <lb n="psc_055.003"/> die herrschende Macht geworden war und die <hi rendition="#aq">imagination</hi> <lb n="psc_055.004"/> immer mehr zurücktrat, da konnte man die <hi rendition="#aq">Art poétique</hi> <lb n="psc_055.005"/> allerdings als philisterhaft ansehen und wieder einen höheren <lb n="psc_055.006"/> Schwung erwünschen. Jmmerhin war sie doch nur ein Nachklang <lb n="psc_055.007"/> antiker Theorie. —</p> <lb n="psc_055.008"/> <p> So weit verfolgen wir, was auf die Tradition der Alten <lb n="psc_055.009"/> zurückgeht.</p> <lb n="psc_055.010"/> <p> Es wäre zu untersuchen, ob es im Mittelalter selbständige <lb n="psc_055.011"/> Ansätze zu einer von den Alten unabhängigen Poetik giebt. <lb n="psc_055.012"/> Eine ausgebildete Künstlerpraxis war sicher vorhanden, und <lb n="psc_055.013"/> ein Bewußtsein dessen was man that, auch Kunstregeln; aber <lb n="psc_055.014"/> wenig Bedürfniß, darüber öffentlich zu reden. So sind <lb n="psc_055.015"/> denn die paar Stellen der Polemik von Dichtern gegen ihre <lb n="psc_055.016"/> Standesgenossen (Gottfried von Straßburg gegen Wolfram <lb n="psc_055.017"/> von Eschenbach; Walther von der Vogelweide gegen Neidhart <lb n="psc_055.018"/> von Reuenthal) und die paar sonstigen litterarischen Stellen <lb n="psc_055.019"/> mit Kunsturtheilen das Einzige, wenigstens bei den Deutschen, <lb n="psc_055.020"/> worauf wir uns berufen können. Jn Gottfrieds Kritik <lb n="psc_055.021"/> muß uns die große Feinheit seines Kunsturtheils mit hoher <lb n="psc_055.022"/> Achtung erfüllen; zwischen ihm und Wolfram herrscht jener <lb n="psc_055.023"/> Gegensatz zwischen Herb und Zierlich, von dem Dionys von <lb n="psc_055.024"/> Halikarnaß gesprochen hat. Aber dieser Angriff Gottfrieds <lb n="psc_055.025"/> sammt Wolframs Antwort reichen nicht aus, um eine <lb n="psc_055.026"/> mittelalterliche Poetik zu reconstruiren. Ein Ausdruck, den <lb n="psc_055.027"/> Gottfried dabei gebraucht, ist seltsam: er spricht von der <lb n="psc_055.028"/> <hi rendition="#aq">glôse</hi> gerade wie Aristoteles über die <foreign xml:lang="grc">γλῶσσαι</foreign> spricht; sollte </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0071]
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Boileau sucht so seine Bundesgenossen unter den Alten. psc_055.002
Als im Gegensatz gegen die schwülstige Poesie jene raison psc_055.003
die herrschende Macht geworden war und die imagination psc_055.004
immer mehr zurücktrat, da konnte man die Art poétique psc_055.005
allerdings als philisterhaft ansehen und wieder einen höheren psc_055.006
Schwung erwünschen. Jmmerhin war sie doch nur ein Nachklang psc_055.007
antiker Theorie. —
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So weit verfolgen wir, was auf die Tradition der Alten psc_055.009
zurückgeht.
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Es wäre zu untersuchen, ob es im Mittelalter selbständige psc_055.011
Ansätze zu einer von den Alten unabhängigen Poetik giebt. psc_055.012
Eine ausgebildete Künstlerpraxis war sicher vorhanden, und psc_055.013
ein Bewußtsein dessen was man that, auch Kunstregeln; aber psc_055.014
wenig Bedürfniß, darüber öffentlich zu reden. So sind psc_055.015
denn die paar Stellen der Polemik von Dichtern gegen ihre psc_055.016
Standesgenossen (Gottfried von Straßburg gegen Wolfram psc_055.017
von Eschenbach; Walther von der Vogelweide gegen Neidhart psc_055.018
von Reuenthal) und die paar sonstigen litterarischen Stellen psc_055.019
mit Kunsturtheilen das Einzige, wenigstens bei den Deutschen, psc_055.020
worauf wir uns berufen können. Jn Gottfrieds Kritik psc_055.021
muß uns die große Feinheit seines Kunsturtheils mit hoher psc_055.022
Achtung erfüllen; zwischen ihm und Wolfram herrscht jener psc_055.023
Gegensatz zwischen Herb und Zierlich, von dem Dionys von psc_055.024
Halikarnaß gesprochen hat. Aber dieser Angriff Gottfrieds psc_055.025
sammt Wolframs Antwort reichen nicht aus, um eine psc_055.026
mittelalterliche Poetik zu reconstruiren. Ein Ausdruck, den psc_055.027
Gottfried dabei gebraucht, ist seltsam: er spricht von der psc_055.028
glôse gerade wie Aristoteles über die γλῶσσαι spricht; sollte
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