Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_020.001 Zwischen jener Zeit Ekhofs und Schröders und der psc_020.013 Jch weiß nicht, wie es die heutige französische Bühne psc_020.025 psc_020.001 Zwischen jener Zeit Ekhofs und Schröders und der psc_020.013 Jch weiß nicht, wie es die heutige französische Bühne psc_020.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0036" n="20"/><lb n="psc_020.001"/> für das Beste zu halten, wobei aber nur ein stärkeres und <lb n="psc_020.002"/> feineres Herausarbeiten der Nuancen erfolgt. Wahrheit und <lb n="psc_020.003"/> feine Charakteristik stehn uns heut am höchsten. Wie weit <lb n="psc_020.004"/> ist denn nun dabei der Rhythmus noch hervorzuheben? Die <lb n="psc_020.005"/> Neigung geht heute dahin, ihn um der natürlichen wahren <lb n="psc_020.006"/> Charakteristik willen zu verwischen. Wir sind wieder zu der <lb n="psc_020.007"/> naturalistischen Kunst der Ekhof und Schröder zurückgekehrt, <lb n="psc_020.008"/> zu der Art jener Zeit, in welcher man die ungebundene <lb n="psc_020.009"/> Rede für die Tragödie vorzog. So ist auch jetzt wieder der <lb n="psc_020.010"/> Conflict mit dem Rhythmus modern: Schauspieler lassen sich <lb n="psc_020.011"/> bei Jambenstücken ihre Rollen in Prosa ausschreiben.</p> <lb n="psc_020.012"/> <p> Zwischen jener Zeit Ekhofs und Schröders und der <lb n="psc_020.013"/> Gegenwart liegt die Einführung des fünffüßigen Jambus, <lb n="psc_020.014"/> die Zeit der weimarischen Bühne, wo auf strenge Hervorhebung <lb n="psc_020.015"/> des Rhythmus geachtet wurde — wir wissen natürlich <lb n="psc_020.016"/> nicht genau, in welchem Maß, wie weit im Gegensatz <lb n="psc_020.017"/> zur Naturwahrheit. Und <hi rendition="#g">vor</hi> jener Zeit des Naturalismus, <lb n="psc_020.018"/> der Natürlichkeit, in den Tagen Gottscheds herrschte vermuthlich <lb n="psc_020.019"/> bei uns wieder die strengere Form, der französische Stil, <lb n="psc_020.020"/> d. h. wahrscheinlich das tragische Tremolo, eine erstaunliche <lb n="psc_020.021"/> Form unnatürlicher Rede, welche von vornherein pathetisch <lb n="psc_020.022"/> die natürliche Gliederung der Declamation mit gleichmäßig <lb n="psc_020.023"/> tragischen Falten bedeckt.</p> <lb n="psc_020.024"/> <p> Jch weiß nicht, wie es die heutige französische Bühne <lb n="psc_020.025"/> hält. Jm Jahr 1875 fand ich sie im Schwanken: Sarah <lb n="psc_020.026"/> Bernhardt sprach in der mittelalterlichen Tragödie (<hi rendition="#aq">La fille <lb n="psc_020.027"/> de Roland</hi>) wie im modernen Drama; keine Rücksicht als <lb n="psc_020.028"/> auf den Accent der Wahrheit, möglichste Anknüpfung an die </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0036]
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für das Beste zu halten, wobei aber nur ein stärkeres und psc_020.002
feineres Herausarbeiten der Nuancen erfolgt. Wahrheit und psc_020.003
feine Charakteristik stehn uns heut am höchsten. Wie weit psc_020.004
ist denn nun dabei der Rhythmus noch hervorzuheben? Die psc_020.005
Neigung geht heute dahin, ihn um der natürlichen wahren psc_020.006
Charakteristik willen zu verwischen. Wir sind wieder zu der psc_020.007
naturalistischen Kunst der Ekhof und Schröder zurückgekehrt, psc_020.008
zu der Art jener Zeit, in welcher man die ungebundene psc_020.009
Rede für die Tragödie vorzog. So ist auch jetzt wieder der psc_020.010
Conflict mit dem Rhythmus modern: Schauspieler lassen sich psc_020.011
bei Jambenstücken ihre Rollen in Prosa ausschreiben.
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Gegenwart liegt die Einführung des fünffüßigen Jambus, psc_020.014
die Zeit der weimarischen Bühne, wo auf strenge Hervorhebung psc_020.015
des Rhythmus geachtet wurde — wir wissen natürlich psc_020.016
nicht genau, in welchem Maß, wie weit im Gegensatz psc_020.017
zur Naturwahrheit. Und vor jener Zeit des Naturalismus, psc_020.018
der Natürlichkeit, in den Tagen Gottscheds herrschte vermuthlich psc_020.019
bei uns wieder die strengere Form, der französische Stil, psc_020.020
d. h. wahrscheinlich das tragische Tremolo, eine erstaunliche psc_020.021
Form unnatürlicher Rede, welche von vornherein pathetisch psc_020.022
die natürliche Gliederung der Declamation mit gleichmäßig psc_020.023
tragischen Falten bedeckt.
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Jch weiß nicht, wie es die heutige französische Bühne psc_020.025
hält. Jm Jahr 1875 fand ich sie im Schwanken: Sarah psc_020.026
Bernhardt sprach in der mittelalterlichen Tragödie (La fille psc_020.027
de Roland) wie im modernen Drama; keine Rücksicht als psc_020.028
auf den Accent der Wahrheit, möglichste Anknüpfung an die
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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