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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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Composition. Auch im Roman vertreten solche Compositionen psc_258.002
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Wir haben von der Sprache schon gehandelt in der psc_258.005
Lehre vom Publicum: unter 4) "Aufmerksamkeit und Spannung" psc_258.006
und besonders d) "Leichtigkeit der Auffassung"; ferner psc_258.007
Kap. 5, I. c) "Aus der Lehre von den Zeichen."

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Verhältnißmäßig geringere Wichtigkeit hat die Sprache psc_258.009
im Drama, der Handlung gegenüber; so ist z. B. Grillparzer psc_258.010
ein sehr guter Dramatiker trotz seiner Schwäche in der Sprache. psc_258.011
Aber die Sprache gehört immer zu den ästhetischen Hilfen.

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Vgl. Lessing im "Laokoon" Abschnitt 16 und 17 (Hempel psc_258.013
6, 38 f.) und die Entwürfe (S. 307 f.); dazu Marty, psc_258.014
Die Frage nach der geschichtlichen Entwicklung des Farbensinns psc_258.015
(Wien 1879) S. 130 f.

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wurde schon oben bemerkt, daß beschreibende Poesie allerdings psc_258.018
möglich sei, d. h. man kann die im Raum coexistirenden psc_258.019
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schweift -- aber wenn das Gesammtbild entstehen soll, so psc_258.021
setzt dies voraus, daß ich als Publicum gleichsam innerlich psc_258.022
male, die Züge auf eine Fläche eintrage -- was ein starkes psc_258.023
und dafür geschultes Gedächtniß erfordert und eine geordnete, psc_258.024
darauf gerichtete Thätigkeit, kurz Anstrengung des psc_258.025
Lesers, nicht Genuß. Diese Arbeit leisten wir ungern. Wie psc_258.026
ungern lesen wir die langsamen, gründlichen Eingänge und psc_258.027
Personalbeschreibungen des Walter Scott! Jch selbst bin

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Composition. Auch im Roman vertreten solche Compositionen psc_258.002
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  Wir haben von der Sprache schon gehandelt in der psc_258.005
Lehre vom Publicum: unter 4) „Aufmerksamkeit und Spannung“ psc_258.006
und besonders d) „Leichtigkeit der Auffassung“; ferner psc_258.007
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  Verhältnißmäßig geringere Wichtigkeit hat die Sprache psc_258.009
im Drama, der Handlung gegenüber; so ist z. B. Grillparzer psc_258.010
ein sehr guter Dramatiker trotz seiner Schwäche in der Sprache. psc_258.011
Aber die Sprache gehört immer zu den ästhetischen Hilfen.

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  Vgl. Lessing im „Laokoon“ Abschnitt 16 und 17 (Hempel psc_258.013
6, 38 f.) und die Entwürfe (S. 307 f.); dazu Marty, psc_258.014
Die Frage nach der geschichtlichen Entwicklung des Farbensinns psc_258.015
(Wien 1879) S. 130 f.

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  Lessing hat auch die beschreibende Poesie bekämpft. Es psc_258.017
wurde schon oben bemerkt, daß beschreibende Poesie allerdings psc_258.018
möglich sei, d. h. man kann die im Raum coexistirenden psc_258.019
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[258/0274] psc_258.001 Composition. Auch im Roman vertreten solche Compositionen psc_258.002 eine lockere Einheit. — psc_258.003 IV. Sprache. psc_258.004   Wir haben von der Sprache schon gehandelt in der psc_258.005 Lehre vom Publicum: unter 4) „Aufmerksamkeit und Spannung“ psc_258.006 und besonders d) „Leichtigkeit der Auffassung“; ferner psc_258.007 Kap. 5, I. c) „Aus der Lehre von den Zeichen.“ psc_258.008   Verhältnißmäßig geringere Wichtigkeit hat die Sprache psc_258.009 im Drama, der Handlung gegenüber; so ist z. B. Grillparzer psc_258.010 ein sehr guter Dramatiker trotz seiner Schwäche in der Sprache. psc_258.011 Aber die Sprache gehört immer zu den ästhetischen Hilfen. psc_258.012   Vgl. Lessing im „Laokoon“ Abschnitt 16 und 17 (Hempel psc_258.013 6, 38 f.) und die Entwürfe (S. 307 f.); dazu Marty, psc_258.014 Die Frage nach der geschichtlichen Entwicklung des Farbensinns psc_258.015 (Wien 1879) S. 130 f. psc_258.016   Lessing hat auch die beschreibende Poesie bekämpft. Es psc_258.017 wurde schon oben bemerkt, daß beschreibende Poesie allerdings psc_258.018 möglich sei, d. h. man kann die im Raum coexistirenden psc_258.019 Züge nacheinander anführen, wie das Auge allmälig darüber psc_258.020 schweift — aber wenn das Gesammtbild entstehen soll, so psc_258.021 setzt dies voraus, daß ich als Publicum gleichsam innerlich psc_258.022 male, die Züge auf eine Fläche eintrage — was ein starkes psc_258.023 und dafür geschultes Gedächtniß erfordert und eine geordnete, psc_258.024 darauf gerichtete Thätigkeit, kurz Anstrengung des psc_258.025 Lesers, nicht Genuß. Diese Arbeit leisten wir ungern. Wie psc_258.026 ungern lesen wir die langsamen, gründlichen Eingänge und psc_258.027 Personalbeschreibungen des Walter Scott! Jch selbst bin

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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/274>, abgerufen am 13.05.2024.