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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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Die starke Ausbreitung im kleinsten Zeitraum, wie in "Hermann psc_250.002
und Dorothea", erfordert die höchste Kunst. Das sind psc_250.003
die Extreme: dazwischen liegt Vieles.

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Auch in der Erzählung kann natürlich die Form des psc_250.005
Dialogs auftreten; und in der Art, wie die redenden Personen psc_250.006
eingeführt werden, herrscht eine große Verschiedenheit. psc_250.007
Heinrich von Kleist z. B. findet es richtig, bloß indirecte psc_250.008
oder fast bloß indirecte Rede in seine Novellen einfließen zu psc_250.009
lassen. Ferner ist es ein alter Unterschied, ob die Redner psc_250.010
ausdrücklich eingeführt werden, oder ob man sie errathen muß.

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Über die Technik der Erzählung handelt Spielhagen an verschiedenen psc_250.012
Orten; er hat hauptsächlich den Roman im Auge. psc_250.013
Dergleichen ist sehr lehrreich. Ferner Heinzel, Beschreibung der psc_250.014
isländischen Saga (Wiener Sitzungsberichte 97, 107).

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Romane in Briefen sind eine besondere Form für sich psc_250.016
und fallen eigentlich in die Abtheilung der Briefe. --

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Ebenso bestimmt ist andererseits das Drama charakterisirt. psc_250.018
Der Dichter redet nur in Rollen, und zwar in einzelnen psc_250.019
Personen durch Rollen; er verschwindet vollkommen und psc_250.020
Alles ist immer nachahmende Darstellung des Gegenwärtigen; psc_250.021
auch wenn Vergangenes erzählt wird, ist es als gegenwärtig psc_250.022
dargestellt. Das Drama verwendet alle Formen der psc_250.023
Rede: Monolog, Dialog, Vortrag.

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Daran schließen sich nun aber weiter an als eine halbdramatische psc_250.025
Gattung, sofern der Dichter in Rollen spricht, psc_250.026
eine Rolle durchführt: die Rollenlieder der Lyrik. Ferner die psc_250.027
Dialoge der Lyrik, überhaupt alle Dialoge, höchstens modificirt psc_250.028
dadurch, daß der Autor sich selbst einführt als einen

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Die starke Ausbreitung im kleinsten Zeitraum, wie in „Hermann psc_250.002
und Dorothea“, erfordert die höchste Kunst. Das sind psc_250.003
die Extreme: dazwischen liegt Vieles.

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  Auch in der Erzählung kann natürlich die Form des psc_250.005
Dialogs auftreten; und in der Art, wie die redenden Personen psc_250.006
eingeführt werden, herrscht eine große Verschiedenheit. psc_250.007
Heinrich von Kleist z. B. findet es richtig, bloß indirecte psc_250.008
oder fast bloß indirecte Rede in seine Novellen einfließen zu psc_250.009
lassen. Ferner ist es ein alter Unterschied, ob die Redner psc_250.010
ausdrücklich eingeführt werden, oder ob man sie errathen muß.

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  Über die Technik der Erzählung handelt Spielhagen an verschiedenen psc_250.012
Orten; er hat hauptsächlich den Roman im Auge. psc_250.013
Dergleichen ist sehr lehrreich. Ferner Heinzel, Beschreibung der psc_250.014
isländischen Saga (Wiener Sitzungsberichte 97, 107).

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  Romane in Briefen sind eine besondere Form für sich psc_250.016
und fallen eigentlich in die Abtheilung der Briefe. —

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  Ebenso bestimmt ist andererseits das Drama charakterisirt. psc_250.018
Der Dichter redet nur in Rollen, und zwar in einzelnen psc_250.019
Personen durch Rollen; er verschwindet vollkommen und psc_250.020
Alles ist immer nachahmende Darstellung des Gegenwärtigen; psc_250.021
auch wenn Vergangenes erzählt wird, ist es als gegenwärtig psc_250.022
dargestellt. Das Drama verwendet alle Formen der psc_250.023
Rede: Monolog, Dialog, Vortrag.

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  Daran schließen sich nun aber weiter an als eine halbdramatische psc_250.025
Gattung, sofern der Dichter in Rollen spricht, psc_250.026
eine Rolle durchführt: die Rollenlieder der Lyrik. Ferner die psc_250.027
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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/266>, abgerufen am 13.05.2024.