Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_236.001 1) Darstellung eines Charakters: sie erfolgt entweder psc_236.008 Mvn kann Beides vereinigen, indem man ein Bild des psc_236.028 psc_236.001 1) Darstellung eines Charakters: sie erfolgt entweder psc_236.008 Mvn kann Beides vereinigen, indem man ein Bild des psc_236.028 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0252" n="236"/><lb n="psc_236.001"/> des Publicums rechne, kann ich das Jnteresse durch die indirecte <lb n="psc_236.002"/> oder symptomatische Darstellung erhöhen, indem ich <lb n="psc_236.003"/> die Ursache verschweige und sie aus Symptomen errathen <lb n="psc_236.004"/> lasse. Wo man nichts errathen läßt, ist die Darstellung <lb n="psc_236.005"/> direct. Ein Mittel indirecter Darstellung ist aber auch die <lb n="psc_236.006"/> Jronie.</p> <lb n="psc_236.007"/> <p> 1) Darstellung eines Charakters: sie erfolgt entweder <lb n="psc_236.008"/> durch directe Charakteristik, d. h. ich zähle die Eigenschaften <lb n="psc_236.009"/> auf, die jemand besitzt. Das geschieht gewöhnlich in der <lb n="psc_236.010"/> Historiographie, wo ein bedeutender Mann zu schildern ist. <lb n="psc_236.011"/> Wir arbeiten dann direct mit psychologischen Kategorien. Dies <lb n="psc_236.012"/> ist wissenschaftliche Charakteristik. Solche Charakteristik wird <lb n="psc_236.013"/> vielfältig auch in Romanen angewandt. Aber diese Form gilt <lb n="psc_236.014"/> jetzt nicht mehr für eine kunstvolle Darstellung. Man zieht <lb n="psc_236.015"/> die indirecte vor, bei welcher man aus Worten, Gesinnungen, <lb n="psc_236.016"/> Thaten gewisse Eigenschaften und so den ganzen Charakter errathen <lb n="psc_236.017"/> läßt. Der Autor bezeichnet also gar nicht direct, und <lb n="psc_236.018"/> der Leser muß schließen — gerade wie wir im Leben verfahren, <lb n="psc_236.019"/> indem ein Jeder das Bild eines Menschen aus seinen Thaten, <lb n="psc_236.020"/> Worten, Neigungen sich entwirft. So also verfährt die <lb n="psc_236.021"/> heutige Poesie mit Vorliebe. Dabei kann noch der Unterschied <lb n="psc_236.022"/> sein, ob man den Charakter sich episch entwickeln läßt <lb n="psc_236.023"/> oder ob man dennoch eine zusammenfassende Charakteristik <lb n="psc_236.024"/> giebt, die nicht mit Eigenschaftswörtern operirt, sondern an <lb n="psc_236.025"/> Stelle einer directen Charakteristik eine Reihe von Thaten <lb n="psc_236.026"/> des Helden zur Übersicht stellt.</p> <lb n="psc_236.027"/> <p> Mvn kann Beides vereinigen, indem man ein Bild des <lb n="psc_236.028"/> Charakters so entwirft, daß man die Eigenschaften nennt und </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [236/0252]
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des Publicums rechne, kann ich das Jnteresse durch die indirecte psc_236.002
oder symptomatische Darstellung erhöhen, indem ich psc_236.003
die Ursache verschweige und sie aus Symptomen errathen psc_236.004
lasse. Wo man nichts errathen läßt, ist die Darstellung psc_236.005
direct. Ein Mittel indirecter Darstellung ist aber auch die psc_236.006
Jronie.
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1) Darstellung eines Charakters: sie erfolgt entweder psc_236.008
durch directe Charakteristik, d. h. ich zähle die Eigenschaften psc_236.009
auf, die jemand besitzt. Das geschieht gewöhnlich in der psc_236.010
Historiographie, wo ein bedeutender Mann zu schildern ist. psc_236.011
Wir arbeiten dann direct mit psychologischen Kategorien. Dies psc_236.012
ist wissenschaftliche Charakteristik. Solche Charakteristik wird psc_236.013
vielfältig auch in Romanen angewandt. Aber diese Form gilt psc_236.014
jetzt nicht mehr für eine kunstvolle Darstellung. Man zieht psc_236.015
die indirecte vor, bei welcher man aus Worten, Gesinnungen, psc_236.016
Thaten gewisse Eigenschaften und so den ganzen Charakter errathen psc_236.017
läßt. Der Autor bezeichnet also gar nicht direct, und psc_236.018
der Leser muß schließen — gerade wie wir im Leben verfahren, psc_236.019
indem ein Jeder das Bild eines Menschen aus seinen Thaten, psc_236.020
Worten, Neigungen sich entwirft. So also verfährt die psc_236.021
heutige Poesie mit Vorliebe. Dabei kann noch der Unterschied psc_236.022
sein, ob man den Charakter sich episch entwickeln läßt psc_236.023
oder ob man dennoch eine zusammenfassende Charakteristik psc_236.024
giebt, die nicht mit Eigenschaftswörtern operirt, sondern an psc_236.025
Stelle einer directen Charakteristik eine Reihe von Thaten psc_236.026
des Helden zur Übersicht stellt.
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Charakters so entwirft, daß man die Eigenschaften nennt und
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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