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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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so muß man für die Beurtheilung solcher Werke auch mit psc_213.002
der Aesthetik ihrer Autoren, d. h. mit den ästhetischen Ansichten psc_213.003
dieser Schriftsteller und ihrer ästhetischen Terminologie psc_213.004
rechnen. Wenn ich freilich einen vollständigen Roman um psc_213.005
solch einer "Jdee" willen lesen soll, dann sage ich mir: tant psc_213.006
de bruit pour une omelette
! Die Schilderung des Lebens psc_213.007
wird da zu einer Fabel degradirt. Wo man aber an die psc_213.008
großen Weltdichter herantritt: Homer, Shakespeare, Goethe, psc_213.009
da handelt es sich um mehr als eine solche Jdee. Stoffe, psc_213.010
Motive bietet das Verhältniß des Achilleus zu Agamemnon, psc_213.011
aber nicht einen einzelnen Moralsatz.

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Goethe spricht zuweilen vom "Motiviren" eines Stoffes psc_213.013
in dem Sinn, daß er die Entfaltung des Hauptmotivs nach psc_213.014
den Nebenmotiven hin, wie sie im Entwurf stattfindet, meint.

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Welche Motive stehen dem Dichter zu Gebote?

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Abgesehen von den Fällen, wo es sich um Unbeseeltes psc_213.017
und unbeseelt Gedachtes handelt, hat die allgemeine Motivenlehre psc_213.018
eine Übersicht menschlichen Wesens, Fühlens, Denkens, psc_213.019
Thuns zu geben.

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Mit einem Wort: die allgemeine Motivenlehre ist die psc_213.021
Ethik -- die Ethik nicht wie sie ist, sondern wie sie sein psc_213.022
sollte nach der Schleiermacherschen Absicht, die aber auch psc_213.023
von ihm nicht breit genug entfaltet ist: eine volle Schilderung psc_213.024
menschlichen Denkens und Thuns. Noch könnte eine psc_213.025
solche Ethik mehr aus der Poesie schöpfen als umgekehrt: psc_213.026
ausgeführt ist sie noch nicht. Ethische Documente psc_213.027
können -- neben der Poesie -- viel helfen: was von psc_213.028
der Kirche über Tugend und Laster geschrieben worden, wie

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Motive bietet das Verhältniß des Achilleus zu Agamemnon, psc_213.011
aber nicht einen einzelnen Moralsatz.

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in dem Sinn, daß er die Entfaltung des Hauptmotivs nach psc_213.014
den Nebenmotiven hin, wie sie im Entwurf stattfindet, meint.

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  Welche Motive stehen dem Dichter zu Gebote?

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und unbeseelt Gedachtes handelt, hat die allgemeine Motivenlehre psc_213.018
eine Übersicht menschlichen Wesens, Fühlens, Denkens, psc_213.019
Thuns zu geben.

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[213/0229] psc_213.001 so muß man für die Beurtheilung solcher Werke auch mit psc_213.002 der Aesthetik ihrer Autoren, d. h. mit den ästhetischen Ansichten psc_213.003 dieser Schriftsteller und ihrer ästhetischen Terminologie psc_213.004 rechnen. Wenn ich freilich einen vollständigen Roman um psc_213.005 solch einer „Jdee“ willen lesen soll, dann sage ich mir: tant psc_213.006 de bruit pour une omelette! Die Schilderung des Lebens psc_213.007 wird da zu einer Fabel degradirt. Wo man aber an die psc_213.008 großen Weltdichter herantritt: Homer, Shakespeare, Goethe, psc_213.009 da handelt es sich um mehr als eine solche Jdee. Stoffe, psc_213.010 Motive bietet das Verhältniß des Achilleus zu Agamemnon, psc_213.011 aber nicht einen einzelnen Moralsatz. psc_213.012   Goethe spricht zuweilen vom „Motiviren“ eines Stoffes psc_213.013 in dem Sinn, daß er die Entfaltung des Hauptmotivs nach psc_213.014 den Nebenmotiven hin, wie sie im Entwurf stattfindet, meint. psc_213.015   Welche Motive stehen dem Dichter zu Gebote? psc_213.016   Abgesehen von den Fällen, wo es sich um Unbeseeltes psc_213.017 und unbeseelt Gedachtes handelt, hat die allgemeine Motivenlehre psc_213.018 eine Übersicht menschlichen Wesens, Fühlens, Denkens, psc_213.019 Thuns zu geben. psc_213.020   Mit einem Wort: die allgemeine Motivenlehre ist die psc_213.021 Ethik — die Ethik nicht wie sie ist, sondern wie sie sein psc_213.022 sollte nach der Schleiermacherschen Absicht, die aber auch psc_213.023 von ihm nicht breit genug entfaltet ist: eine volle Schilderung psc_213.024 menschlichen Denkens und Thuns. Noch könnte eine psc_213.025 solche Ethik mehr aus der Poesie schöpfen als umgekehrt: psc_213.026 ausgeführt ist sie noch nicht. Ethische Documente psc_213.027 können — neben der Poesie — viel helfen: was von psc_213.028 der Kirche über Tugend und Laster geschrieben worden, wie

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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/229>, abgerufen am 25.11.2024.