Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

man zu einer geistreichen Ueberlieferung, daß
sie mit Urtheil verbunden sey; aber wenn schon
das allseitige und richtige Auffassen fremder Er¬
findungen, ohne eignes Vermögen zu Ideen,
unmöglich ist, wie viel unmöglicher noch das
Urtheilen? Daß in Deutschland so viel von
solchen geurtheilt wird, aus denen, wenn man
sie auf den Kopf stellte, kein eigner Gedanke
herausfiele, beweist nichts; mit solchen Ur¬
theilen, als diese zu geben im Stande sind,
wäre der Wissenschaft gewiß nicht gedient.

-- Die nothwendige Folge des Unvermögens,
das Ganze seiner Wissenschaft sich aus sich selbst
zu construiren und aus innerer, lebendiger An¬
schauung darzustellen, ist der bloß historische
Vortrag derselben, z.B. der bekannte in der
Philosophie: "Wenn wir unsere Aufmerksam¬
keit auf uns selbst richten, so werden wir ver¬
schiedene Aeußerungen dessen gewahr, was man
die Seele nennt. -- Man hat diese verschied¬
nen Wirkungen auf verschiedene Vermögen zu¬
rückgebracht. -- Man nennt diese Vermögen

man zu einer geiſtreichen Ueberlieferung, daß
ſie mit Urtheil verbunden ſey; aber wenn ſchon
das allſeitige und richtige Auffaſſen fremder Er¬
findungen, ohne eignes Vermoͤgen zu Ideen,
unmoͤglich iſt, wie viel unmoͤglicher noch das
Urtheilen? Daß in Deutſchland ſo viel von
ſolchen geurtheilt wird, aus denen, wenn man
ſie auf den Kopf ſtellte, kein eigner Gedanke
herausfiele, beweiſt nichts; mit ſolchen Ur¬
theilen, als dieſe zu geben im Stande ſind,
waͤre der Wiſſenſchaft gewiß nicht gedient.

— Die nothwendige Folge des Unvermoͤgens,
das Ganze ſeiner Wiſſenſchaft ſich aus ſich ſelbſt
zu conſtruiren und aus innerer, lebendiger An¬
ſchauung darzuſtellen, iſt der bloß hiſtoriſche
Vortrag derſelben, z.B. der bekannte in der
Philoſophie: „Wenn wir unſere Aufmerkſam¬
keit auf uns ſelbſt richten, ſo werden wir ver¬
ſchiedene Aeußerungen deſſen gewahr, was man
die Seele nennt. — Man hat dieſe verſchied¬
nen Wirkungen auf verſchiedene Vermoͤgen zu¬
ruͤckgebracht. — Man nennt dieſe Vermoͤgen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0057" n="48"/>
man zu einer gei&#x017F;treichen Ueberlieferung, daß<lb/>
&#x017F;ie mit Urtheil verbunden &#x017F;ey; aber wenn &#x017F;chon<lb/>
das all&#x017F;eitige und richtige Auffa&#x017F;&#x017F;en fremder Er¬<lb/>
findungen, ohne eignes Vermo&#x0364;gen zu Ideen,<lb/>
unmo&#x0364;glich i&#x017F;t, wie viel unmo&#x0364;glicher noch das<lb/>
Urtheilen? Daß in Deut&#x017F;chland &#x017F;o viel von<lb/>
&#x017F;olchen geurtheilt wird, aus denen, wenn man<lb/>
&#x017F;ie auf den Kopf &#x017F;tellte, kein eigner Gedanke<lb/>
herausfiele, bewei&#x017F;t nichts; mit &#x017F;olchen Ur¬<lb/>
theilen, als die&#x017F;e zu geben im Stande &#x017F;ind,<lb/>
wa&#x0364;re der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft gewiß nicht gedient.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Die nothwendige Folge des Unvermo&#x0364;gens,<lb/>
das Ganze &#x017F;einer Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;ich aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zu con&#x017F;truiren und aus innerer, lebendiger An¬<lb/>
&#x017F;chauung darzu&#x017F;tellen, i&#x017F;t der bloß hi&#x017F;tori&#x017F;che<lb/>
Vortrag der&#x017F;elben, z.B. der bekannte in der<lb/>
Philo&#x017F;ophie: &#x201E;Wenn wir un&#x017F;ere Aufmerk&#x017F;am¬<lb/>
keit auf uns &#x017F;elb&#x017F;t richten, &#x017F;o werden wir ver¬<lb/>
&#x017F;chiedene Aeußerungen de&#x017F;&#x017F;en gewahr, was man<lb/>
die Seele nennt. &#x2014; Man hat die&#x017F;e ver&#x017F;chied¬<lb/>
nen Wirkungen auf ver&#x017F;chiedene Vermo&#x0364;gen zu¬<lb/>
ru&#x0364;ckgebracht. &#x2014; Man nennt die&#x017F;e Vermo&#x0364;gen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0057] man zu einer geiſtreichen Ueberlieferung, daß ſie mit Urtheil verbunden ſey; aber wenn ſchon das allſeitige und richtige Auffaſſen fremder Er¬ findungen, ohne eignes Vermoͤgen zu Ideen, unmoͤglich iſt, wie viel unmoͤglicher noch das Urtheilen? Daß in Deutſchland ſo viel von ſolchen geurtheilt wird, aus denen, wenn man ſie auf den Kopf ſtellte, kein eigner Gedanke herausfiele, beweiſt nichts; mit ſolchen Ur¬ theilen, als dieſe zu geben im Stande ſind, waͤre der Wiſſenſchaft gewiß nicht gedient. — Die nothwendige Folge des Unvermoͤgens, das Ganze ſeiner Wiſſenſchaft ſich aus ſich ſelbſt zu conſtruiren und aus innerer, lebendiger An¬ ſchauung darzuſtellen, iſt der bloß hiſtoriſche Vortrag derſelben, z.B. der bekannte in der Philoſophie: „Wenn wir unſere Aufmerkſam¬ keit auf uns ſelbſt richten, ſo werden wir ver¬ ſchiedene Aeußerungen deſſen gewahr, was man die Seele nennt. — Man hat dieſe verſchied¬ nen Wirkungen auf verſchiedene Vermoͤgen zu¬ ruͤckgebracht. — Man nennt dieſe Vermoͤgen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/57
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/57>, abgerufen am 24.11.2024.