Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

tion dieser sittlichen Organisation ist eine ganz
gleiche Aufgabe mit der der Construction der
Natur, und ruht auf spekulativen Ideen. Der
Zerfall der äußern und innern sittlichen Einheit
müßte sich durch den Zerfall der Philosophie
und die Auflösung der Ideen ausdrücken. So
lange es aber nur die sichtbare Ohnmacht ist,
welche die Sache des gemeinen Verstandes, da
er in seiner natürlichen Gestalt nicht mehr er¬
scheinen kann, unter dem erborgten Namen der
Sittlichkeit führt, ist dieser kraftlose Chor nur
die nothwendige, der Schwachheit zugegebene,
Begleitung des energischen Rhythmus der Zeit.

Die Sittlichkeit, nachdem der Begriff
derselben lange genug bloß negativ gewesen, in
ihren positiven Formen zu offenbaren, wird ein
Werk der Philosophie seyn. Die Scheu vor
der Spekulation, das angebliche Forteilen vom
bloß Theoretischen zum Praktischen, bewirkt im
Handeln nothwendig die gleiche Flachheit wie
im Wissen. Das Studium einer streng theo¬
retischen Philosophie macht uns am unmittel¬
barsten mit Ideen vertraut, und nur Ideen

10 *

tion dieſer ſittlichen Organiſation iſt eine ganz
gleiche Aufgabe mit der der Conſtruction der
Natur, und ruht auf ſpekulativen Ideen. Der
Zerfall der aͤußern und innern ſittlichen Einheit
muͤßte ſich durch den Zerfall der Philoſophie
und die Aufloͤſung der Ideen ausdruͤcken. So
lange es aber nur die ſichtbare Ohnmacht iſt,
welche die Sache des gemeinen Verſtandes, da
er in ſeiner natuͤrlichen Geſtalt nicht mehr er¬
ſcheinen kann, unter dem erborgten Namen der
Sittlichkeit fuͤhrt, iſt dieſer kraftloſe Chor nur
die nothwendige, der Schwachheit zugegebene,
Begleitung des energiſchen Rhythmus der Zeit.

Die Sittlichkeit, nachdem der Begriff
derſelben lange genug bloß negativ geweſen, in
ihren poſitiven Formen zu offenbaren, wird ein
Werk der Philoſophie ſeyn. Die Scheu vor
der Spekulation, das angebliche Forteilen vom
bloß Theoretiſchen zum Praktiſchen, bewirkt im
Handeln nothwendig die gleiche Flachheit wie
im Wiſſen. Das Studium einer ſtreng theo¬
retiſchen Philoſophie macht uns am unmittel¬
barſten mit Ideen vertraut, und nur Ideen

10 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0156" n="147"/>
tion die&#x017F;er &#x017F;ittlichen Organi&#x017F;ation i&#x017F;t eine ganz<lb/>
gleiche Aufgabe mit der der Con&#x017F;truction der<lb/>
Natur, und ruht auf &#x017F;pekulativen Ideen. Der<lb/>
Zerfall der a&#x0364;ußern und innern &#x017F;ittlichen Einheit<lb/>
mu&#x0364;ßte &#x017F;ich durch den Zerfall der Philo&#x017F;ophie<lb/>
und die Auflo&#x0364;&#x017F;ung der Ideen ausdru&#x0364;cken. So<lb/>
lange es aber nur die &#x017F;ichtbare Ohnmacht i&#x017F;t,<lb/>
welche die Sache des gemeinen Ver&#x017F;tandes, da<lb/>
er in &#x017F;einer natu&#x0364;rlichen Ge&#x017F;talt nicht mehr er¬<lb/>
&#x017F;cheinen kann, unter dem erborgten Namen der<lb/>
Sittlichkeit fu&#x0364;hrt, i&#x017F;t die&#x017F;er kraftlo&#x017F;e Chor nur<lb/>
die nothwendige, der Schwachheit zugegebene,<lb/>
Begleitung des energi&#x017F;chen Rhythmus der Zeit.</p><lb/>
        <p>Die Sittlichkeit, nachdem der Begriff<lb/>
der&#x017F;elben lange genug bloß negativ gewe&#x017F;en, in<lb/>
ihren po&#x017F;itiven Formen zu offenbaren, wird ein<lb/>
Werk der Philo&#x017F;ophie &#x017F;eyn. Die Scheu vor<lb/>
der Spekulation, das angebliche Forteilen vom<lb/>
bloß Theoreti&#x017F;chen zum Prakti&#x017F;chen, bewirkt im<lb/>
Handeln nothwendig die gleiche Flachheit wie<lb/>
im Wi&#x017F;&#x017F;en. Das Studium einer &#x017F;treng theo¬<lb/>
reti&#x017F;chen Philo&#x017F;ophie macht uns am unmittel¬<lb/>
bar&#x017F;ten mit Ideen vertraut, und nur Ideen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0156] tion dieſer ſittlichen Organiſation iſt eine ganz gleiche Aufgabe mit der der Conſtruction der Natur, und ruht auf ſpekulativen Ideen. Der Zerfall der aͤußern und innern ſittlichen Einheit muͤßte ſich durch den Zerfall der Philoſophie und die Aufloͤſung der Ideen ausdruͤcken. So lange es aber nur die ſichtbare Ohnmacht iſt, welche die Sache des gemeinen Verſtandes, da er in ſeiner natuͤrlichen Geſtalt nicht mehr er¬ ſcheinen kann, unter dem erborgten Namen der Sittlichkeit fuͤhrt, iſt dieſer kraftloſe Chor nur die nothwendige, der Schwachheit zugegebene, Begleitung des energiſchen Rhythmus der Zeit. Die Sittlichkeit, nachdem der Begriff derſelben lange genug bloß negativ geweſen, in ihren poſitiven Formen zu offenbaren, wird ein Werk der Philoſophie ſeyn. Die Scheu vor der Spekulation, das angebliche Forteilen vom bloß Theoretiſchen zum Praktiſchen, bewirkt im Handeln nothwendig die gleiche Flachheit wie im Wiſſen. Das Studium einer ſtreng theo¬ retiſchen Philoſophie macht uns am unmittel¬ barſten mit Ideen vertraut, und nur Ideen 10 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/156
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/156>, abgerufen am 03.05.2024.