das Uebergewicht der einen Seelenkraft über die andere und in so fern eine Krankheit, eine Abnormität, statt daß bey den vernünftigen, ordentlichen, nüchternen Menschen alles in be¬ haglichem Gleichgewicht und darum in voll¬ kommner Gesundheit ist.
Eine bloß empirische, auf Thatsachen be¬ ruhende, eben so wie eine bloß analytische und formale Philosophie, kann überhaupt nicht zum Wissen bilden; eine einseitige Philosophie we¬ nigstens nicht zum absoluten Wissen, da sie viel¬ mehr für alle Gegenstände desselben nur einen eingeschränkten Gesichtspunct bestimmt.
Die Möglichkeit einer zwar spekulativen, aber übrigens beschränkten Philosophie ist da¬ durch gegeben, daß weil Alles in Allem wieder¬ kehrt und auf allen möglichen Stufen dieselbe Identität nur unter verschiedenen Gestalten sich wiederholt, diese an einem untergeordneten Punct der Reflexion aufgefaßt und in der be¬ sondern Form, in der sie auf diesem erscheint, zum Princip der absoluten Wissenschaft gemacht werden kann. Die Philosophie, die aus ei¬
das Uebergewicht der einen Seelenkraft uͤber die andere und in ſo fern eine Krankheit, eine Abnormitaͤt, ſtatt daß bey den vernuͤnftigen, ordentlichen, nuͤchternen Menſchen alles in be¬ haglichem Gleichgewicht und darum in voll¬ kommner Geſundheit iſt.
Eine bloß empiriſche, auf Thatſachen be¬ ruhende, eben ſo wie eine bloß analytiſche und formale Philoſophie, kann uͤberhaupt nicht zum Wiſſen bilden; eine einſeitige Philoſophie we¬ nigſtens nicht zum abſoluten Wiſſen, da ſie viel¬ mehr fuͤr alle Gegenſtaͤnde deſſelben nur einen eingeſchraͤnkten Geſichtspunct beſtimmt.
Die Moͤglichkeit einer zwar ſpekulativen, aber uͤbrigens beſchraͤnkten Philoſophie iſt da¬ durch gegeben, daß weil Alles in Allem wieder¬ kehrt und auf allen moͤglichen Stufen dieſelbe Identitaͤt nur unter verſchiedenen Geſtalten ſich wiederholt, dieſe an einem untergeordneten Punct der Reflexion aufgefaßt und in der be¬ ſondern Form, in der ſie auf dieſem erſcheint, zum Princip der abſoluten Wiſſenſchaft gemacht werden kann. Die Philoſophie, die aus ei¬
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das Uebergewicht der einen Seelenkraft uͤber
die andere und in ſo fern eine Krankheit, eine
Abnormitaͤt, ſtatt daß bey den vernuͤnftigen,
ordentlichen, nuͤchternen Menſchen alles in be¬
haglichem Gleichgewicht und darum in voll¬
kommner Geſundheit iſt.
Eine bloß empiriſche, auf Thatſachen be¬
ruhende, eben ſo wie eine bloß analytiſche und
formale Philoſophie, kann uͤberhaupt nicht zum
Wiſſen bilden; eine einſeitige Philoſophie we¬
nigſtens nicht zum abſoluten Wiſſen, da ſie viel¬
mehr fuͤr alle Gegenſtaͤnde deſſelben nur einen
eingeſchraͤnkten Geſichtspunct beſtimmt.
Die Moͤglichkeit einer zwar ſpekulativen,
aber uͤbrigens beſchraͤnkten Philoſophie iſt da¬
durch gegeben, daß weil Alles in Allem wieder¬
kehrt und auf allen moͤglichen Stufen dieſelbe
Identitaͤt nur unter verſchiedenen Geſtalten ſich
wiederholt, dieſe an einem untergeordneten
Punct der Reflexion aufgefaßt und in der be¬
ſondern Form, in der ſie auf dieſem erſcheint,
zum Princip der abſoluten Wiſſenſchaft gemacht
werden kann. Die Philoſophie, die aus ei¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/142>, abgerufen am 22.11.2024.
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