Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.beleidigend, auf jeden Fall widerlich. Für die Vernunft und Phantasie Nicht dir wurden verlieh'n, mein Töchterchen, Werke des Krieges; Ordne du lieber hinfort anmuthige Werke der Hochzeit, Jene besorgt schon Ares, der stürmende, und Athenäa 1. Als eine Folge aus dem aufgestellten Princip kann ferner ange- Als der gemeinschaftliche Keim der Götter und der Menschen ist 1 Ilias V, 424 ff.
beleidigend, auf jeden Fall widerlich. Für die Vernunft und Phantaſie Nicht dir wurden verlieh’n, mein Töchterchen, Werke des Krieges; Ordne du lieber hinfort anmuthige Werke der Hochzeit, Jene beſorgt ſchon Ares, der ſtürmende, und Athenäa 1. Als eine Folge aus dem aufgeſtellten Princip kann ferner ange- Als der gemeinſchaftliche Keim der Götter und der Menſchen iſt 1 Ilias V, 424 ff.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0070" n="394"/> beleidigend, auf jeden Fall widerlich. Für die Vernunft und Phantaſie<lb/> wird auch die Begrenzung entweder nur Form des Abſoluten oder, als<lb/><hi rendition="#g">Begrenzung</hi> aufgefaßt, ein unerſchöpflicher Quell des Scherzes und<lb/> des Spiels, denn mit der Begrenzung zu ſcherzen iſt erlaubt, da<lb/> ſie dem <hi rendition="#g">Weſen</hi> nichts entzieht, an ſich bloße Nichtigkeit iſt. So ſpielt<lb/> in der griechiſchen Götterwelt der kühnſte Scherz wieder mit den Phan-<lb/> taſiebildern ihrer Götter, wie wenn Venus von Diomedes verwundet<lb/> iſt, und Minerva ſpottet: „Gewiß hat Venus eine geſchmückte Griechin<lb/> überreden wollen, zu den Trojanern mitzugehen, und mit der goldenen<lb/> Spange der Griechin die Hand ſich geritzt“, und Zeus lächelnd zu ihr<lb/> mit ſanften Worten ſpricht:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Nicht dir wurden verlieh’n, mein Töchterchen, Werke des Krieges;</l><lb/> <l>Ordne du lieber hinfort anmuthige Werke der Hochzeit,</l><lb/> <l>Jene beſorgt ſchon Ares, der ſtürmende, und Athenäa <note place="foot" n="1">Ilias <hi rendition="#aq">V,</hi> 424 ff.</note>.</l> </lg><lb/> <p>Als eine Folge aus dem aufgeſtellten Princip kann ferner ange-<lb/> ſehen werden, daß die vollkommenen Götterbildungen erſt erſcheinen<lb/> können, nachdem das rein Formloſe, Dunkle, Ungeheure verdrungen<lb/> iſt. In dieſe Region des Dunkeln und Formloſen gehört noch alles,<lb/> was unmittelbar an die Ewigkeit, den erſten Grund des Daſeyns er-<lb/> innert. Es iſt ſchon öfters bemerkt worden, daß erſt die Ideen das<lb/> Abſolute aufſchließen; nur in ihnen iſt eine poſitive, zugleich begrenzte<lb/> und unbegrenzte Anſchauung des Abſoluten.</p><lb/> <p>Als der gemeinſchaftliche Keim der Götter und der Menſchen iſt<lb/> das abſolute Chaos Nacht, Finſterniß. Auch die erſten Geſtalten,<lb/> welche die Phantaſie aus ihm geboren werden läßt, ſind noch formlos.<lb/> Es muß eine Welt unförmlicher und ungeheurer Geſtalten verſinken,<lb/> ehe das milde Reich der ſeligen und bleibenden Götter eintreten kann.<lb/> Auch in dieſer Beziehung bleiben die griechiſchen Dichtungen dem Geſetz<lb/> aller Phantaſie getreu. Die erſten Geburten aus den Umarmungen<lb/> des Uranos und der Gäa ſind noch Ungeheuer, hundertarmige Rieſen,<lb/> mächtige Cyclopen und die wilden Titanen, Geburten, vor denen ſich<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [394/0070]
beleidigend, auf jeden Fall widerlich. Für die Vernunft und Phantaſie
wird auch die Begrenzung entweder nur Form des Abſoluten oder, als
Begrenzung aufgefaßt, ein unerſchöpflicher Quell des Scherzes und
des Spiels, denn mit der Begrenzung zu ſcherzen iſt erlaubt, da
ſie dem Weſen nichts entzieht, an ſich bloße Nichtigkeit iſt. So ſpielt
in der griechiſchen Götterwelt der kühnſte Scherz wieder mit den Phan-
taſiebildern ihrer Götter, wie wenn Venus von Diomedes verwundet
iſt, und Minerva ſpottet: „Gewiß hat Venus eine geſchmückte Griechin
überreden wollen, zu den Trojanern mitzugehen, und mit der goldenen
Spange der Griechin die Hand ſich geritzt“, und Zeus lächelnd zu ihr
mit ſanften Worten ſpricht:
Nicht dir wurden verlieh’n, mein Töchterchen, Werke des Krieges;
Ordne du lieber hinfort anmuthige Werke der Hochzeit,
Jene beſorgt ſchon Ares, der ſtürmende, und Athenäa 1.
Als eine Folge aus dem aufgeſtellten Princip kann ferner ange-
ſehen werden, daß die vollkommenen Götterbildungen erſt erſcheinen
können, nachdem das rein Formloſe, Dunkle, Ungeheure verdrungen
iſt. In dieſe Region des Dunkeln und Formloſen gehört noch alles,
was unmittelbar an die Ewigkeit, den erſten Grund des Daſeyns er-
innert. Es iſt ſchon öfters bemerkt worden, daß erſt die Ideen das
Abſolute aufſchließen; nur in ihnen iſt eine poſitive, zugleich begrenzte
und unbegrenzte Anſchauung des Abſoluten.
Als der gemeinſchaftliche Keim der Götter und der Menſchen iſt
das abſolute Chaos Nacht, Finſterniß. Auch die erſten Geſtalten,
welche die Phantaſie aus ihm geboren werden läßt, ſind noch formlos.
Es muß eine Welt unförmlicher und ungeheurer Geſtalten verſinken,
ehe das milde Reich der ſeligen und bleibenden Götter eintreten kann.
Auch in dieſer Beziehung bleiben die griechiſchen Dichtungen dem Geſetz
aller Phantaſie getreu. Die erſten Geburten aus den Umarmungen
des Uranos und der Gäa ſind noch Ungeheuer, hundertarmige Rieſen,
mächtige Cyclopen und die wilden Titanen, Geburten, vor denen ſich
1 Ilias V, 424 ff.
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