und sogar Rohheit anrechnet, sind meistentheils keine, und werden nur von einem beengten und unkräftigen Geschmack dafür gehalten. Von niemand ist er indeß mehr verkannt in seiner wahren Größe als von seinen eigenen Landsleuten und den englischen Commentatoren und Bewunderern. Sie halten sich immer an einzelne Darstellungen der Leidenschaft, eines Charakters, an die Psychologie, an Scenen, an Worte, ohne Sinn für das Ganze und die Kunst. Wenn man, sagt Tieck sehr treffend, in die englischen Commentatoren einen Blick wirft, so ist es, als wenn man in einer schönen Gegend reisend vor einer Schenke vorbeifährt, wovor sich besoffene Bauern zanken.
Daß Shakespeare bloß durch eine glückliche Begeisterung und in unbewußter Herrlichkeit gedichtet habe, ist ein sehr gemeiner Irrthum und die Sage einer gänzlich verbildeten Zeit gewesen, die in England mit Pope begann. Die Deutschen mißkannten ihn natürlich oft, nicht nur wenn sie ihn etwa nur aus einer formlosen Uebersetzung kannten, sondern weil der Glaube an Kunst überhaupt untergegangen war.
Shakespeares Jugendgedichte, die Sonette, Adonis, Lucretia zeu- gen von einer höchst liebenswerthen Natur und einem sehr innigen, subjektiven Gefühl, keinem bewußtlosen Genie-Sturm oder Drang. Späterhin lebte Shakespeare ganz mit der Welt, so viel ihm seine Sphäre zuließ, bis er anfing sein Daseyn in einer unbeschränkten Welt zu offenbaren und in einer Reihe von Kunstwerken niederzulegen, die wahrhaft die ganze Unendlichkeit der Kunst und der Natur darstellen.
Shakespeare ist so umfassend in seinem Genius, daß man ihn leicht wie den Homer für einen collektiven Namen halten könnte, und, wie sogar schon geschehen, seine Werke verschiedenen Verfassern zuschrei- ben. (Hier das Individuum collektiv, wie bei den Alten das Werk.)
Wir würden Shakespeares Kunst doch immer nur mit einer Art von Trostlosigkeit anschauen können, wenn wir ihn unbedingt als den Gipfel der romantischen Kunst im Drama betrachten müßten, da man ihm doch immer vorerst die Barbarei zugeben muß, um ihn innerhalb derselben groß, ja göttlich zu finden. Shakespeare läßt sich in seiner Unbeschränkung mit keinem der alten Tragiker vergleichen, wir müssen
und ſogar Rohheit anrechnet, ſind meiſtentheils keine, und werden nur von einem beengten und unkräftigen Geſchmack dafür gehalten. Von niemand iſt er indeß mehr verkannt in ſeiner wahren Größe als von ſeinen eigenen Landsleuten und den engliſchen Commentatoren und Bewunderern. Sie halten ſich immer an einzelne Darſtellungen der Leidenſchaft, eines Charakters, an die Pſychologie, an Scenen, an Worte, ohne Sinn für das Ganze und die Kunſt. Wenn man, ſagt Tieck ſehr treffend, in die engliſchen Commentatoren einen Blick wirft, ſo iſt es, als wenn man in einer ſchönen Gegend reiſend vor einer Schenke vorbeifährt, wovor ſich beſoffene Bauern zanken.
Daß Shakeſpeare bloß durch eine glückliche Begeiſterung und in unbewußter Herrlichkeit gedichtet habe, iſt ein ſehr gemeiner Irrthum und die Sage einer gänzlich verbildeten Zeit geweſen, die in England mit Pope begann. Die Deutſchen mißkannten ihn natürlich oft, nicht nur wenn ſie ihn etwa nur aus einer formloſen Ueberſetzung kannten, ſondern weil der Glaube an Kunſt überhaupt untergegangen war.
Shakeſpeares Jugendgedichte, die Sonette, Adonis, Lucretia zeu- gen von einer höchſt liebenswerthen Natur und einem ſehr innigen, ſubjektiven Gefühl, keinem bewußtloſen Genie-Sturm oder Drang. Späterhin lebte Shakeſpeare ganz mit der Welt, ſo viel ihm ſeine Sphäre zuließ, bis er anfing ſein Daſeyn in einer unbeſchränkten Welt zu offenbaren und in einer Reihe von Kunſtwerken niederzulegen, die wahrhaft die ganze Unendlichkeit der Kunſt und der Natur darſtellen.
Shakeſpeare iſt ſo umfaſſend in ſeinem Genius, daß man ihn leicht wie den Homer für einen collektiven Namen halten könnte, und, wie ſogar ſchon geſchehen, ſeine Werke verſchiedenen Verfaſſern zuſchrei- ben. (Hier das Individuum collektiv, wie bei den Alten das Werk.)
Wir würden Shakeſpeares Kunſt doch immer nur mit einer Art von Troſtloſigkeit anſchauen können, wenn wir ihn unbedingt als den Gipfel der romantiſchen Kunſt im Drama betrachten müßten, da man ihm doch immer vorerſt die Barbarei zugeben muß, um ihn innerhalb derſelben groß, ja göttlich zu finden. Shakeſpeare läßt ſich in ſeiner Unbeſchränkung mit keinem der alten Tragiker vergleichen, wir müſſen
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niemand iſt er indeß mehr verkannt in ſeiner wahren Größe als von
ſeinen eigenen Landsleuten und den engliſchen Commentatoren und
Bewunderern. Sie halten ſich immer an einzelne Darſtellungen der
Leidenſchaft, eines Charakters, an die Pſychologie, an Scenen, an
Worte, ohne Sinn für das Ganze und die Kunſt. Wenn man, ſagt
Tieck ſehr treffend, in die engliſchen Commentatoren einen Blick wirft,
ſo iſt es, als wenn man in einer ſchönen Gegend reiſend vor einer
Schenke vorbeifährt, wovor ſich beſoffene Bauern zanken.
Daß Shakeſpeare bloß durch eine glückliche Begeiſterung und in
unbewußter Herrlichkeit gedichtet habe, iſt ein ſehr gemeiner Irrthum
und die Sage einer gänzlich verbildeten Zeit geweſen, die in England
mit Pope begann. Die Deutſchen mißkannten ihn natürlich oft, nicht
nur wenn ſie ihn etwa nur aus einer formloſen Ueberſetzung kannten,
ſondern weil der Glaube an Kunſt überhaupt untergegangen war.
Shakeſpeares Jugendgedichte, die Sonette, Adonis, Lucretia zeu-
gen von einer höchſt liebenswerthen Natur und einem ſehr innigen,
ſubjektiven Gefühl, keinem bewußtloſen Genie-Sturm oder Drang.
Späterhin lebte Shakeſpeare ganz mit der Welt, ſo viel ihm ſeine
Sphäre zuließ, bis er anfing ſein Daſeyn in einer unbeſchränkten Welt
zu offenbaren und in einer Reihe von Kunſtwerken niederzulegen, die
wahrhaft die ganze Unendlichkeit der Kunſt und der Natur darſtellen.
Shakeſpeare iſt ſo umfaſſend in ſeinem Genius, daß man ihn
leicht wie den Homer für einen collektiven Namen halten könnte, und,
wie ſogar ſchon geſchehen, ſeine Werke verſchiedenen Verfaſſern zuſchrei-
ben. (Hier das Individuum collektiv, wie bei den Alten das Werk.)
Wir würden Shakeſpeares Kunſt doch immer nur mit einer Art
von Troſtloſigkeit anſchauen können, wenn wir ihn unbedingt als den
Gipfel der romantiſchen Kunſt im Drama betrachten müßten, da man
ihm doch immer vorerſt die Barbarei zugeben muß, um ihn innerhalb
derſelben groß, ja göttlich zu finden. Shakeſpeare läßt ſich in ſeiner
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/401>, abgerufen am 25.11.2024.
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