Epos zu werden, betrachten; sowie dieselbe Poesie dagegen im Epos durch den Roman zum Dramatischen strebt, und also von beiden Seiten die reine Begrenzung der höheren Kunst aufhebt.
Es ist zu dieser Mischung nothwendig, daß dem Dichter das Tragische und Komische nicht nur massenweise, sondern auch in seinen Nüancen zu Gebot stehe, wie dem Shakespeare, der im Komischen zart, abenteuerlich und witzig zugleich, wie im Hamlet, und derbe (wie in den Fallstaffschen Stücken) ist, ohne jemals niedrig zu werden; sowie er dagegen im Tragischen zerreißend (wie im Lear), strafend (wie im Mac- beth), schmelzend, rührend und beruhigend, wie in Romeo und Julie und mehreren gemischten Stücken ist.
Sehen wir nun auf den Stoff der modernen Tragödie, so mußte auch dieser, in der vollkommenen Erscheinung wenigstens, eine mytho- logische Würde haben; es waren also nur drei Quellen möglich, aus denen er geschöpft werden konnte. Die einzelnen Mythen, welche, wie die der griechischen Tragödie, sich nicht zu epischen Ganzen vereinigt hatten, außer dem großen Kreis des universellen Epos zurückblieben: diese drückten sich in der modernen Welt durch die Novellen aus. Die Historie, die fabelhaft oder poetisch, konnte die andere Quelle seyn. Die Dritte der religiöse Mythus, die Legenden, die Heiligengeschichte. Shakespeare hat aus den beiden ersten geschöpft, da die dritte Quelle keinen seiner Zeit und seiner Nation angemessenen Stoff darbot. Aus der dritten schöpften vorzüglich die Spanier und unter diesen wieder Calderon. Shakespeare fand also seine Stoffe vor. In diesem Sinne war er nicht Erfinder; allein indem er sie gebrauchte, anordnete und beseelte, zeigte er sich in seiner Sphäre den Alten ähnlich und als der weiseste Künstler. Man hat bemerkt, und es ist ausgemacht, daß Shakespeare sich auf das Genaueste an den gegebenen Stoff, vorzüglich der Novellen band, daß er jeden, auch den kleinsten Umstand aufnahm und nicht unbenutzt ließ (ein Verfahren, das vielleicht oft über das unergründlich Scheinende einer manchen seiner Anlagen Aufschluß geben könnte), und daß er den vorhandenen Stoff so wenig wie möglich ver- änderte.
Epos zu werden, betrachten; ſowie dieſelbe Poeſie dagegen im Epos durch den Roman zum Dramatiſchen ſtrebt, und alſo von beiden Seiten die reine Begrenzung der höheren Kunſt aufhebt.
Es iſt zu dieſer Miſchung nothwendig, daß dem Dichter das Tragiſche und Komiſche nicht nur maſſenweiſe, ſondern auch in ſeinen Nüancen zu Gebot ſtehe, wie dem Shakeſpeare, der im Komiſchen zart, abenteuerlich und witzig zugleich, wie im Hamlet, und derbe (wie in den Fallſtaffſchen Stücken) iſt, ohne jemals niedrig zu werden; ſowie er dagegen im Tragiſchen zerreißend (wie im Lear), ſtrafend (wie im Mac- beth), ſchmelzend, rührend und beruhigend, wie in Romeo und Julie und mehreren gemiſchten Stücken iſt.
Sehen wir nun auf den Stoff der modernen Tragödie, ſo mußte auch dieſer, in der vollkommenen Erſcheinung wenigſtens, eine mytho- logiſche Würde haben; es waren alſo nur drei Quellen möglich, aus denen er geſchöpft werden konnte. Die einzelnen Mythen, welche, wie die der griechiſchen Tragödie, ſich nicht zu epiſchen Ganzen vereinigt hatten, außer dem großen Kreis des univerſellen Epos zurückblieben: dieſe drückten ſich in der modernen Welt durch die Novellen aus. Die Hiſtorie, die fabelhaft oder poetiſch, konnte die andere Quelle ſeyn. Die Dritte der religiöſe Mythus, die Legenden, die Heiligengeſchichte. Shakeſpeare hat aus den beiden erſten geſchöpft, da die dritte Quelle keinen ſeiner Zeit und ſeiner Nation angemeſſenen Stoff darbot. Aus der dritten ſchöpften vorzüglich die Spanier und unter dieſen wieder Calderon. Shakeſpeare fand alſo ſeine Stoffe vor. In dieſem Sinne war er nicht Erfinder; allein indem er ſie gebrauchte, anordnete und beſeelte, zeigte er ſich in ſeiner Sphäre den Alten ähnlich und als der weiſeſte Künſtler. Man hat bemerkt, und es iſt ausgemacht, daß Shakeſpeare ſich auf das Genaueſte an den gegebenen Stoff, vorzüglich der Novellen band, daß er jeden, auch den kleinſten Umſtand aufnahm und nicht unbenutzt ließ (ein Verfahren, das vielleicht oft über das unergründlich Scheinende einer manchen ſeiner Anlagen Aufſchluß geben könnte), und daß er den vorhandenen Stoff ſo wenig wie möglich ver- änderte.
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Epos zu werden, betrachten; ſowie dieſelbe Poeſie dagegen im Epos
durch den Roman zum Dramatiſchen ſtrebt, und alſo von beiden
Seiten die reine Begrenzung der höheren Kunſt aufhebt.
Es iſt zu dieſer Miſchung nothwendig, daß dem Dichter das
Tragiſche und Komiſche nicht nur maſſenweiſe, ſondern auch in ſeinen
Nüancen zu Gebot ſtehe, wie dem Shakeſpeare, der im Komiſchen zart,
abenteuerlich und witzig zugleich, wie im Hamlet, und derbe (wie in
den Fallſtaffſchen Stücken) iſt, ohne jemals niedrig zu werden; ſowie er
dagegen im Tragiſchen zerreißend (wie im Lear), ſtrafend (wie im Mac-
beth), ſchmelzend, rührend und beruhigend, wie in Romeo und Julie
und mehreren gemiſchten Stücken iſt.
Sehen wir nun auf den Stoff der modernen Tragödie, ſo mußte
auch dieſer, in der vollkommenen Erſcheinung wenigſtens, eine mytho-
logiſche Würde haben; es waren alſo nur drei Quellen möglich, aus
denen er geſchöpft werden konnte. Die einzelnen Mythen, welche, wie
die der griechiſchen Tragödie, ſich nicht zu epiſchen Ganzen vereinigt
hatten, außer dem großen Kreis des univerſellen Epos zurückblieben:
dieſe drückten ſich in der modernen Welt durch die Novellen aus.
Die Hiſtorie, die fabelhaft oder poetiſch, konnte die andere Quelle ſeyn.
Die Dritte der religiöſe Mythus, die Legenden, die Heiligengeſchichte.
Shakeſpeare hat aus den beiden erſten geſchöpft, da die dritte Quelle
keinen ſeiner Zeit und ſeiner Nation angemeſſenen Stoff darbot. Aus
der dritten ſchöpften vorzüglich die Spanier und unter dieſen wieder
Calderon. Shakeſpeare fand alſo ſeine Stoffe vor. In dieſem Sinne
war er nicht Erfinder; allein indem er ſie gebrauchte, anordnete und
beſeelte, zeigte er ſich in ſeiner Sphäre den Alten ähnlich und als
der weiſeſte Künſtler. Man hat bemerkt, und es iſt ausgemacht, daß
Shakeſpeare ſich auf das Genaueſte an den gegebenen Stoff, vorzüglich
der Novellen band, daß er jeden, auch den kleinſten Umſtand aufnahm
und nicht unbenutzt ließ (ein Verfahren, das vielleicht oft über das
unergründlich Scheinende einer manchen ſeiner Anlagen Aufſchluß geben
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 719. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/395>, abgerufen am 25.11.2024.
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