Komödie war der der Tragödie analog, nur daß mit der letzten Stufe der neueren auch der Chor verschwand.
Von der modernen dramatischen Poesie.
Ich gehe nun zur Darstellung der Tragödie und Komödie der Modernen fort. Um in diesem weiten Meer nicht ganz unterzugehen, werde ich suchen, die Aufmerksamkeit auf die wenigen großen Haupt- punkte der Differenz des modernen Drama vom antiken, seiner Coincidenz mit ihm und seiner Eigenthümlichkeiten zu bemerken, und werde auch allen diesen Beziehungen wieder gleich die bestimmte An- schauung dessen zu Grunde legen, was wir in der modernen Tragödie und Komödie als die höchsten Erscheinungen anerkennen müssen. Ich werde mich daher in Ansehung der hauptsächlichsten Punkte vorzüglich auf Shakespeare berufen.
Das Erste, womit wir diese Betrachtung anfangen müssen, ist, daß die Mischung des Entgegengesetzten, also vorzüglich des Tragischen und Komischen selbst, als Princip dem modernen Drama zu Grunde liegt. Die Bedeutung dieser Mischung zu fassen, wird folgende Reflexion dienen. -- Das Tragische und Komische könnte ent- weder im Zustand der Vollkommenheit, nicht aufgehobenen Indifferenz dargestellt seyn, dann aber müßte die Poesie weder als tragisch noch als komisch erscheinen; es wäre eine ganz andere Gattung, es wäre die epische Poesie. In der epischen Poesie sind die beiden Elemente, die sich in dem Drama streitend entzweien, -- nicht vereinigt, sondern überhaupt noch nicht getrennt. Die Mischung beider Elemente auf solche Art, daß sie überhaupt nicht getrennt erschienen, kann also nicht die Eigenthümlichkeit der modernen Tragödie seyn. Es ist vielmehr eine Mischung, worin beide bestimmt unterschieden werden, und so daß der Dichter in beiden sich gleich als Meister zeigt, wie Shakespeare, der die dramatische Stärke nach beiden Polen hin concentrirt, und der erschütternde Shakespeare ist im Fallstaff und im Macbeth.
Indeß können wir doch diese Mischung entgegengesetzter Elemente als ein Zurückstreben des modernen Drama zum Epos, ohne deßwegen
Komödie war der der Tragödie analog, nur daß mit der letzten Stufe der neueren auch der Chor verſchwand.
Von der modernen dramatiſchen Poeſie.
Ich gehe nun zur Darſtellung der Tragödie und Komödie der Modernen fort. Um in dieſem weiten Meer nicht ganz unterzugehen, werde ich ſuchen, die Aufmerkſamkeit auf die wenigen großen Haupt- punkte der Differenz des modernen Drama vom antiken, ſeiner Coincidenz mit ihm und ſeiner Eigenthümlichkeiten zu bemerken, und werde auch allen dieſen Beziehungen wieder gleich die beſtimmte An- ſchauung deſſen zu Grunde legen, was wir in der modernen Tragödie und Komödie als die höchſten Erſcheinungen anerkennen müſſen. Ich werde mich daher in Anſehung der hauptſächlichſten Punkte vorzüglich auf Shakeſpeare berufen.
Das Erſte, womit wir dieſe Betrachtung anfangen müſſen, iſt, daß die Miſchung des Entgegengeſetzten, alſo vorzüglich des Tragiſchen und Komiſchen ſelbſt, als Princip dem modernen Drama zu Grunde liegt. Die Bedeutung dieſer Miſchung zu faſſen, wird folgende Reflexion dienen. — Das Tragiſche und Komiſche könnte ent- weder im Zuſtand der Vollkommenheit, nicht aufgehobenen Indifferenz dargeſtellt ſeyn, dann aber müßte die Poeſie weder als tragiſch noch als komiſch erſcheinen; es wäre eine ganz andere Gattung, es wäre die epiſche Poeſie. In der epiſchen Poeſie ſind die beiden Elemente, die ſich in dem Drama ſtreitend entzweien, — nicht vereinigt, ſondern überhaupt noch nicht getrennt. Die Miſchung beider Elemente auf ſolche Art, daß ſie überhaupt nicht getrennt erſchienen, kann alſo nicht die Eigenthümlichkeit der modernen Tragödie ſeyn. Es iſt vielmehr eine Miſchung, worin beide beſtimmt unterſchieden werden, und ſo daß der Dichter in beiden ſich gleich als Meiſter zeigt, wie Shakeſpeare, der die dramatiſche Stärke nach beiden Polen hin concentrirt, und der erſchütternde Shakeſpeare iſt im Fallſtaff und im Macbeth.
Indeß können wir doch dieſe Miſchung entgegengeſetzter Elemente als ein Zurückſtreben des modernen Drama zum Epos, ohne deßwegen
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Komödie war der der Tragödie analog, nur daß mit der letzten Stufe
der neueren auch der Chor verſchwand.
Von der modernen dramatiſchen Poeſie.
Ich gehe nun zur Darſtellung der Tragödie und Komödie der
Modernen fort. Um in dieſem weiten Meer nicht ganz unterzugehen,
werde ich ſuchen, die Aufmerkſamkeit auf die wenigen großen Haupt-
punkte der Differenz des modernen Drama vom antiken, ſeiner
Coincidenz mit ihm und ſeiner Eigenthümlichkeiten zu bemerken, und
werde auch allen dieſen Beziehungen wieder gleich die beſtimmte An-
ſchauung deſſen zu Grunde legen, was wir in der modernen Tragödie
und Komödie als die höchſten Erſcheinungen anerkennen müſſen. Ich
werde mich daher in Anſehung der hauptſächlichſten Punkte vorzüglich
auf Shakeſpeare berufen.
Das Erſte, womit wir dieſe Betrachtung anfangen müſſen, iſt,
daß die Miſchung des Entgegengeſetzten, alſo vorzüglich des
Tragiſchen und Komiſchen ſelbſt, als Princip dem modernen Drama
zu Grunde liegt. Die Bedeutung dieſer Miſchung zu faſſen, wird
folgende Reflexion dienen. — Das Tragiſche und Komiſche könnte ent-
weder im Zuſtand der Vollkommenheit, nicht aufgehobenen Indifferenz
dargeſtellt ſeyn, dann aber müßte die Poeſie weder als tragiſch noch
als komiſch erſcheinen; es wäre eine ganz andere Gattung, es wäre
die epiſche Poeſie. In der epiſchen Poeſie ſind die beiden Elemente,
die ſich in dem Drama ſtreitend entzweien, — nicht vereinigt, ſondern
überhaupt noch nicht getrennt. Die Miſchung beider Elemente auf ſolche
Art, daß ſie überhaupt nicht getrennt erſchienen, kann alſo nicht die
Eigenthümlichkeit der modernen Tragödie ſeyn. Es iſt vielmehr eine
Miſchung, worin beide beſtimmt unterſchieden werden, und ſo daß der
Dichter in beiden ſich gleich als Meiſter zeigt, wie Shakeſpeare, der
die dramatiſche Stärke nach beiden Polen hin concentrirt, und der
erſchütternde Shakeſpeare iſt im Fallſtaff und im Macbeth.
Indeß können wir doch dieſe Miſchung entgegengeſetzter Elemente
als ein Zurückſtreben des modernen Drama zum Epos, ohne deßwegen
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 718. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/394>, abgerufen am 25.11.2024.
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