Schuldige, der doch nur der Uebermacht des Schicksals unterlag, dennoch bestraft wurde, war nöthig, um den Triumph der Freiheit zu zeigen, war Anerkennung der Freiheit, Ehre, die ihr gebührte. Der Held mußte gegen das Verhängniß kämpfen, sonst war überhaupt kein Streit, keine Aeußerung der Freiheit; er mußte in dem, was der Nothwendigkeit unterworfen ist, unterliegen, aber um die Nothwendigkeit nicht über- winden zu lassen, ohne sie zugleich wieder zu überwinden, mußte der Held auch für diese -- durch das Schicksal verhängte -- Schuld frei- willig büßen. Es ist der größte Gedanke und der höchste Sieg der Freiheit, willig auch die Strafe für ein unvermeidliches Verbrechen zu tragen, um so im Verlust seiner Freiheit selbst eben diese Freiheit zu beweisen, und noch mit einer Erklärung des freien Willens unter- zugehen.
Dieß, wie es hier ausgesprochen ist, und wie ich es schon in den Briefen über Dogmatismus und Kriticismus gezeigt habe, 1 ist der innerste Geist der griechischen Tragödie. Dieß ist der Grund der Ver- söhnung und der Harmonie, die in ihnen liegt, daß sie uns nicht zer- rissen, sondern geheilt, und wie Aristoteles sagt, gereinigt zurücklassen.
Die Freiheit als bloße Besonderheit kann nicht bestehen: dieß ist möglich nur, inwiefern sie sich selbst zur Allgemeinheit erhebt, und also über die Folge der Schuld mit der Nothwendigkeit in Bund tritt, und da sie das Unvermeidliche nicht vermeiden kann, die Wirkung davon selbst über sich verhängt.
Ich sage: dieß ist auch das einzig wahrhaft Tragische in der Tragödie. Nicht der unglückliche Ausgang allein. Denn wie kann man überhaupt den Ausgang unglücklich nennen, z. B. wenn der Held frei- willig das Leben hingibt, das er nicht mehr mit Würde führen kann, oder wenn er andere Folgen seiner unverschuldeten Schuld auf sich selbst herbeizieht, wie Oedipus bei Sophokles thut, der nicht ruht, bis er das ganze schreckliche Gewebe selbst entwickelt und das ganze furcht- bare Verhängniß selbst an den Tag gebracht hat?
1 Zehnter Brief, 1. Abth., Bd. I., S. 336.
Schuldige, der doch nur der Uebermacht des Schickſals unterlag, dennoch beſtraft wurde, war nöthig, um den Triumph der Freiheit zu zeigen, war Anerkennung der Freiheit, Ehre, die ihr gebührte. Der Held mußte gegen das Verhängniß kämpfen, ſonſt war überhaupt kein Streit, keine Aeußerung der Freiheit; er mußte in dem, was der Nothwendigkeit unterworfen iſt, unterliegen, aber um die Nothwendigkeit nicht über- winden zu laſſen, ohne ſie zugleich wieder zu überwinden, mußte der Held auch für dieſe — durch das Schickſal verhängte — Schuld frei- willig büßen. Es iſt der größte Gedanke und der höchſte Sieg der Freiheit, willig auch die Strafe für ein unvermeidliches Verbrechen zu tragen, um ſo im Verluſt ſeiner Freiheit ſelbſt eben dieſe Freiheit zu beweiſen, und noch mit einer Erklärung des freien Willens unter- zugehen.
Dieß, wie es hier ausgeſprochen iſt, und wie ich es ſchon in den Briefen über Dogmatismus und Kriticismus gezeigt habe, 1 iſt der innerſte Geiſt der griechiſchen Tragödie. Dieß iſt der Grund der Ver- ſöhnung und der Harmonie, die in ihnen liegt, daß ſie uns nicht zer- riſſen, ſondern geheilt, und wie Ariſtoteles ſagt, gereinigt zurücklaſſen.
Die Freiheit als bloße Beſonderheit kann nicht beſtehen: dieß iſt möglich nur, inwiefern ſie ſich ſelbſt zur Allgemeinheit erhebt, und alſo über die Folge der Schuld mit der Nothwendigkeit in Bund tritt, und da ſie das Unvermeidliche nicht vermeiden kann, die Wirkung davon ſelbſt über ſich verhängt.
Ich ſage: dieß iſt auch das einzig wahrhaft Tragiſche in der Tragödie. Nicht der unglückliche Ausgang allein. Denn wie kann man überhaupt den Ausgang unglücklich nennen, z. B. wenn der Held frei- willig das Leben hingibt, das er nicht mehr mit Würde führen kann, oder wenn er andere Folgen ſeiner unverſchuldeten Schuld auf ſich ſelbſt herbeizieht, wie Oedipus bei Sophokles thut, der nicht ruht, bis er das ganze ſchreckliche Gewebe ſelbſt entwickelt und das ganze furcht- bare Verhängniß ſelbſt an den Tag gebracht hat?
1 Zehnter Brief, 1. Abth., Bd. I., S. 336.
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Schuldige, der doch nur der Uebermacht des Schickſals unterlag, dennoch
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war Anerkennung der Freiheit, Ehre, die ihr gebührte. Der Held
mußte gegen das Verhängniß kämpfen, ſonſt war überhaupt kein Streit,
keine Aeußerung der Freiheit; er mußte in dem, was der Nothwendigkeit
unterworfen iſt, unterliegen, aber um die Nothwendigkeit nicht über-
winden zu laſſen, ohne ſie zugleich wieder zu überwinden, mußte der
Held auch für dieſe — durch das Schickſal verhängte — Schuld frei-
willig büßen. Es iſt der größte Gedanke und der höchſte Sieg der
Freiheit, willig auch die Strafe für ein unvermeidliches Verbrechen zu
tragen, um ſo im Verluſt ſeiner Freiheit ſelbſt eben dieſe Freiheit
zu beweiſen, und noch mit einer Erklärung des freien Willens unter-
zugehen.
Dieß, wie es hier ausgeſprochen iſt, und wie ich es ſchon in den
Briefen über Dogmatismus und Kriticismus gezeigt habe, 1 iſt der
innerſte Geiſt der griechiſchen Tragödie. Dieß iſt der Grund der Ver-
ſöhnung und der Harmonie, die in ihnen liegt, daß ſie uns nicht zer-
riſſen, ſondern geheilt, und wie Ariſtoteles ſagt, gereinigt zurücklaſſen.
Die Freiheit als bloße Beſonderheit kann nicht beſtehen: dieß iſt
möglich nur, inwiefern ſie ſich ſelbſt zur Allgemeinheit erhebt, und alſo
über die Folge der Schuld mit der Nothwendigkeit in Bund tritt, und
da ſie das Unvermeidliche nicht vermeiden kann, die Wirkung davon
ſelbſt über ſich verhängt.
Ich ſage: dieß iſt auch das einzig wahrhaft Tragiſche in der
Tragödie. Nicht der unglückliche Ausgang allein. Denn wie kann man
überhaupt den Ausgang unglücklich nennen, z. B. wenn der Held frei-
willig das Leben hingibt, das er nicht mehr mit Würde führen kann,
oder wenn er andere Folgen ſeiner unverſchuldeten Schuld auf ſich
ſelbſt herbeizieht, wie Oedipus bei Sophokles thut, der nicht ruht, bis
er das ganze ſchreckliche Gewebe ſelbſt entwickelt und das ganze furcht-
bare Verhängniß ſelbſt an den Tag gebracht hat?
1 Zehnter Brief, 1. Abth., Bd. I., S. 336.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 697. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/373>, abgerufen am 25.11.2024.
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