erscheint, so im Don Quixote die Herzogin, die, ausgenommen die Schönheit, alles mit ihr gemein hat. Die Mystifikation geht aller- dings bis zum Schmerzenden, ja bis zum Plumpen, und so daß das Ideale in der Person des Helden, weil es da verrückt geworden war, ermattend unterliegt; dagegen zeigt es sich im Ganzen der Composition durchaus triumphirend, und auch in diesem Theil schon durch die aus- gesuchte Gemeinheit des Entgegengesetzten.
Der Roman des Cervantes ruht also auf einem sehr unvollkom- menen, ja verrückten Helden, der aber zugleich so edler Natur ist, und so oft als der Eine Punkt nicht berührt wird, so viel überlegenen Ver- stand zeigt, daß ihn keine Schmach, die ihm widerfährt, eigentlich her- abwürdiget. An diese Mischung (in Don Quixote) ließ sich eben das wunderbarste und reichste Gewebe knüpfen, das im ersten Moment so anziehend wie im letzten stets den gleichen Genuß gewährt und die Seele zur heitersten Besonnenheit stimmt. Für den Geist ist die noth- wendige Begleitung des Helden, Sancho Pansa, gleichsam ein unauf- hörlicher Festtag; eine unversiegbare Quelle der Ironie ist geöffnet und ergießt sich in kühnen Spielen. Der Boden, auf dem das Ganze geschieht, versammelte in jener Zeit alle romantischen Principien, die es noch in Europa gab, verbunden mit der Pracht des geselligen Lebens. Hierin war der Spanier tausendfältig vor dem deutschen Dichter begün- stigt. Er hatte die Hirten, die auf freiem Felde lebten, einen ritter- lichen Adel, das Volk der Mauren, die nahe Küste von Afrika, den Hintergrund der Begebenheiten der Zeit und der Feldzüge gegen die Seeräuber, endlich eine Nation, unter welcher die Poesie popular ist -- selbst malerische Trachten, für den gewöhnlichen Gebrauch die Maul- thiertreiber und den Baccalaureus von Salar. Dennoch läßt der Dichter meist aus Ereignissen, die nicht national sondern ganz allgemein sind, wie die Begegnung der Galeerensclaven, eines Marionettenspielers, eines Löwen im Käfig seine ergötzlichen Ereignisse entstehen. Der Wirth, den Don Quixote für einen Castellan ansieht, und die schöne Mari- torne sind allenthalben zu Haus. Die Liebe dagegen erscheint immer in der eigenthümlichen romantischen Umgebung, die er in seiner Zeit
erſcheint, ſo im Don Quixote die Herzogin, die, ausgenommen die Schönheit, alles mit ihr gemein hat. Die Myſtifikation geht aller- dings bis zum Schmerzenden, ja bis zum Plumpen, und ſo daß das Ideale in der Perſon des Helden, weil es da verrückt geworden war, ermattend unterliegt; dagegen zeigt es ſich im Ganzen der Compoſition durchaus triumphirend, und auch in dieſem Theil ſchon durch die aus- geſuchte Gemeinheit des Entgegengeſetzten.
Der Roman des Cervantes ruht alſo auf einem ſehr unvollkom- menen, ja verrückten Helden, der aber zugleich ſo edler Natur iſt, und ſo oft als der Eine Punkt nicht berührt wird, ſo viel überlegenen Ver- ſtand zeigt, daß ihn keine Schmach, die ihm widerfährt, eigentlich her- abwürdiget. An dieſe Miſchung (in Don Quixote) ließ ſich eben das wunderbarſte und reichſte Gewebe knüpfen, das im erſten Moment ſo anziehend wie im letzten ſtets den gleichen Genuß gewährt und die Seele zur heiterſten Beſonnenheit ſtimmt. Für den Geiſt iſt die noth- wendige Begleitung des Helden, Sancho Panſa, gleichſam ein unauf- hörlicher Feſttag; eine unverſiegbare Quelle der Ironie iſt geöffnet und ergießt ſich in kühnen Spielen. Der Boden, auf dem das Ganze geſchieht, verſammelte in jener Zeit alle romantiſchen Principien, die es noch in Europa gab, verbunden mit der Pracht des geſelligen Lebens. Hierin war der Spanier tauſendfältig vor dem deutſchen Dichter begün- ſtigt. Er hatte die Hirten, die auf freiem Felde lebten, einen ritter- lichen Adel, das Volk der Mauren, die nahe Küſte von Afrika, den Hintergrund der Begebenheiten der Zeit und der Feldzüge gegen die Seeräuber, endlich eine Nation, unter welcher die Poeſie popular iſt — ſelbſt maleriſche Trachten, für den gewöhnlichen Gebrauch die Maul- thiertreiber und den Baccalaureus von Salar. Dennoch läßt der Dichter meiſt aus Ereigniſſen, die nicht national ſondern ganz allgemein ſind, wie die Begegnung der Galeerenſclaven, eines Marionettenſpielers, eines Löwen im Käfig ſeine ergötzlichen Ereigniſſe entſtehen. Der Wirth, den Don Quixote für einen Caſtellan anſieht, und die ſchöne Mari- torne ſind allenthalben zu Haus. Die Liebe dagegen erſcheint immer in der eigenthümlichen romantiſchen Umgebung, die er in ſeiner Zeit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0356"n="680"/>
erſcheint, ſo im Don Quixote die Herzogin, die, ausgenommen die<lb/>
Schönheit, alles mit ihr gemein hat. Die Myſtifikation geht aller-<lb/>
dings bis zum Schmerzenden, ja bis zum Plumpen, und ſo daß das<lb/>
Ideale in der Perſon des Helden, weil es da verrückt geworden war,<lb/>
ermattend unterliegt; dagegen zeigt es ſich im Ganzen der Compoſition<lb/>
durchaus triumphirend, und auch in <hirendition="#g">dieſem</hi> Theil ſchon durch die aus-<lb/>
geſuchte Gemeinheit des Entgegengeſetzten.</p><lb/><p>Der Roman des Cervantes ruht alſo auf einem ſehr unvollkom-<lb/>
menen, ja verrückten Helden, der aber zugleich ſo edler Natur iſt, und<lb/>ſo oft als der Eine Punkt nicht berührt wird, ſo viel überlegenen Ver-<lb/>ſtand zeigt, daß ihn keine Schmach, die ihm widerfährt, eigentlich her-<lb/>
abwürdiget. An dieſe Miſchung (in Don Quixote) ließ ſich eben das<lb/>
wunderbarſte und reichſte Gewebe knüpfen, das im erſten Moment ſo<lb/>
anziehend wie im letzten ſtets den gleichen Genuß gewährt und die<lb/>
Seele zur heiterſten Beſonnenheit ſtimmt. Für den Geiſt iſt die noth-<lb/>
wendige Begleitung des Helden, Sancho Panſa, gleichſam ein unauf-<lb/>
hörlicher Feſttag; eine unverſiegbare Quelle der Ironie iſt geöffnet und<lb/>
ergießt ſich in kühnen Spielen. Der Boden, auf dem das Ganze<lb/>
geſchieht, verſammelte in jener Zeit alle romantiſchen Principien, die<lb/>
es noch in Europa gab, verbunden mit der Pracht des geſelligen Lebens.<lb/>
Hierin war der Spanier tauſendfältig vor dem deutſchen Dichter begün-<lb/>ſtigt. Er hatte die Hirten, die auf freiem Felde lebten, einen ritter-<lb/>
lichen Adel, das Volk der Mauren, die nahe Küſte von Afrika, den<lb/>
Hintergrund der Begebenheiten der Zeit und der Feldzüge gegen die<lb/>
Seeräuber, endlich eine Nation, unter welcher die Poeſie popular iſt —<lb/>ſelbſt maleriſche Trachten, für den gewöhnlichen Gebrauch die Maul-<lb/>
thiertreiber und den Baccalaureus von Salar. Dennoch läßt der Dichter<lb/>
meiſt aus Ereigniſſen, die nicht national ſondern ganz allgemein ſind,<lb/>
wie die Begegnung der Galeerenſclaven, eines Marionettenſpielers,<lb/>
eines Löwen im Käfig ſeine ergötzlichen Ereigniſſe entſtehen. Der Wirth,<lb/>
den Don Quixote für einen Caſtellan anſieht, und die ſchöne Mari-<lb/>
torne ſind allenthalben zu Haus. Die Liebe dagegen erſcheint immer in<lb/>
der eigenthümlichen romantiſchen Umgebung, die er in ſeiner Zeit<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[680/0356]
erſcheint, ſo im Don Quixote die Herzogin, die, ausgenommen die
Schönheit, alles mit ihr gemein hat. Die Myſtifikation geht aller-
dings bis zum Schmerzenden, ja bis zum Plumpen, und ſo daß das
Ideale in der Perſon des Helden, weil es da verrückt geworden war,
ermattend unterliegt; dagegen zeigt es ſich im Ganzen der Compoſition
durchaus triumphirend, und auch in dieſem Theil ſchon durch die aus-
geſuchte Gemeinheit des Entgegengeſetzten.
Der Roman des Cervantes ruht alſo auf einem ſehr unvollkom-
menen, ja verrückten Helden, der aber zugleich ſo edler Natur iſt, und
ſo oft als der Eine Punkt nicht berührt wird, ſo viel überlegenen Ver-
ſtand zeigt, daß ihn keine Schmach, die ihm widerfährt, eigentlich her-
abwürdiget. An dieſe Miſchung (in Don Quixote) ließ ſich eben das
wunderbarſte und reichſte Gewebe knüpfen, das im erſten Moment ſo
anziehend wie im letzten ſtets den gleichen Genuß gewährt und die
Seele zur heiterſten Beſonnenheit ſtimmt. Für den Geiſt iſt die noth-
wendige Begleitung des Helden, Sancho Panſa, gleichſam ein unauf-
hörlicher Feſttag; eine unverſiegbare Quelle der Ironie iſt geöffnet und
ergießt ſich in kühnen Spielen. Der Boden, auf dem das Ganze
geſchieht, verſammelte in jener Zeit alle romantiſchen Principien, die
es noch in Europa gab, verbunden mit der Pracht des geſelligen Lebens.
Hierin war der Spanier tauſendfältig vor dem deutſchen Dichter begün-
ſtigt. Er hatte die Hirten, die auf freiem Felde lebten, einen ritter-
lichen Adel, das Volk der Mauren, die nahe Küſte von Afrika, den
Hintergrund der Begebenheiten der Zeit und der Feldzüge gegen die
Seeräuber, endlich eine Nation, unter welcher die Poeſie popular iſt —
ſelbſt maleriſche Trachten, für den gewöhnlichen Gebrauch die Maul-
thiertreiber und den Baccalaureus von Salar. Dennoch läßt der Dichter
meiſt aus Ereigniſſen, die nicht national ſondern ganz allgemein ſind,
wie die Begegnung der Galeerenſclaven, eines Marionettenſpielers,
eines Löwen im Käfig ſeine ergötzlichen Ereigniſſe entſtehen. Der Wirth,
den Don Quixote für einen Caſtellan anſieht, und die ſchöne Mari-
torne ſind allenthalben zu Haus. Die Liebe dagegen erſcheint immer in
der eigenthümlichen romantiſchen Umgebung, die er in ſeiner Zeit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 680. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/356>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.