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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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erscheint, so im Don Quixote die Herzogin, die, ausgenommen die
Schönheit, alles mit ihr gemein hat. Die Mystifikation geht aller-
dings bis zum Schmerzenden, ja bis zum Plumpen, und so daß das
Ideale in der Person des Helden, weil es da verrückt geworden war,
ermattend unterliegt; dagegen zeigt es sich im Ganzen der Composition
durchaus triumphirend, und auch in diesem Theil schon durch die aus-
gesuchte Gemeinheit des Entgegengesetzten.

Der Roman des Cervantes ruht also auf einem sehr unvollkom-
menen, ja verrückten Helden, der aber zugleich so edler Natur ist, und
so oft als der Eine Punkt nicht berührt wird, so viel überlegenen Ver-
stand zeigt, daß ihn keine Schmach, die ihm widerfährt, eigentlich her-
abwürdiget. An diese Mischung (in Don Quixote) ließ sich eben das
wunderbarste und reichste Gewebe knüpfen, das im ersten Moment so
anziehend wie im letzten stets den gleichen Genuß gewährt und die
Seele zur heitersten Besonnenheit stimmt. Für den Geist ist die noth-
wendige Begleitung des Helden, Sancho Pansa, gleichsam ein unauf-
hörlicher Festtag; eine unversiegbare Quelle der Ironie ist geöffnet und
ergießt sich in kühnen Spielen. Der Boden, auf dem das Ganze
geschieht, versammelte in jener Zeit alle romantischen Principien, die
es noch in Europa gab, verbunden mit der Pracht des geselligen Lebens.
Hierin war der Spanier tausendfältig vor dem deutschen Dichter begün-
stigt. Er hatte die Hirten, die auf freiem Felde lebten, einen ritter-
lichen Adel, das Volk der Mauren, die nahe Küste von Afrika, den
Hintergrund der Begebenheiten der Zeit und der Feldzüge gegen die
Seeräuber, endlich eine Nation, unter welcher die Poesie popular ist --
selbst malerische Trachten, für den gewöhnlichen Gebrauch die Maul-
thiertreiber und den Baccalaureus von Salar. Dennoch läßt der Dichter
meist aus Ereignissen, die nicht national sondern ganz allgemein sind,
wie die Begegnung der Galeerensclaven, eines Marionettenspielers,
eines Löwen im Käfig seine ergötzlichen Ereignisse entstehen. Der Wirth,
den Don Quixote für einen Castellan ansieht, und die schöne Mari-
torne sind allenthalben zu Haus. Die Liebe dagegen erscheint immer in
der eigenthümlichen romantischen Umgebung, die er in seiner Zeit

erſcheint, ſo im Don Quixote die Herzogin, die, ausgenommen die
Schönheit, alles mit ihr gemein hat. Die Myſtifikation geht aller-
dings bis zum Schmerzenden, ja bis zum Plumpen, und ſo daß das
Ideale in der Perſon des Helden, weil es da verrückt geworden war,
ermattend unterliegt; dagegen zeigt es ſich im Ganzen der Compoſition
durchaus triumphirend, und auch in dieſem Theil ſchon durch die aus-
geſuchte Gemeinheit des Entgegengeſetzten.

Der Roman des Cervantes ruht alſo auf einem ſehr unvollkom-
menen, ja verrückten Helden, der aber zugleich ſo edler Natur iſt, und
ſo oft als der Eine Punkt nicht berührt wird, ſo viel überlegenen Ver-
ſtand zeigt, daß ihn keine Schmach, die ihm widerfährt, eigentlich her-
abwürdiget. An dieſe Miſchung (in Don Quixote) ließ ſich eben das
wunderbarſte und reichſte Gewebe knüpfen, das im erſten Moment ſo
anziehend wie im letzten ſtets den gleichen Genuß gewährt und die
Seele zur heiterſten Beſonnenheit ſtimmt. Für den Geiſt iſt die noth-
wendige Begleitung des Helden, Sancho Panſa, gleichſam ein unauf-
hörlicher Feſttag; eine unverſiegbare Quelle der Ironie iſt geöffnet und
ergießt ſich in kühnen Spielen. Der Boden, auf dem das Ganze
geſchieht, verſammelte in jener Zeit alle romantiſchen Principien, die
es noch in Europa gab, verbunden mit der Pracht des geſelligen Lebens.
Hierin war der Spanier tauſendfältig vor dem deutſchen Dichter begün-
ſtigt. Er hatte die Hirten, die auf freiem Felde lebten, einen ritter-
lichen Adel, das Volk der Mauren, die nahe Küſte von Afrika, den
Hintergrund der Begebenheiten der Zeit und der Feldzüge gegen die
Seeräuber, endlich eine Nation, unter welcher die Poeſie popular iſt —
ſelbſt maleriſche Trachten, für den gewöhnlichen Gebrauch die Maul-
thiertreiber und den Baccalaureus von Salar. Dennoch läßt der Dichter
meiſt aus Ereigniſſen, die nicht national ſondern ganz allgemein ſind,
wie die Begegnung der Galeerenſclaven, eines Marionettenſpielers,
eines Löwen im Käfig ſeine ergötzlichen Ereigniſſe entſtehen. Der Wirth,
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torne ſind allenthalben zu Haus. Die Liebe dagegen erſcheint immer in
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[680/0356] erſcheint, ſo im Don Quixote die Herzogin, die, ausgenommen die Schönheit, alles mit ihr gemein hat. Die Myſtifikation geht aller- dings bis zum Schmerzenden, ja bis zum Plumpen, und ſo daß das Ideale in der Perſon des Helden, weil es da verrückt geworden war, ermattend unterliegt; dagegen zeigt es ſich im Ganzen der Compoſition durchaus triumphirend, und auch in dieſem Theil ſchon durch die aus- geſuchte Gemeinheit des Entgegengeſetzten. Der Roman des Cervantes ruht alſo auf einem ſehr unvollkom- menen, ja verrückten Helden, der aber zugleich ſo edler Natur iſt, und ſo oft als der Eine Punkt nicht berührt wird, ſo viel überlegenen Ver- ſtand zeigt, daß ihn keine Schmach, die ihm widerfährt, eigentlich her- abwürdiget. An dieſe Miſchung (in Don Quixote) ließ ſich eben das wunderbarſte und reichſte Gewebe knüpfen, das im erſten Moment ſo anziehend wie im letzten ſtets den gleichen Genuß gewährt und die Seele zur heiterſten Beſonnenheit ſtimmt. Für den Geiſt iſt die noth- wendige Begleitung des Helden, Sancho Panſa, gleichſam ein unauf- hörlicher Feſttag; eine unverſiegbare Quelle der Ironie iſt geöffnet und ergießt ſich in kühnen Spielen. Der Boden, auf dem das Ganze geſchieht, verſammelte in jener Zeit alle romantiſchen Principien, die es noch in Europa gab, verbunden mit der Pracht des geſelligen Lebens. Hierin war der Spanier tauſendfältig vor dem deutſchen Dichter begün- ſtigt. Er hatte die Hirten, die auf freiem Felde lebten, einen ritter- lichen Adel, das Volk der Mauren, die nahe Küſte von Afrika, den Hintergrund der Begebenheiten der Zeit und der Feldzüge gegen die Seeräuber, endlich eine Nation, unter welcher die Poeſie popular iſt — ſelbſt maleriſche Trachten, für den gewöhnlichen Gebrauch die Maul- thiertreiber und den Baccalaureus von Salar. Dennoch läßt der Dichter meiſt aus Ereigniſſen, die nicht national ſondern ganz allgemein ſind, wie die Begegnung der Galeerenſclaven, eines Marionettenſpielers, eines Löwen im Käfig ſeine ergötzlichen Ereigniſſe entſtehen. Der Wirth, den Don Quixote für einen Caſtellan anſieht, und die ſchöne Mari- torne ſind allenthalben zu Haus. Die Liebe dagegen erſcheint immer in der eigenthümlichen romantiſchen Umgebung, die er in ſeiner Zeit

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 680. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/356>, abgerufen am 22.11.2024.