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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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gestellt. An Goethes Elegien ließe sich am unmittelbarsten zeigen, daß
in Ansehung der Elegie die Subjektivität in das Objekt, dagegen die
Objektivität in die Darstellung und das darstellende Princip fällt. Diese
Elegien besingen den höchsten Reiz des Lebens und der Lust, aber auf
eine wahrhaft epische Weise mit Verbreitung über den großen Gegen-
stand seiner Umgebung.

Die Idylle ist gegenüber von der Elegie die objektivere Gattung,
und also überhaupt die objektivste unter den vier dem epischen Ge-
dicht untergeordneten Gattungen. Da in ihr der Gegenstand (subjektiv)
beschränkter als im Epos, und die allgemein gültige Ruhe also bloß in die
Darstellung gelegt wird, so nähert sie sich dadurch schon mehr dem
Gemälde, und dieß ist auch ihre ursprüngliche Bedeutung, da Idylle
ein kleinstes Bild, ein Gemälde bezeichnet. Da sie ferner das Ueber-
gewicht in das Objektive der Darstellung legen muß, so wird sie da-
durch am meisten Idylle seyn, daß der Gegenstand sich mit roherer
Besonderheit abhebt, weniger also gebildet ist als der des Epos. Die
Idylle nimmt daher ihre Gegenstände nicht nur überhaupt aus einer
beschränkten Welt, sondern macht sie auch in dieser noch scharf indivi-
duell, ja sogar local nach Sitten, Sprache, Charakter, etwa wie die
menschlichen Gestalten in einer Landschaft seyn müssen, derb, von nichts
entfernter als von Idealität. Nichts ist daher der Natur der Idylle
widersprechender, als den Personen Empfindsamkeit, eine Art unschul-
diger Sittlichkeit mitzutheilen. Wenn die Derbheit der theokritischen
Idylle verlassen werden kann, so ist es nur, wenn dafür der ganze
Charakter romantisch wird, wie in den vorzüglichsten Schäferpoesien der
Italiener und Spanier. Wenn aber, wie in Geßner, neben dem
Aechten und Antiken zugleich das romantische Princip fehlt, so kann
man die Bewunderung, die seine Idyllen besonders im Ausland gefun-
den haben, nur als eine der unzähligen Aeußerungen der Unpoesie
begreifen. In Geßners Idyllen, wie in sehr vielen der Franzosen, ist,
ganz gegen den Geist der Idylle, eine Art von flacher, sittlich-empfind-
samer Allgemeingültigkeit in den Gegenstand gelegt und die Gattung
völlig verkehrt worden. Der ächte Geist der Idylle ist in einer späteren

geſtellt. An Goethes Elegien ließe ſich am unmittelbarſten zeigen, daß
in Anſehung der Elegie die Subjektivität in das Objekt, dagegen die
Objektivität in die Darſtellung und das darſtellende Princip fällt. Dieſe
Elegien beſingen den höchſten Reiz des Lebens und der Luſt, aber auf
eine wahrhaft epiſche Weiſe mit Verbreitung über den großen Gegen-
ſtand ſeiner Umgebung.

Die Idylle iſt gegenüber von der Elegie die objektivere Gattung,
und alſo überhaupt die objektivſte unter den vier dem epiſchen Ge-
dicht untergeordneten Gattungen. Da in ihr der Gegenſtand (ſubjektiv)
beſchränkter als im Epos, und die allgemein gültige Ruhe alſo bloß in die
Darſtellung gelegt wird, ſo nähert ſie ſich dadurch ſchon mehr dem
Gemälde, und dieß iſt auch ihre urſprüngliche Bedeutung, da Idylle
ein kleinſtes Bild, ein Gemälde bezeichnet. Da ſie ferner das Ueber-
gewicht in das Objektive der Darſtellung legen muß, ſo wird ſie da-
durch am meiſten Idylle ſeyn, daß der Gegenſtand ſich mit roherer
Beſonderheit abhebt, weniger alſo gebildet iſt als der des Epos. Die
Idylle nimmt daher ihre Gegenſtände nicht nur überhaupt aus einer
beſchränkten Welt, ſondern macht ſie auch in dieſer noch ſcharf indivi-
duell, ja ſogar local nach Sitten, Sprache, Charakter, etwa wie die
menſchlichen Geſtalten in einer Landſchaft ſeyn müſſen, derb, von nichts
entfernter als von Idealität. Nichts iſt daher der Natur der Idylle
widerſprechender, als den Perſonen Empfindſamkeit, eine Art unſchul-
diger Sittlichkeit mitzutheilen. Wenn die Derbheit der theokritiſchen
Idylle verlaſſen werden kann, ſo iſt es nur, wenn dafür der ganze
Charakter romantiſch wird, wie in den vorzüglichſten Schäferpoeſien der
Italiener und Spanier. Wenn aber, wie in Geßner, neben dem
Aechten und Antiken zugleich das romantiſche Princip fehlt, ſo kann
man die Bewunderung, die ſeine Idyllen beſonders im Ausland gefun-
den haben, nur als eine der unzähligen Aeußerungen der Unpoeſie
begreifen. In Geßners Idyllen, wie in ſehr vielen der Franzoſen, iſt,
ganz gegen den Geiſt der Idylle, eine Art von flacher, ſittlich-empfind-
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völlig verkehrt worden. Der ächte Geiſt der Idylle iſt in einer ſpäteren

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[661/0337] geſtellt. An Goethes Elegien ließe ſich am unmittelbarſten zeigen, daß in Anſehung der Elegie die Subjektivität in das Objekt, dagegen die Objektivität in die Darſtellung und das darſtellende Princip fällt. Dieſe Elegien beſingen den höchſten Reiz des Lebens und der Luſt, aber auf eine wahrhaft epiſche Weiſe mit Verbreitung über den großen Gegen- ſtand ſeiner Umgebung. Die Idylle iſt gegenüber von der Elegie die objektivere Gattung, und alſo überhaupt die objektivſte unter den vier dem epiſchen Ge- dicht untergeordneten Gattungen. Da in ihr der Gegenſtand (ſubjektiv) beſchränkter als im Epos, und die allgemein gültige Ruhe alſo bloß in die Darſtellung gelegt wird, ſo nähert ſie ſich dadurch ſchon mehr dem Gemälde, und dieß iſt auch ihre urſprüngliche Bedeutung, da Idylle ein kleinſtes Bild, ein Gemälde bezeichnet. Da ſie ferner das Ueber- gewicht in das Objektive der Darſtellung legen muß, ſo wird ſie da- durch am meiſten Idylle ſeyn, daß der Gegenſtand ſich mit roherer Beſonderheit abhebt, weniger alſo gebildet iſt als der des Epos. Die Idylle nimmt daher ihre Gegenſtände nicht nur überhaupt aus einer beſchränkten Welt, ſondern macht ſie auch in dieſer noch ſcharf indivi- duell, ja ſogar local nach Sitten, Sprache, Charakter, etwa wie die menſchlichen Geſtalten in einer Landſchaft ſeyn müſſen, derb, von nichts entfernter als von Idealität. Nichts iſt daher der Natur der Idylle widerſprechender, als den Perſonen Empfindſamkeit, eine Art unſchul- diger Sittlichkeit mitzutheilen. Wenn die Derbheit der theokritiſchen Idylle verlaſſen werden kann, ſo iſt es nur, wenn dafür der ganze Charakter romantiſch wird, wie in den vorzüglichſten Schäferpoeſien der Italiener und Spanier. Wenn aber, wie in Geßner, neben dem Aechten und Antiken zugleich das romantiſche Princip fehlt, ſo kann man die Bewunderung, die ſeine Idyllen beſonders im Ausland gefun- den haben, nur als eine der unzähligen Aeußerungen der Unpoeſie begreifen. In Geßners Idyllen, wie in ſehr vielen der Franzoſen, iſt, ganz gegen den Geiſt der Idylle, eine Art von flacher, ſittlich-empfind- ſamer Allgemeingültigkeit in den Gegenſtand gelegt und die Gattung völlig verkehrt worden. Der ächte Geiſt der Idylle iſt in einer ſpäteren

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/337>, abgerufen am 25.11.2024.