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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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wieder absolut. Klopstock gehört aber zu denjenigen Dichtern, in welchen
Religion als lebendige Anschauung des Universums und Intuition der
Ideen am wenigsten wohnt. Das Herrschende in ihm ist der Verstandes-
begriff. In diesem Verstandessinn nimmt er die Unendlichkeit Gottes,
die Hoheit Christi, und anstatt die Unendlichkeit und Hoheit in den
Gegenstand zu legen, fällt sie vielmehr stets in den Dichter zurück, so
daß beständig nur er selbst und seine Bewegung erscheint, der Gegen-
stand selbst aber unbeweglich bleibt und weder Gestalt noch Fortschritt
gewinnt. Das Widersinnigste ist, daß der Schluß Gottes, seinen Sohn
zur Erlösung der Menschen dahin zu geben, von Ewigkeit genommen
ist, daß Christus, der selbst Gott ist, ihn weiß, und daß also über das
Ende bei dem Helden des Gedichts gar kein Zweifel seyn kann, wo-
durch die ganze Handlung des Gedichts schleppend und die etwaige Ma-
schinerie, durch welche das Ende herbeigeführt wird, als völlig nutzlos
erscheint. Man kann sich übrigens von dem Anblick dieses Gedichts
nicht ohne Bedauern abwenden, daß eine so große Kraft so fruchtlos
verschwendet worden ist.

Es war nur der Zweck, von denjenigen epischen Gedichten der
Neueren zu sprechen, welche Ansprüche machen mehr oder weniger im
Sinn des alten Epos gedichtet zu seyn. Ueber Goethes Hermann und
Dorothea, das einzige epische Gedicht im wahren Sinn der Alten, werde
ich noch besonders reden, und auch von der eigentlichen modernen Epopee
kann hier noch nicht die Rede seyn.

Wir haben noch einige der besondern epischen Formen zu betrach-
ten. Man könnte zwar vorläufig fragen, wie das epische Gedicht als
die höchste Identität einiger Differenz fähig seyn könne. Es versteht
sich nun wohl von selbst, daß der Raum, in welchen das epische Ge-
dicht ausweichen kann, sehr beschränkt seyn muß; es versteht sich aber
noch unmittelbarer, daß es durch jene Ausweichung von dem Punkt,
in den es einzig fallen kann, auch nothwendig den Charakter ablegt, der
nur an jenen Punkt gebunden ist.

Es liegen nun zunächst nur zwei Möglichkeiten im epischen Gedicht,
welche in ihrer Differenziirung zwei besondere Gattungen bilden. Das

Schelling, sämmtl. Werke. 1. Abth 42

wieder abſolut. Klopſtock gehört aber zu denjenigen Dichtern, in welchen
Religion als lebendige Anſchauung des Univerſums und Intuition der
Ideen am wenigſten wohnt. Das Herrſchende in ihm iſt der Verſtandes-
begriff. In dieſem Verſtandesſinn nimmt er die Unendlichkeit Gottes,
die Hoheit Chriſti, und anſtatt die Unendlichkeit und Hoheit in den
Gegenſtand zu legen, fällt ſie vielmehr ſtets in den Dichter zurück, ſo
daß beſtändig nur er ſelbſt und ſeine Bewegung erſcheint, der Gegen-
ſtand ſelbſt aber unbeweglich bleibt und weder Geſtalt noch Fortſchritt
gewinnt. Das Widerſinnigſte iſt, daß der Schluß Gottes, ſeinen Sohn
zur Erlöſung der Menſchen dahin zu geben, von Ewigkeit genommen
iſt, daß Chriſtus, der ſelbſt Gott iſt, ihn weiß, und daß alſo über das
Ende bei dem Helden des Gedichts gar kein Zweifel ſeyn kann, wo-
durch die ganze Handlung des Gedichts ſchleppend und die etwaige Ma-
ſchinerie, durch welche das Ende herbeigeführt wird, als völlig nutzlos
erſcheint. Man kann ſich übrigens von dem Anblick dieſes Gedichts
nicht ohne Bedauern abwenden, daß eine ſo große Kraft ſo fruchtlos
verſchwendet worden iſt.

Es war nur der Zweck, von denjenigen epiſchen Gedichten der
Neueren zu ſprechen, welche Anſprüche machen mehr oder weniger im
Sinn des alten Epos gedichtet zu ſeyn. Ueber Goethes Hermann und
Dorothea, das einzige epiſche Gedicht im wahren Sinn der Alten, werde
ich noch beſonders reden, und auch von der eigentlichen modernen Epopee
kann hier noch nicht die Rede ſeyn.

Wir haben noch einige der beſondern epiſchen Formen zu betrach-
ten. Man könnte zwar vorläufig fragen, wie das epiſche Gedicht als
die höchſte Identität einiger Differenz fähig ſeyn könne. Es verſteht
ſich nun wohl von ſelbſt, daß der Raum, in welchen das epiſche Ge-
dicht ausweichen kann, ſehr beſchränkt ſeyn muß; es verſteht ſich aber
noch unmittelbarer, daß es durch jene Ausweichung von dem Punkt,
in den es einzig fallen kann, auch nothwendig den Charakter ablegt, der
nur an jenen Punkt gebunden iſt.

Es liegen nun zunächſt nur zwei Möglichkeiten im epiſchen Gedicht,
welche in ihrer Differenziirung zwei beſondere Gattungen bilden. Das

Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth 42
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[657/0333] wieder abſolut. Klopſtock gehört aber zu denjenigen Dichtern, in welchen Religion als lebendige Anſchauung des Univerſums und Intuition der Ideen am wenigſten wohnt. Das Herrſchende in ihm iſt der Verſtandes- begriff. In dieſem Verſtandesſinn nimmt er die Unendlichkeit Gottes, die Hoheit Chriſti, und anſtatt die Unendlichkeit und Hoheit in den Gegenſtand zu legen, fällt ſie vielmehr ſtets in den Dichter zurück, ſo daß beſtändig nur er ſelbſt und ſeine Bewegung erſcheint, der Gegen- ſtand ſelbſt aber unbeweglich bleibt und weder Geſtalt noch Fortſchritt gewinnt. Das Widerſinnigſte iſt, daß der Schluß Gottes, ſeinen Sohn zur Erlöſung der Menſchen dahin zu geben, von Ewigkeit genommen iſt, daß Chriſtus, der ſelbſt Gott iſt, ihn weiß, und daß alſo über das Ende bei dem Helden des Gedichts gar kein Zweifel ſeyn kann, wo- durch die ganze Handlung des Gedichts ſchleppend und die etwaige Ma- ſchinerie, durch welche das Ende herbeigeführt wird, als völlig nutzlos erſcheint. Man kann ſich übrigens von dem Anblick dieſes Gedichts nicht ohne Bedauern abwenden, daß eine ſo große Kraft ſo fruchtlos verſchwendet worden iſt. Es war nur der Zweck, von denjenigen epiſchen Gedichten der Neueren zu ſprechen, welche Anſprüche machen mehr oder weniger im Sinn des alten Epos gedichtet zu ſeyn. Ueber Goethes Hermann und Dorothea, das einzige epiſche Gedicht im wahren Sinn der Alten, werde ich noch beſonders reden, und auch von der eigentlichen modernen Epopee kann hier noch nicht die Rede ſeyn. Wir haben noch einige der beſondern epiſchen Formen zu betrach- ten. Man könnte zwar vorläufig fragen, wie das epiſche Gedicht als die höchſte Identität einiger Differenz fähig ſeyn könne. Es verſteht ſich nun wohl von ſelbſt, daß der Raum, in welchen das epiſche Ge- dicht ausweichen kann, ſehr beſchränkt ſeyn muß; es verſteht ſich aber noch unmittelbarer, daß es durch jene Ausweichung von dem Punkt, in den es einzig fallen kann, auch nothwendig den Charakter ablegt, der nur an jenen Punkt gebunden iſt. Es liegen nun zunächſt nur zwei Möglichkeiten im epiſchen Gedicht, welche in ihrer Differenziirung zwei beſondere Gattungen bilden. Das Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth 42

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/333>, abgerufen am 22.11.2024.