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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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rhetorisch verflochten, prächtig. In seinen Reden ist er durchaus lyrisch
oder rednerisch und in der Episode der Liebesgeschichte der Dido fast
modern. -- Das Ansehen des Virgil in den Schulen und bei moder-
nen Kunstrichtern hat lange Zeit nicht nur die Theorie des Epos ver-
fälscht (die gewöhnlichen Theorien sind ganz nach dem Virgil gemodelt,
einer von den vielen Beweisen, daß die Menschen lieber aus der zweiten
Hand das Verschlechterte, als aus der ersten das Treffliche wollen),
dieses Ansehen Virgils hat auch auf die späteren Versuche epischer Poesie
nachtheiligen Einfluß gehabt. In der That verräth Milton eine Bild-
samkeit des Geistes, die kaum zweifeln läßt, daß wenn er das unver-
stellte Vorbild des Epos vor Augen hatte, er sich ihm beträchtlich mehr
genähert hätte, als es geschehen ist; wenn nicht etwa die tiefere Kennt-
niß ihn noch weiter bis zu der Einsicht geführt hätte, daß eine Sprache,
in der die alten Sylbenmaße nicht Platz greifen können, überhaupt
nicht mit den Alten im Epos wetteifern kann. Milton theilt übrigens
die meisten Fehler des Virgil, z. B. den Mangel derjenigen Absicht-
losigkeit, die zum Epos gehört, obwohl er in Ansehung der Sprache
z. B. sich verhältnißmäßig der Einfalt des Epos mehr als Virgil nähert.
Zu den Fehlern, die er mit Virgil gemein hat, kommen die eigenthüm-
lichen hinzu, deren Grund in den Begriffen und dem Charakter der
Zeit, sowie in der Natur des Gegenstandes liegen.

Nach allem, was zuvor gezeigt wurde, bedarf es keines Beweises,
daß der Stoff, welchen Klopstock gewählt hat, besonders in der Art,
wie er von ihm genommen ist, kein epischer Stoff sey. Klopstock wollte
ihn erhaben nehmen, und die Vorstellungen nicht der mystischen, sondern
der unmystischen und unpoetischen, noch mit einiger Aufklärung versetzten
Dogmatik durch seine Anstrengungen zur Erhabenheit hinauftreiben.
Aber wenn erstens überhaupt das Leben und der Tod Christi episch
behandelt werden könnte, so müßte es rein menschlich genommen und
mit der größten Einfalt -- fast idyllisch -- behandelt werden. Oder
müßte das Gedicht ganz im modernen Geiste und von den Ideen des christ-
lichen Mysticismus und Mythologie erfüllt seyn. Dann wäre es wenig-
stens als absolute Entgegensetzung gegen das antike Epos in seiner Art

rhetoriſch verflochten, prächtig. In ſeinen Reden iſt er durchaus lyriſch
oder redneriſch und in der Epiſode der Liebesgeſchichte der Dido faſt
modern. — Das Anſehen des Virgil in den Schulen und bei moder-
nen Kunſtrichtern hat lange Zeit nicht nur die Theorie des Epos ver-
fälſcht (die gewöhnlichen Theorien ſind ganz nach dem Virgil gemodelt,
einer von den vielen Beweiſen, daß die Menſchen lieber aus der zweiten
Hand das Verſchlechterte, als aus der erſten das Treffliche wollen),
dieſes Anſehen Virgils hat auch auf die ſpäteren Verſuche epiſcher Poeſie
nachtheiligen Einfluß gehabt. In der That verräth Milton eine Bild-
ſamkeit des Geiſtes, die kaum zweifeln läßt, daß wenn er das unver-
ſtellte Vorbild des Epos vor Augen hatte, er ſich ihm beträchtlich mehr
genähert hätte, als es geſchehen iſt; wenn nicht etwa die tiefere Kennt-
niß ihn noch weiter bis zu der Einſicht geführt hätte, daß eine Sprache,
in der die alten Sylbenmaße nicht Platz greifen können, überhaupt
nicht mit den Alten im Epos wetteifern kann. Milton theilt übrigens
die meiſten Fehler des Virgil, z. B. den Mangel derjenigen Abſicht-
loſigkeit, die zum Epos gehört, obwohl er in Anſehung der Sprache
z. B. ſich verhältnißmäßig der Einfalt des Epos mehr als Virgil nähert.
Zu den Fehlern, die er mit Virgil gemein hat, kommen die eigenthüm-
lichen hinzu, deren Grund in den Begriffen und dem Charakter der
Zeit, ſowie in der Natur des Gegenſtandes liegen.

Nach allem, was zuvor gezeigt wurde, bedarf es keines Beweiſes,
daß der Stoff, welchen Klopſtock gewählt hat, beſonders in der Art,
wie er von ihm genommen iſt, kein epiſcher Stoff ſey. Klopſtock wollte
ihn erhaben nehmen, und die Vorſtellungen nicht der myſtiſchen, ſondern
der unmyſtiſchen und unpoetiſchen, noch mit einiger Aufklärung verſetzten
Dogmatik durch ſeine Anſtrengungen zur Erhabenheit hinauftreiben.
Aber wenn erſtens überhaupt das Leben und der Tod Chriſti epiſch
behandelt werden könnte, ſo müßte es rein menſchlich genommen und
mit der größten Einfalt — faſt idylliſch — behandelt werden. Oder
müßte das Gedicht ganz im modernen Geiſte und von den Ideen des chriſt-
lichen Myſticismus und Mythologie erfüllt ſeyn. Dann wäre es wenig-
ſtens als abſolute Entgegenſetzung gegen das antike Epos in ſeiner Art

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[656/0332] rhetoriſch verflochten, prächtig. In ſeinen Reden iſt er durchaus lyriſch oder redneriſch und in der Epiſode der Liebesgeſchichte der Dido faſt modern. — Das Anſehen des Virgil in den Schulen und bei moder- nen Kunſtrichtern hat lange Zeit nicht nur die Theorie des Epos ver- fälſcht (die gewöhnlichen Theorien ſind ganz nach dem Virgil gemodelt, einer von den vielen Beweiſen, daß die Menſchen lieber aus der zweiten Hand das Verſchlechterte, als aus der erſten das Treffliche wollen), dieſes Anſehen Virgils hat auch auf die ſpäteren Verſuche epiſcher Poeſie nachtheiligen Einfluß gehabt. In der That verräth Milton eine Bild- ſamkeit des Geiſtes, die kaum zweifeln läßt, daß wenn er das unver- ſtellte Vorbild des Epos vor Augen hatte, er ſich ihm beträchtlich mehr genähert hätte, als es geſchehen iſt; wenn nicht etwa die tiefere Kennt- niß ihn noch weiter bis zu der Einſicht geführt hätte, daß eine Sprache, in der die alten Sylbenmaße nicht Platz greifen können, überhaupt nicht mit den Alten im Epos wetteifern kann. Milton theilt übrigens die meiſten Fehler des Virgil, z. B. den Mangel derjenigen Abſicht- loſigkeit, die zum Epos gehört, obwohl er in Anſehung der Sprache z. B. ſich verhältnißmäßig der Einfalt des Epos mehr als Virgil nähert. Zu den Fehlern, die er mit Virgil gemein hat, kommen die eigenthüm- lichen hinzu, deren Grund in den Begriffen und dem Charakter der Zeit, ſowie in der Natur des Gegenſtandes liegen. Nach allem, was zuvor gezeigt wurde, bedarf es keines Beweiſes, daß der Stoff, welchen Klopſtock gewählt hat, beſonders in der Art, wie er von ihm genommen iſt, kein epiſcher Stoff ſey. Klopſtock wollte ihn erhaben nehmen, und die Vorſtellungen nicht der myſtiſchen, ſondern der unmyſtiſchen und unpoetiſchen, noch mit einiger Aufklärung verſetzten Dogmatik durch ſeine Anſtrengungen zur Erhabenheit hinauftreiben. Aber wenn erſtens überhaupt das Leben und der Tod Chriſti epiſch behandelt werden könnte, ſo müßte es rein menſchlich genommen und mit der größten Einfalt — faſt idylliſch — behandelt werden. Oder müßte das Gedicht ganz im modernen Geiſte und von den Ideen des chriſt- lichen Myſticismus und Mythologie erfüllt ſeyn. Dann wäre es wenig- ſtens als abſolute Entgegenſetzung gegen das antike Epos in ſeiner Art

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/332>, abgerufen am 22.11.2024.