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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Auflösung des republikanischen Verbands und der Staaten in Italien.
Indem das öffentliche Leben mehr oder weniger verschwand, mußte es
sich nach innen richten. Die glücklichen Zeiten, welche Italien einigen
großgesinnten Fürsten, vorzüglich den Mediceern verdankte, traten erst
später ein, und kamen dem romantischen Epos zu gut, welches sich in
Ariosto ausbildete. Dante und Petrarca, die ersten Urheber der lyri-
schen Poesie, fielen in die Zeiten der Unruhe, der gesellschaftlichen Auf-
lösung, und ihre Gesänge, wenn sie sich auf diese äußern Gegenstände
beziehen, sprechen laut das Unglück dieser Zeit aus.

Die Dichtkunst der Alten feierte vorzüglich die männlichen Tugen-
den, die der Krieg und das gemeinsame öffentliche Leben erzeugt und
nährt. Von allen Verhältnissen der Empfindung war daher die Freund-
schaft der Männer das Herrschende und die Weiberliebe ein durchaus
Untergeordnetes. Die moderne Lyrik war in ihrem Ursprung der Liebe
mit all den Empfindungen geweiht, welche im Begriff der Neueren
damit verbunden sind. Die erste Begeisterung des Dante war die
Liebe eines jungen Mädchens, der Beatrice. Er hat die Geschichte dieser
Liebe in Sonetten, Canzonen und prosaischen, mit Gedichten untermisch-
ten Werken, vorzüglich der Vita nuova verewigt. Die größeren Schick-
sale seines späteren Lebens, die Verbannung aus Florenz, das Unglück
und das Verbrechen der Zeit, spornten seinen göttlichen Geist erst zur
Hervorbringung seines höheren Werks, der Divina Comedia, obgleich
der Grund und Anfang dieses Gedichts wieder Beatrice ist.

Das ganze Leben des Petrarca war jener geistigen Liebe ge-
weiht, die sich in der Anbetung genügt. Dieser harmonischen, von der
Blüthe der Bildung und der edelsten Tugenden seiner Zeit erfüllten
Seele bedurfte es, um in ihr die italienische Poesie zu dem höchsten
Grad lyrischer Schönheit, Reinheit und Vortrefflichkeit auszubilden.
Man würde sich sehr irren, in Petrarca einen in Liebe zerfließenden
und zerschmelzenden Dichter zu suchen, da seine Formen eben so streng,
präcis, bestimmt sind als die des Dante in ihrer Art.

Auch Boccaccio gesellt sich zu diesem Verein; denn auch die
Muse seiner Poesie ist die Liebe.

Auflöſung des republikaniſchen Verbands und der Staaten in Italien.
Indem das öffentliche Leben mehr oder weniger verſchwand, mußte es
ſich nach innen richten. Die glücklichen Zeiten, welche Italien einigen
großgeſinnten Fürſten, vorzüglich den Mediceern verdankte, traten erſt
ſpäter ein, und kamen dem romantiſchen Epos zu gut, welches ſich in
Arioſto ausbildete. Dante und Petrarca, die erſten Urheber der lyri-
ſchen Poeſie, fielen in die Zeiten der Unruhe, der geſellſchaftlichen Auf-
löſung, und ihre Geſänge, wenn ſie ſich auf dieſe äußern Gegenſtände
beziehen, ſprechen laut das Unglück dieſer Zeit aus.

Die Dichtkunſt der Alten feierte vorzüglich die männlichen Tugen-
den, die der Krieg und das gemeinſame öffentliche Leben erzeugt und
nährt. Von allen Verhältniſſen der Empfindung war daher die Freund-
ſchaft der Männer das Herrſchende und die Weiberliebe ein durchaus
Untergeordnetes. Die moderne Lyrik war in ihrem Urſprung der Liebe
mit all den Empfindungen geweiht, welche im Begriff der Neueren
damit verbunden ſind. Die erſte Begeiſterung des Dante war die
Liebe eines jungen Mädchens, der Beatrice. Er hat die Geſchichte dieſer
Liebe in Sonetten, Canzonen und proſaiſchen, mit Gedichten untermiſch-
ten Werken, vorzüglich der Vita nuova verewigt. Die größeren Schick-
ſale ſeines ſpäteren Lebens, die Verbannung aus Florenz, das Unglück
und das Verbrechen der Zeit, ſpornten ſeinen göttlichen Geiſt erſt zur
Hervorbringung ſeines höheren Werks, der Divina Comedia, obgleich
der Grund und Anfang dieſes Gedichts wieder Beatrice iſt.

Das ganze Leben des Petrarca war jener geiſtigen Liebe ge-
weiht, die ſich in der Anbetung genügt. Dieſer harmoniſchen, von der
Blüthe der Bildung und der edelſten Tugenden ſeiner Zeit erfüllten
Seele bedurfte es, um in ihr die italieniſche Poeſie zu dem höchſten
Grad lyriſcher Schönheit, Reinheit und Vortrefflichkeit auszubilden.
Man würde ſich ſehr irren, in Petrarca einen in Liebe zerfließenden
und zerſchmelzenden Dichter zu ſuchen, da ſeine Formen eben ſo ſtreng,
präcis, beſtimmt ſind als die des Dante in ihrer Art.

Auch Boccaccio geſellt ſich zu dieſem Verein; denn auch die
Muſe ſeiner Poeſie iſt die Liebe.

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[644/0320] Auflöſung des republikaniſchen Verbands und der Staaten in Italien. Indem das öffentliche Leben mehr oder weniger verſchwand, mußte es ſich nach innen richten. Die glücklichen Zeiten, welche Italien einigen großgeſinnten Fürſten, vorzüglich den Mediceern verdankte, traten erſt ſpäter ein, und kamen dem romantiſchen Epos zu gut, welches ſich in Arioſto ausbildete. Dante und Petrarca, die erſten Urheber der lyri- ſchen Poeſie, fielen in die Zeiten der Unruhe, der geſellſchaftlichen Auf- löſung, und ihre Geſänge, wenn ſie ſich auf dieſe äußern Gegenſtände beziehen, ſprechen laut das Unglück dieſer Zeit aus. Die Dichtkunſt der Alten feierte vorzüglich die männlichen Tugen- den, die der Krieg und das gemeinſame öffentliche Leben erzeugt und nährt. Von allen Verhältniſſen der Empfindung war daher die Freund- ſchaft der Männer das Herrſchende und die Weiberliebe ein durchaus Untergeordnetes. Die moderne Lyrik war in ihrem Urſprung der Liebe mit all den Empfindungen geweiht, welche im Begriff der Neueren damit verbunden ſind. Die erſte Begeiſterung des Dante war die Liebe eines jungen Mädchens, der Beatrice. Er hat die Geſchichte dieſer Liebe in Sonetten, Canzonen und proſaiſchen, mit Gedichten untermiſch- ten Werken, vorzüglich der Vita nuova verewigt. Die größeren Schick- ſale ſeines ſpäteren Lebens, die Verbannung aus Florenz, das Unglück und das Verbrechen der Zeit, ſpornten ſeinen göttlichen Geiſt erſt zur Hervorbringung ſeines höheren Werks, der Divina Comedia, obgleich der Grund und Anfang dieſes Gedichts wieder Beatrice iſt. Das ganze Leben des Petrarca war jener geiſtigen Liebe ge- weiht, die ſich in der Anbetung genügt. Dieſer harmoniſchen, von der Blüthe der Bildung und der edelſten Tugenden ſeiner Zeit erfüllten Seele bedurfte es, um in ihr die italieniſche Poeſie zu dem höchſten Grad lyriſcher Schönheit, Reinheit und Vortrefflichkeit auszubilden. Man würde ſich ſehr irren, in Petrarca einen in Liebe zerfließenden und zerſchmelzenden Dichter zu ſuchen, da ſeine Formen eben ſo ſtreng, präcis, beſtimmt ſind als die des Dante in ihrer Art. Auch Boccaccio geſellt ſich zu dieſem Verein; denn auch die Muſe ſeiner Poeſie iſt die Liebe.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 644. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/320>, abgerufen am 25.11.2024.