Es erhellt von selbst, daß die Kunst in dem Verhältniß, als sie real ist, also in dem Verhältniß, in welchem sie das Unendliche dem End- lichen einbildet, auch als real erscheine, dagegen daß sie im umgekehrten Verhältniß jener Umwandlung noch mehr oder weniger als ideal er- scheine. So erscheint in der Musik die Einbildung des Idealen ins Reale noch als Akt, als ein Geschehen, nicht als ein Seyn, und als bloß relative Identität. In der Malerei hat sich das Ideale bereits zu Umriß und Gestalt zusammengezogen, aber noch ohne als Reales zu erscheinen; sie stellt bloß Vorbilder des Realen dar. Endlich in der Plastik ist das Unendliche ganz in das Endliche, das Leben in den Tod, der Geist in Materie verwandelt, aber eben deßwegen, und nur weil es ganz und absolut real ist, ist das plastische Werk auch wieder absolut ideal. -- Die von uns aufgestellte Ordnung ist also die in der Sache selbst gegründete, und wir werden ein gleiches Verhältniß auch wieder auf der idealen Seite in der Poesie antreffen, in welcher gleichfalls die höchste Potenz auf jener Umwandlung eines Idealen in ein gänzliches Seyn, in eine als wirklich dargestellte Realität beruht, im Gegensatz gegen welche die Lyrik z. B. weit mehr ideal erscheint.
Hiermit wäre also der Kreis der bildenden Künste durchlaufen. Wir werden uns daher jetzt zu der idealen Seite der Kunstwelt wenden, welche die Poesie im engeren Sinn ist, Poesie nämlich, sofern sie durch Rede und Sprache sich ausdrückt.
Ich erinnere hier an folgende Hauptsätze.
1. Das Universum ist nach den Beweisen, welche gleich anfangs (§. 8) geführt wurden, nach zwei Seiten gegliedert, welche den beiden Einheiten im Absoluten entsprechen. In der einen, für sich betrachtet, erscheint das Absolute bloß als Grund von Existenz, denn es ist die, worin es seine ewige Einheit in die Differenz gestaltet. In der andern erscheint das Absolute als Wesen, als Absolutes, denn wie dort (in der ersten Einheit) das Wesen in die Form gebildet wird, so hier da- gegen die Form in das Wesen. Dort ist also die Form das Herr- schende, hier das Wesen.
Es erhellt von ſelbſt, daß die Kunſt in dem Verhältniß, als ſie real iſt, alſo in dem Verhältniß, in welchem ſie das Unendliche dem End- lichen einbildet, auch als real erſcheine, dagegen daß ſie im umgekehrten Verhältniß jener Umwandlung noch mehr oder weniger als ideal er- ſcheine. So erſcheint in der Muſik die Einbildung des Idealen ins Reale noch als Akt, als ein Geſchehen, nicht als ein Seyn, und als bloß relative Identität. In der Malerei hat ſich das Ideale bereits zu Umriß und Geſtalt zuſammengezogen, aber noch ohne als Reales zu erſcheinen; ſie ſtellt bloß Vorbilder des Realen dar. Endlich in der Plaſtik iſt das Unendliche ganz in das Endliche, das Leben in den Tod, der Geiſt in Materie verwandelt, aber eben deßwegen, und nur weil es ganz und abſolut real iſt, iſt das plaſtiſche Werk auch wieder abſolut ideal. — Die von uns aufgeſtellte Ordnung iſt alſo die in der Sache ſelbſt gegründete, und wir werden ein gleiches Verhältniß auch wieder auf der idealen Seite in der Poeſie antreffen, in welcher gleichfalls die höchſte Potenz auf jener Umwandlung eines Idealen in ein gänzliches Seyn, in eine als wirklich dargeſtellte Realität beruht, im Gegenſatz gegen welche die Lyrik z. B. weit mehr ideal erſcheint.
Hiermit wäre alſo der Kreis der bildenden Künſte durchlaufen. Wir werden uns daher jetzt zu der idealen Seite der Kunſtwelt wenden, welche die Poeſie im engeren Sinn iſt, Poeſie nämlich, ſofern ſie durch Rede und Sprache ſich ausdrückt.
Ich erinnere hier an folgende Hauptſätze.
1. Das Univerſum iſt nach den Beweiſen, welche gleich anfangs (§. 8) geführt wurden, nach zwei Seiten gegliedert, welche den beiden Einheiten im Abſoluten entſprechen. In der einen, für ſich betrachtet, erſcheint das Abſolute bloß als Grund von Exiſtenz, denn es iſt die, worin es ſeine ewige Einheit in die Differenz geſtaltet. In der andern erſcheint das Abſolute als Weſen, als Abſolutes, denn wie dort (in der erſten Einheit) das Weſen in die Form gebildet wird, ſo hier da- gegen die Form in das Weſen. Dort iſt alſo die Form das Herr- ſchende, hier das Weſen.
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Es erhellt von ſelbſt, daß die Kunſt in dem Verhältniß, als ſie
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lichen einbildet, auch als real erſcheine, dagegen daß ſie im umgekehrten
Verhältniß jener Umwandlung noch mehr oder weniger als ideal er-
ſcheine. So erſcheint in der Muſik die Einbildung des Idealen ins
Reale noch als Akt, als ein Geſchehen, nicht als ein Seyn, und als
bloß relative Identität. In der Malerei hat ſich das Ideale bereits
zu Umriß und Geſtalt zuſammengezogen, aber noch ohne als Reales
zu erſcheinen; ſie ſtellt bloß Vorbilder des Realen dar. Endlich in der
Plaſtik iſt das Unendliche ganz in das Endliche, das Leben in den Tod,
der Geiſt in Materie verwandelt, aber eben deßwegen, und nur weil
es ganz und abſolut real iſt, iſt das plaſtiſche Werk auch wieder
abſolut ideal. — Die von uns aufgeſtellte Ordnung iſt alſo die in der
Sache ſelbſt gegründete, und wir werden ein gleiches Verhältniß auch
wieder auf der idealen Seite in der Poeſie antreffen, in welcher
gleichfalls die höchſte Potenz auf jener Umwandlung eines Idealen
in ein gänzliches Seyn, in eine als wirklich dargeſtellte Realität
beruht, im Gegenſatz gegen welche die Lyrik z. B. weit mehr ideal
erſcheint.
Hiermit wäre alſo der Kreis der bildenden Künſte durchlaufen.
Wir werden uns daher jetzt zu der idealen Seite der Kunſtwelt
wenden, welche die Poeſie im engeren Sinn iſt, Poeſie nämlich, ſofern
ſie durch Rede und Sprache ſich ausdrückt.
Ich erinnere hier an folgende Hauptſätze.
1. Das Univerſum iſt nach den Beweiſen, welche gleich anfangs
(§. 8) geführt wurden, nach zwei Seiten gegliedert, welche den beiden
Einheiten im Abſoluten entſprechen. In der einen, für ſich betrachtet,
erſcheint das Abſolute bloß als Grund von Exiſtenz, denn es iſt die,
worin es ſeine ewige Einheit in die Differenz geſtaltet. In der andern
erſcheint das Abſolute als Weſen, als Abſolutes, denn wie dort (in
der erſten Einheit) das Weſen in die Form gebildet wird, ſo hier da-
gegen die Form in das Weſen. Dort iſt alſo die Form das Herr-
ſchende, hier das Weſen.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 630. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/306>, abgerufen am 22.11.2024.
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