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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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empfehlen, daß sie den Uebergang von der bildenden Kunst zur redenden
unmittelbarer und stetiger machen läßt. Die Materie löst sich allmählich
ins Ideale auf: -- in der Malerei schon ins relativ-Ideale, in dem Licht;
in der Musik, und dann noch mehr in Rede und Poesie in das wahrhaft
Ideale, in die vollkommenste Erscheinung des absoluten Erkenntnißaktes.

Der Mißverstand, auf welchem diese Ordnung beruhen würde,
wäre der der Potenzen in der Philosophie. Die Meinung ist nicht,
daß die Potenzen wahre reale Gegensätze bilden, sondern daß sie
allgemeine Formen sind, die in allen Gegenständen auf gleiche
Weise zurückkehren. Z. B. die Potenz des Organischen ist keineswegs
bloß das organische Wesen selbst, sondern sie ist ebenso nothwendig
und bestimmt auch in der Materie selbst, nur hier untergeordnet dem
Anorgischen. Die Materie ist anorgisch, organisch und vernünftig zu-
gleich, und dadurch ein Bild des allgemeinen Universums. Die Plastik,
als die dritte Potenz der bildenden Kunst, stellt nun eben das, was in
der Materie Ausdruck der Vernunft ist, als entwickelt dar, und sie
geht hierin sogar durch verschiedene Stufen, indem sie, als Architektur
z. B. die Materie oder das Anorgische nur bis zur Allegorie des Orga-
nischen und mittelbar der Vernunft entwickelt. Die Plastik also, wenn
sie auch dadurch, daß sie die Materie zum Leib nimmt, unter die erste
Potenz fällt, wäre doch in dieser, nämlich unter dem gemeinschaftlichen
Exponenten des ersten, wieder die dritte Potenz, indem sie die Ver-
nunft als das Wesen der Materie darstellt. Auf diese Weise würde
sich also, wie die Natur in Bezug auf das Universum im Ganzen
wieder die erste Potenz darstellt, so die bildende Kunst in Bezug auf
das Universum der Kunst im Ganzen als die erste Potenz verhalten.

Was aber über die Ordnung der drei Grundformen der bildenden
Kunst entscheidet, ist Folgendes.

Alle bildende Kunst ist Einbildung des Unendlichen ins Endliche,
des Idealen ins Reale. Da sie also überhaupt auf die Umwandlung
des Idealen in das Reale geht, so muß die vollkommenste Erscheinung
des Idealen als eines Realen, die absolute Verwandlung des ersten in
das andere, den Gipfel aller bildenden Kunst bezeichnen.

empfehlen, daß ſie den Uebergang von der bildenden Kunſt zur redenden
unmittelbarer und ſtetiger machen läßt. Die Materie löst ſich allmählich
ins Ideale auf: — in der Malerei ſchon ins relativ-Ideale, in dem Licht;
in der Muſik, und dann noch mehr in Rede und Poeſie in das wahrhaft
Ideale, in die vollkommenſte Erſcheinung des abſoluten Erkenntnißaktes.

Der Mißverſtand, auf welchem dieſe Ordnung beruhen würde,
wäre der der Potenzen in der Philoſophie. Die Meinung iſt nicht,
daß die Potenzen wahre reale Gegenſätze bilden, ſondern daß ſie
allgemeine Formen ſind, die in allen Gegenſtänden auf gleiche
Weiſe zurückkehren. Z. B. die Potenz des Organiſchen iſt keineswegs
bloß das organiſche Weſen ſelbſt, ſondern ſie iſt ebenſo nothwendig
und beſtimmt auch in der Materie ſelbſt, nur hier untergeordnet dem
Anorgiſchen. Die Materie iſt anorgiſch, organiſch und vernünftig zu-
gleich, und dadurch ein Bild des allgemeinen Univerſums. Die Plaſtik,
als die dritte Potenz der bildenden Kunſt, ſtellt nun eben das, was in
der Materie Ausdruck der Vernunft iſt, als entwickelt dar, und ſie
geht hierin ſogar durch verſchiedene Stufen, indem ſie, als Architektur
z. B. die Materie oder das Anorgiſche nur bis zur Allegorie des Orga-
niſchen und mittelbar der Vernunft entwickelt. Die Plaſtik alſo, wenn
ſie auch dadurch, daß ſie die Materie zum Leib nimmt, unter die erſte
Potenz fällt, wäre doch in dieſer, nämlich unter dem gemeinſchaftlichen
Exponenten des erſten, wieder die dritte Potenz, indem ſie die Ver-
nunft als das Weſen der Materie darſtellt. Auf dieſe Weiſe würde
ſich alſo, wie die Natur in Bezug auf das Univerſum im Ganzen
wieder die erſte Potenz darſtellt, ſo die bildende Kunſt in Bezug auf
das Univerſum der Kunſt im Ganzen als die erſte Potenz verhalten.

Was aber über die Ordnung der drei Grundformen der bildenden
Kunſt entſcheidet, iſt Folgendes.

Alle bildende Kunſt iſt Einbildung des Unendlichen ins Endliche,
des Idealen ins Reale. Da ſie alſo überhaupt auf die Umwandlung
des Idealen in das Reale geht, ſo muß die vollkommenſte Erſcheinung
des Idealen als eines Realen, die abſolute Verwandlung des erſten in
das andere, den Gipfel aller bildenden Kunſt bezeichnen.

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[629/0305] empfehlen, daß ſie den Uebergang von der bildenden Kunſt zur redenden unmittelbarer und ſtetiger machen läßt. Die Materie löst ſich allmählich ins Ideale auf: — in der Malerei ſchon ins relativ-Ideale, in dem Licht; in der Muſik, und dann noch mehr in Rede und Poeſie in das wahrhaft Ideale, in die vollkommenſte Erſcheinung des abſoluten Erkenntnißaktes. Der Mißverſtand, auf welchem dieſe Ordnung beruhen würde, wäre der der Potenzen in der Philoſophie. Die Meinung iſt nicht, daß die Potenzen wahre reale Gegenſätze bilden, ſondern daß ſie allgemeine Formen ſind, die in allen Gegenſtänden auf gleiche Weiſe zurückkehren. Z. B. die Potenz des Organiſchen iſt keineswegs bloß das organiſche Weſen ſelbſt, ſondern ſie iſt ebenſo nothwendig und beſtimmt auch in der Materie ſelbſt, nur hier untergeordnet dem Anorgiſchen. Die Materie iſt anorgiſch, organiſch und vernünftig zu- gleich, und dadurch ein Bild des allgemeinen Univerſums. Die Plaſtik, als die dritte Potenz der bildenden Kunſt, ſtellt nun eben das, was in der Materie Ausdruck der Vernunft iſt, als entwickelt dar, und ſie geht hierin ſogar durch verſchiedene Stufen, indem ſie, als Architektur z. B. die Materie oder das Anorgiſche nur bis zur Allegorie des Orga- niſchen und mittelbar der Vernunft entwickelt. Die Plaſtik alſo, wenn ſie auch dadurch, daß ſie die Materie zum Leib nimmt, unter die erſte Potenz fällt, wäre doch in dieſer, nämlich unter dem gemeinſchaftlichen Exponenten des erſten, wieder die dritte Potenz, indem ſie die Ver- nunft als das Weſen der Materie darſtellt. Auf dieſe Weiſe würde ſich alſo, wie die Natur in Bezug auf das Univerſum im Ganzen wieder die erſte Potenz darſtellt, ſo die bildende Kunſt in Bezug auf das Univerſum der Kunſt im Ganzen als die erſte Potenz verhalten. Was aber über die Ordnung der drei Grundformen der bildenden Kunſt entſcheidet, iſt Folgendes. Alle bildende Kunſt iſt Einbildung des Unendlichen ins Endliche, des Idealen ins Reale. Da ſie alſo überhaupt auf die Umwandlung des Idealen in das Reale geht, ſo muß die vollkommenſte Erſcheinung des Idealen als eines Realen, die abſolute Verwandlung des erſten in das andere, den Gipfel aller bildenden Kunſt bezeichnen.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/305>, abgerufen am 22.11.2024.