Jede Idee nämlich, als das vollkommene Ebenbild des Absoluten, hat wie dieses selbst zwei Seiten, eine reale und ideale. Von jener Seite angeschaut erscheinen die Ideen als Dinge, nur von der idealen erschei- nen sie als Ideen, obgleich das, worin die beiden Seiten eins sind, selbst wieder die Idee ist. Die Malerei stellt also die Ideen vorzugs- weise als Ideen, d. h. von der idealen Seite dar, die Plastik aber so, daß sie zugleich ganz Idee und ganz Ding sind. Die Malerei gibt ihre Gegenstände keineswegs für real, sondern will sie ausdrücklich als ideal angesehen wissen. Die Plastik, indem sie ihre Gegenstände als Ideen darstellt, gibt sie doch zugleich als Dinge, und umgekehrt; sie stellt also wirklich das absolut Ideale auch zugleich als das absolut Reale dar, und dieß ist ohne Zweifel der höchste Gipfel der bildenden Kunst, wodurch sie in die Quelle aller Kunst und aller Ideen, aller Wahrheit und Schönheit, nämlich in die Gottheit zurückkehrt.
§. 129. Die Plastik kann sich selbst in ihren höchsten Forderungen einzig durch Darstellung der Götter genügen. -- Denn sie stellt vorzugsweise die absoluten Ideen dar, die als ideal zugleich real. Aber die Ideen, real angeschaut, sind Götter (§. 28), die Plastik bedarf also vorzüglich der göttlichen Naturen etc.
Erläuterung. Diese Behauptung ist nicht empirisch gemeint nämlich so, daß die plastische Kunst niemals ihre wahre Höhe erreicht hätte, ohne Götter darzustellen. Es ist allerdings gewiß, daß die Noth- wendigkeit, in der sich die griechischen Künstler befanden, Bilder von Göttern zu entwerfen, sie nöthigte unmittelbarer sich über die Materie zu erheben, in das Reich des Abstrakten und Körperlosen zu dringen, und das Ueberirdische und von der bedürftigen und abhängigen Natur Abgesonderte zu suchen. Allein die Meinung ist eigentlich diese, daß die Plastik an und für sich selbst, und wenn sie nur sich selbst und ihren besonderen Forderungen genügen will, Götter darstellen muß. Denn ihre besondere Aufgabe ist eben, das absolut Ideale zugleich als das Reale, und demnach eine Indifferenz darzustellen, die an und für sich selbst nur in göttlichen Naturen seyn kann.
Man kann also sagen, daß jedes höhere Werk der Plastik an und
Jede Idee nämlich, als das vollkommene Ebenbild des Abſoluten, hat wie dieſes ſelbſt zwei Seiten, eine reale und ideale. Von jener Seite angeſchaut erſcheinen die Ideen als Dinge, nur von der idealen erſchei- nen ſie als Ideen, obgleich das, worin die beiden Seiten eins ſind, ſelbſt wieder die Idee iſt. Die Malerei ſtellt alſo die Ideen vorzugs- weiſe als Ideen, d. h. von der idealen Seite dar, die Plaſtik aber ſo, daß ſie zugleich ganz Idee und ganz Ding ſind. Die Malerei gibt ihre Gegenſtände keineswegs für real, ſondern will ſie ausdrücklich als ideal angeſehen wiſſen. Die Plaſtik, indem ſie ihre Gegenſtände als Ideen darſtellt, gibt ſie doch zugleich als Dinge, und umgekehrt; ſie ſtellt alſo wirklich das abſolut Ideale auch zugleich als das abſolut Reale dar, und dieß iſt ohne Zweifel der höchſte Gipfel der bildenden Kunſt, wodurch ſie in die Quelle aller Kunſt und aller Ideen, aller Wahrheit und Schönheit, nämlich in die Gottheit zurückkehrt.
§. 129. Die Plaſtik kann ſich ſelbſt in ihren höchſten Forderungen einzig durch Darſtellung der Götter genügen. — Denn ſie ſtellt vorzugsweiſe die abſoluten Ideen dar, die als ideal zugleich real. Aber die Ideen, real angeſchaut, ſind Götter (§. 28), die Plaſtik bedarf alſo vorzüglich der göttlichen Naturen ꝛc.
Erläuterung. Dieſe Behauptung iſt nicht empiriſch gemeint nämlich ſo, daß die plaſtiſche Kunſt niemals ihre wahre Höhe erreicht hätte, ohne Götter darzuſtellen. Es iſt allerdings gewiß, daß die Noth- wendigkeit, in der ſich die griechiſchen Künſtler befanden, Bilder von Göttern zu entwerfen, ſie nöthigte unmittelbarer ſich über die Materie zu erheben, in das Reich des Abſtrakten und Körperloſen zu dringen, und das Ueberirdiſche und von der bedürftigen und abhängigen Natur Abgeſonderte zu ſuchen. Allein die Meinung iſt eigentlich dieſe, daß die Plaſtik an und für ſich ſelbſt, und wenn ſie nur ſich ſelbſt und ihren beſonderen Forderungen genügen will, Götter darſtellen muß. Denn ihre beſondere Aufgabe iſt eben, das abſolut Ideale zugleich als das Reale, und demnach eine Indifferenz darzuſtellen, die an und für ſich ſelbſt nur in göttlichen Naturen ſeyn kann.
Man kann alſo ſagen, daß jedes höhere Werk der Plaſtik an und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0297"n="621"/>
Jede Idee nämlich, als das vollkommene Ebenbild des Abſoluten, hat<lb/>
wie dieſes ſelbſt zwei Seiten, eine reale und ideale. Von jener Seite<lb/>
angeſchaut erſcheinen die Ideen als Dinge, nur von der idealen erſchei-<lb/>
nen ſie als <hirendition="#g">Ideen</hi>, obgleich das, worin die beiden Seiten eins ſind,<lb/>ſelbſt wieder <hirendition="#g">die</hi> Idee iſt. Die Malerei ſtellt alſo die Ideen vorzugs-<lb/>
weiſe <hirendition="#g">als Ideen</hi>, d. h. von der idealen Seite dar, die Plaſtik aber<lb/>ſo, daß ſie zugleich ganz Idee und ganz Ding ſind. Die Malerei gibt<lb/>
ihre Gegenſtände keineswegs für real, ſondern will ſie ausdrücklich als<lb/>
ideal angeſehen wiſſen. Die Plaſtik, indem ſie ihre Gegenſtände als<lb/><hirendition="#g">Ideen</hi> darſtellt, gibt ſie doch zugleich als Dinge, und umgekehrt; ſie<lb/>ſtellt alſo wirklich das <hirendition="#g">abſolut Ideale</hi> auch <hirendition="#g">zugleich als das<lb/>
abſolut Reale dar</hi>, und dieß iſt ohne Zweifel der höchſte Gipfel<lb/>
der bildenden Kunſt, wodurch ſie in die <hirendition="#g">Quelle</hi> aller Kunſt und aller<lb/>
Ideen, aller Wahrheit und Schönheit, nämlich in die Gottheit zurückkehrt.</p><lb/><p>§. 129. <hirendition="#g">Die Plaſtik kann ſich ſelbſt in ihren höchſten<lb/>
Forderungen einzig durch Darſtellung der Götter genügen</hi>.<lb/>— Denn ſie ſtellt vorzugsweiſe die abſoluten Ideen dar, die als ideal<lb/>
zugleich real. Aber die Ideen, real angeſchaut, ſind Götter (§. 28),<lb/>
die Plaſtik bedarf alſo vorzüglich der göttlichen Naturen ꝛc.</p><lb/><p><hirendition="#g">Erläuterung</hi>. Dieſe Behauptung iſt nicht empiriſch gemeint<lb/>
nämlich ſo, daß die plaſtiſche Kunſt niemals ihre wahre Höhe erreicht<lb/>
hätte, ohne Götter darzuſtellen. Es iſt allerdings gewiß, daß die Noth-<lb/>
wendigkeit, in der ſich die griechiſchen Künſtler befanden, Bilder von<lb/>
Göttern zu entwerfen, ſie nöthigte unmittelbarer ſich über die Materie<lb/>
zu erheben, in das Reich des Abſtrakten und Körperloſen zu dringen,<lb/>
und das Ueberirdiſche und von der bedürftigen und abhängigen Natur<lb/>
Abgeſonderte zu ſuchen. Allein die Meinung iſt eigentlich dieſe, daß<lb/>
die Plaſtik an und für ſich ſelbſt, und wenn ſie nur <hirendition="#g">ſich ſelbſt</hi> und<lb/>
ihren beſonderen Forderungen genügen will, Götter darſtellen muß.<lb/>
Denn ihre beſondere Aufgabe iſt eben, das abſolut Ideale zugleich als<lb/>
das Reale, und demnach eine Indifferenz darzuſtellen, die an und für<lb/>ſich ſelbſt nur in göttlichen Naturen ſeyn kann.</p><lb/><p>Man kann alſo ſagen, daß jedes höhere Werk der Plaſtik an und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[621/0297]
Jede Idee nämlich, als das vollkommene Ebenbild des Abſoluten, hat
wie dieſes ſelbſt zwei Seiten, eine reale und ideale. Von jener Seite
angeſchaut erſcheinen die Ideen als Dinge, nur von der idealen erſchei-
nen ſie als Ideen, obgleich das, worin die beiden Seiten eins ſind,
ſelbſt wieder die Idee iſt. Die Malerei ſtellt alſo die Ideen vorzugs-
weiſe als Ideen, d. h. von der idealen Seite dar, die Plaſtik aber
ſo, daß ſie zugleich ganz Idee und ganz Ding ſind. Die Malerei gibt
ihre Gegenſtände keineswegs für real, ſondern will ſie ausdrücklich als
ideal angeſehen wiſſen. Die Plaſtik, indem ſie ihre Gegenſtände als
Ideen darſtellt, gibt ſie doch zugleich als Dinge, und umgekehrt; ſie
ſtellt alſo wirklich das abſolut Ideale auch zugleich als das
abſolut Reale dar, und dieß iſt ohne Zweifel der höchſte Gipfel
der bildenden Kunſt, wodurch ſie in die Quelle aller Kunſt und aller
Ideen, aller Wahrheit und Schönheit, nämlich in die Gottheit zurückkehrt.
§. 129. Die Plaſtik kann ſich ſelbſt in ihren höchſten
Forderungen einzig durch Darſtellung der Götter genügen.
— Denn ſie ſtellt vorzugsweiſe die abſoluten Ideen dar, die als ideal
zugleich real. Aber die Ideen, real angeſchaut, ſind Götter (§. 28),
die Plaſtik bedarf alſo vorzüglich der göttlichen Naturen ꝛc.
Erläuterung. Dieſe Behauptung iſt nicht empiriſch gemeint
nämlich ſo, daß die plaſtiſche Kunſt niemals ihre wahre Höhe erreicht
hätte, ohne Götter darzuſtellen. Es iſt allerdings gewiß, daß die Noth-
wendigkeit, in der ſich die griechiſchen Künſtler befanden, Bilder von
Göttern zu entwerfen, ſie nöthigte unmittelbarer ſich über die Materie
zu erheben, in das Reich des Abſtrakten und Körperloſen zu dringen,
und das Ueberirdiſche und von der bedürftigen und abhängigen Natur
Abgeſonderte zu ſuchen. Allein die Meinung iſt eigentlich dieſe, daß
die Plaſtik an und für ſich ſelbſt, und wenn ſie nur ſich ſelbſt und
ihren beſonderen Forderungen genügen will, Götter darſtellen muß.
Denn ihre beſondere Aufgabe iſt eben, das abſolut Ideale zugleich als
das Reale, und demnach eine Indifferenz darzuſtellen, die an und für
ſich ſelbſt nur in göttlichen Naturen ſeyn kann.
Man kann alſo ſagen, daß jedes höhere Werk der Plaſtik an und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/297>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.