bildend, den die Malerei und das Basrelief noch mit dem Gegenstande zugleich darzustellen hat. Wollte die Malerei kolossal bilden, so würde sie den Raum, den sie dem Gegenstande gibt, entweder gleichfalls mit vergrößern, oder nicht. Im ersten Fall bliebe das Verhältniß unver- ändert, im andern würde, weil die Relation doch nicht aufgehoben ist, nur das Unförmliche entstehen, keineswegs aber das Große. Da alle Schätzung von Größe auf Relationen zu einem gegebenen empirischen Raum beruht, so kann die Kunst das Kolossale, ohne in das Unförm- liche zu gerathen, nur insofern bilden, als sie von den Beschränkungen des vom Gegenstand verschiedenen Raums innerhalb ihrer Darstellungen selbst befreit ist.
Anmerkung. Denn der außer dem Gegenstand zufälligerweise befindliche große oder kleine Raum hat auf die Schätzung seiner Größe keinen Einfluß. -- Neuere haben gegen den kolossalen Jupiter des Phi- dias eingewendet, daß wenn er sich (da er sitzend vorgestellt war) von seinem Thron erhoben, er das Tempeldach hätte einstoßen müssen, und haben dieß als eine Unschicklichkeit angesehen. Ganz unkünstlerisch geur- theilt. Jedes plastische Werk ist eine Welt für sich, das seinen Raum wie das Universum in sich selbst hat, und auch nur aus sich selbst geschätzt und beurtheilt werden muß; der äußere Raum ist ihm zufällig und kann zu seiner Schätzung nichts beitragen.
§. 128. Die Plastik stellt ihre Gegenstände als die Formen der Dinge dar, wie sie in der absoluten Jueins- bildung des Realen und Idealen begriffen sind.
Von der Musik wurde (§. 83) bewiesen, daß ihre Formen Formen der Dinge sind, wie sie in der realen Einheit existiren, von der Ma- lerei, wie sie in der idealen Einheit vorgebildet sind (§. 88). Da nun (nach §. 105) die Plastik die Kunstform ist, in welcher die absolute Jueinsbildung der beiden Einheiten objektiv wird, so stellt sie auch ihre Gegenstände als Formen der Dinge dar, wie sie in der absoluten In- einsbildung des Realen und Idealen begriffen sind.
Erläuterung. Von der Malerei wurde im Zusatz 1. zu §. 88 bewiesen, sie gehe vorzugsweise auf Darstellungen der Ideen als solcher.
bildend, den die Malerei und das Basrelief noch mit dem Gegenſtande zugleich darzuſtellen hat. Wollte die Malerei koloſſal bilden, ſo würde ſie den Raum, den ſie dem Gegenſtande gibt, entweder gleichfalls mit vergrößern, oder nicht. Im erſten Fall bliebe das Verhältniß unver- ändert, im andern würde, weil die Relation doch nicht aufgehoben iſt, nur das Unförmliche entſtehen, keineswegs aber das Große. Da alle Schätzung von Größe auf Relationen zu einem gegebenen empiriſchen Raum beruht, ſo kann die Kunſt das Koloſſale, ohne in das Unförm- liche zu gerathen, nur inſofern bilden, als ſie von den Beſchränkungen des vom Gegenſtand verſchiedenen Raums innerhalb ihrer Darſtellungen ſelbſt befreit iſt.
Anmerkung. Denn der außer dem Gegenſtand zufälligerweiſe befindliche große oder kleine Raum hat auf die Schätzung ſeiner Größe keinen Einfluß. — Neuere haben gegen den koloſſalen Jupiter des Phi- dias eingewendet, daß wenn er ſich (da er ſitzend vorgeſtellt war) von ſeinem Thron erhoben, er das Tempeldach hätte einſtoßen müſſen, und haben dieß als eine Unſchicklichkeit angeſehen. Ganz unkünſtleriſch geur- theilt. Jedes plaſtiſche Werk iſt eine Welt für ſich, das ſeinen Raum wie das Univerſum in ſich ſelbſt hat, und auch nur aus ſich ſelbſt geſchätzt und beurtheilt werden muß; der äußere Raum iſt ihm zufällig und kann zu ſeiner Schätzung nichts beitragen.
§. 128. Die Plaſtik ſtellt ihre Gegenſtände als die Formen der Dinge dar, wie ſie in der abſoluten Jueins- bildung des Realen und Idealen begriffen ſind.
Von der Muſik wurde (§. 83) bewieſen, daß ihre Formen Formen der Dinge ſind, wie ſie in der realen Einheit exiſtiren, von der Ma- lerei, wie ſie in der idealen Einheit vorgebildet ſind (§. 88). Da nun (nach §. 105) die Plaſtik die Kunſtform iſt, in welcher die abſolute Jueinsbildung der beiden Einheiten objektiv wird, ſo ſtellt ſie auch ihre Gegenſtände als Formen der Dinge dar, wie ſie in der abſoluten In- einsbildung des Realen und Idealen begriffen ſind.
Erläuterung. Von der Malerei wurde im Zuſatz 1. zu §. 88 bewieſen, ſie gehe vorzugsweiſe auf Darſtellungen der Ideen als ſolcher.
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bildend, den die Malerei und das Basrelief noch mit dem Gegenſtande
zugleich darzuſtellen hat. Wollte die Malerei koloſſal bilden, ſo würde
ſie den Raum, den ſie dem Gegenſtande gibt, entweder gleichfalls mit
vergrößern, oder nicht. Im erſten Fall bliebe das Verhältniß unver-
ändert, im andern würde, weil die Relation doch nicht aufgehoben iſt,
nur das Unförmliche entſtehen, keineswegs aber das Große. Da alle
Schätzung von Größe auf Relationen zu einem gegebenen empiriſchen
Raum beruht, ſo kann die Kunſt das Koloſſale, ohne in das Unförm-
liche zu gerathen, nur inſofern bilden, als ſie von den Beſchränkungen
des vom Gegenſtand verſchiedenen Raums innerhalb ihrer Darſtellungen
ſelbſt befreit iſt.
Anmerkung. Denn der außer dem Gegenſtand zufälligerweiſe
befindliche große oder kleine Raum hat auf die Schätzung ſeiner Größe
keinen Einfluß. — Neuere haben gegen den koloſſalen Jupiter des Phi-
dias eingewendet, daß wenn er ſich (da er ſitzend vorgeſtellt war) von
ſeinem Thron erhoben, er das Tempeldach hätte einſtoßen müſſen, und
haben dieß als eine Unſchicklichkeit angeſehen. Ganz unkünſtleriſch geur-
theilt. Jedes plaſtiſche Werk iſt eine Welt für ſich, das ſeinen Raum
wie das Univerſum in ſich ſelbſt hat, und auch nur aus ſich ſelbſt
geſchätzt und beurtheilt werden muß; der äußere Raum iſt ihm zufällig
und kann zu ſeiner Schätzung nichts beitragen.
§. 128. Die Plaſtik ſtellt ihre Gegenſtände als die
Formen der Dinge dar, wie ſie in der abſoluten Jueins-
bildung des Realen und Idealen begriffen ſind.
Von der Muſik wurde (§. 83) bewieſen, daß ihre Formen Formen
der Dinge ſind, wie ſie in der realen Einheit exiſtiren, von der Ma-
lerei, wie ſie in der idealen Einheit vorgebildet ſind (§. 88). Da nun
(nach §. 105) die Plaſtik die Kunſtform iſt, in welcher die abſolute
Jueinsbildung der beiden Einheiten objektiv wird, ſo ſtellt ſie auch ihre
Gegenſtände als Formen der Dinge dar, wie ſie in der abſoluten In-
einsbildung des Realen und Idealen begriffen ſind.
Erläuterung. Von der Malerei wurde im Zuſatz 1. zu §. 88
bewieſen, ſie gehe vorzugsweiſe auf Darſtellungen der Ideen als ſolcher.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/296>, abgerufen am 22.11.2024.
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