offenbar werden." Anderswo vergleicht er das Muskelspiel derselben Gestalt mit einer eben anfangenden Bewegung des Meers, von der man den Grund noch nicht erkennt. "Sowie in einer anhebenden Be- wegung des Meers, sagt er, die zuvor stille Fläche in einer nebeligen Unruhe mit spielenden Wellen anwächst, wo eine von der andern ver- schlungen und aus derselben wieder hervorgewälzt wird, ebenso sanft aufgeschwellet und schwebend gezogen fließt hier ein Muskel in den andern, und ein dritter, der sich zwischen jenen erhebt, und ihre Be- wegung zu verstärken scheint, verliert sich in jenen, und unser Blick wird gleichsam mit verschlungen." Um es mit Einem Wort zu sagen: die menschliche Gestalt ist dadurch vorzüglich ein verkleinertes Bild der Erde und des Universums, daß das Leben als Produkt der inneren Trieb- federn sich auf der Oberfläche concentrirt und als reine Schönheit sich über sie verbreitet. Hier ist nichts mehr, was an das Bedürfniß und die Nothwendigkeit erinnerte, es ist die freieste Frucht der inneren und verborgenen Nothwendigkeit, ein unabhängiges Spiel, das nicht mehr an seinen Grund erinnert, sondern an und für sich selbst gefällt. Hierzu gehört nun nothwendig auch, daß die menschliche Gestalt der fremd- artigen Bedeckungen entbehre, die den Thieren zugegeben sind, daß sie auch auf der Oberfläche nur Organ sey, unmittelbare Empfänglichkeit mit unmittelbarem Rückwirkungsvermögen. Von manchen Philosophen ist die ursprüngliche Nacktheit des Menschen als ein Mangel, eine Zu- rücksetzung der Natur beklagt worden. Mit welchem Rechte, sieht man aus dem Bisherigen.
Zu der äußeren Erscheinung des Lebens gehören auch die Sinnes- organe und unter diesen vorzüglich das Auge, durch welches gleichsam das innerste Licht der Natur hindurchsieht, und das am Haupt wieder als dem Sitz der edelsten Organe nebst der Stirne der ausgezeichnetste Punkt ist.
Die menschliche Gestalt ist schon an sich selbst ein Bild des Uni- versums, und ohne noch den Ausdruck in Anschlag zu bringen, der in sie gelegt werden kann, dadurch, daß sie in Handlung gesetzt wird, daß die inneren Bewegungen des Gemüths in ihr gleichsam äußerlich
offenbar werden.“ Anderswo vergleicht er das Muskelſpiel derſelben Geſtalt mit einer eben anfangenden Bewegung des Meers, von der man den Grund noch nicht erkennt. „Sowie in einer anhebenden Be- wegung des Meers, ſagt er, die zuvor ſtille Fläche in einer nebeligen Unruhe mit ſpielenden Wellen anwächst, wo eine von der andern ver- ſchlungen und aus derſelben wieder hervorgewälzt wird, ebenſo ſanft aufgeſchwellet und ſchwebend gezogen fließt hier ein Muskel in den andern, und ein dritter, der ſich zwiſchen jenen erhebt, und ihre Be- wegung zu verſtärken ſcheint, verliert ſich in jenen, und unſer Blick wird gleichſam mit verſchlungen.“ Um es mit Einem Wort zu ſagen: die menſchliche Geſtalt iſt dadurch vorzüglich ein verkleinertes Bild der Erde und des Univerſums, daß das Leben als Produkt der inneren Trieb- federn ſich auf der Oberfläche concentrirt und als reine Schönheit ſich über ſie verbreitet. Hier iſt nichts mehr, was an das Bedürfniß und die Nothwendigkeit erinnerte, es iſt die freieſte Frucht der inneren und verborgenen Nothwendigkeit, ein unabhängiges Spiel, das nicht mehr an ſeinen Grund erinnert, ſondern an und für ſich ſelbſt gefällt. Hierzu gehört nun nothwendig auch, daß die menſchliche Geſtalt der fremd- artigen Bedeckungen entbehre, die den Thieren zugegeben ſind, daß ſie auch auf der Oberfläche nur Organ ſey, unmittelbare Empfänglichkeit mit unmittelbarem Rückwirkungsvermögen. Von manchen Philoſophen iſt die urſprüngliche Nacktheit des Menſchen als ein Mangel, eine Zu- rückſetzung der Natur beklagt worden. Mit welchem Rechte, ſieht man aus dem Bisherigen.
Zu der äußeren Erſcheinung des Lebens gehören auch die Sinnes- organe und unter dieſen vorzüglich das Auge, durch welches gleichſam das innerſte Licht der Natur hindurchſieht, und das am Haupt wieder als dem Sitz der edelſten Organe nebſt der Stirne der ausgezeichnetſte Punkt iſt.
Die menſchliche Geſtalt iſt ſchon an ſich ſelbſt ein Bild des Uni- verſums, und ohne noch den Ausdruck in Anſchlag zu bringen, der in ſie gelegt werden kann, dadurch, daß ſie in Handlung geſetzt wird, daß die inneren Bewegungen des Gemüths in ihr gleichſam äußerlich
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Geſtalt mit einer eben anfangenden Bewegung des Meers, von der
man den Grund noch nicht erkennt. „Sowie in einer anhebenden Be-
wegung des Meers, ſagt er, die zuvor ſtille Fläche in einer nebeligen
Unruhe mit ſpielenden Wellen anwächst, wo eine von der andern ver-
ſchlungen und aus derſelben wieder hervorgewälzt wird, ebenſo ſanft
aufgeſchwellet und ſchwebend gezogen fließt hier ein Muskel in den
andern, und ein dritter, der ſich zwiſchen jenen erhebt, und ihre Be-
wegung zu verſtärken ſcheint, verliert ſich in jenen, und unſer Blick wird
gleichſam mit verſchlungen.“ Um es mit Einem Wort zu ſagen: die
menſchliche Geſtalt iſt dadurch vorzüglich ein verkleinertes Bild der Erde
und des Univerſums, daß das Leben als Produkt der inneren Trieb-
federn ſich auf der Oberfläche concentrirt und als reine Schönheit ſich
über ſie verbreitet. Hier iſt nichts mehr, was an das Bedürfniß und
die Nothwendigkeit erinnerte, es iſt die freieſte Frucht der inneren und
verborgenen Nothwendigkeit, ein unabhängiges Spiel, das nicht mehr
an ſeinen Grund erinnert, ſondern an und für ſich ſelbſt gefällt. Hierzu
gehört nun nothwendig auch, daß die menſchliche Geſtalt der fremd-
artigen Bedeckungen entbehre, die den Thieren zugegeben ſind, daß ſie
auch auf der Oberfläche nur Organ ſey, unmittelbare Empfänglichkeit
mit unmittelbarem Rückwirkungsvermögen. Von manchen Philoſophen
iſt die urſprüngliche Nacktheit des Menſchen als ein Mangel, eine Zu-
rückſetzung der Natur beklagt worden. Mit welchem Rechte, ſieht man
aus dem Bisherigen.
Zu der äußeren Erſcheinung des Lebens gehören auch die Sinnes-
organe und unter dieſen vorzüglich das Auge, durch welches gleichſam
das innerſte Licht der Natur hindurchſieht, und das am Haupt wieder
als dem Sitz der edelſten Organe nebſt der Stirne der ausgezeichnetſte
Punkt iſt.
Die menſchliche Geſtalt iſt ſchon an ſich ſelbſt ein Bild des Uni-
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ſie gelegt werden kann, dadurch, daß ſie in Handlung geſetzt wird,
daß die inneren Bewegungen des Gemüths in ihr gleichſam äußerlich
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/284>, abgerufen am 22.11.2024.
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