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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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nur das Bedeutende bestehen. Der Baum wird theils für sich selbst
und in sich selbst zur Allegorie des höheren Organischen, da er, wie
dieses, nach oben und unten, durch Haupt und Fuß geschlossen wird,
theils wird er es in der Beziehung auf das Ganze, wo er die Säule eines
organischen Ganzen bedeutet, wodurch dieses sich über die Erde in die
höhere Region des Aethers erhebt. Wie in der Natur die Pflanze nur
das Vorspiel und insofern gleichsam der Boden der höheren Entwick-
lung im Thierreich ist, so zeigt sie sich auch hier; die Säule ist das
Stützende, gleichsam die Stufe, die zu dem höheren Gebilde hinauf-
leitet, das vollkommener schon die Formen der thierischen Organisation
verkündet; nur auf ihrem Gipfel, da wo sie die höhere Bildung berührt,
und in diese gleichsam übergeht, darf sie ihre eigne Ueppigkeit zeigen
und, wie in der korinthischen Säule, in Blättern ranken, die selbst
wieder, das erhabenere Gebilde tragend, durch ihre Leichtigkeit und
Zartheit die höhere Natur des letzteren andeuten, und uns gleichsam
vergessen lassen, daß es den Gesetzen der Schwere unterworfen ist.

Es kommt nun darauf an, die Allegorie des höheren Organi-
schen in den einzelnen Formen der Architektur noch bestimmter nach-
zuweisen.

§. 113. Die Allegorie des höheren Organischen findet
sich theils in der Symmetrie des Ganzen, theils in der
Vollendung des Einzelnen und des Ganzen nach oben und
unten, wodurch es eine in sich beschlossene Welt wird
. --
Es ist schon bei der Malerei bemerkt worden, daß die Natur, wo sie
die höchste Indifferenz und Totalität erreicht, im Organischen und vor-
züglich im Thierleib, eine doppelte Polarität annimmt, Ost- und
Westpolarität, (von oben nach unten findet Differenz statt, reelle
Polarität, nach der Seite bloß ideelle). Sie producirt daher die edel-
sten Organe, d. h. diejenigen, in welchen sie am meisten jene letzte
Indifferenz erreicht hat, doppelt, und macht das organische Gebilde in
zwei symmetrische Hälften zerfallen, die dem Entwurf der Natur nach
sich mehr oder weniger gleich sind. Diese Symmetrie, welche mehr
oder weniger in dem architektonischen Theil der Malerei gefordert wird,

nur das Bedeutende beſtehen. Der Baum wird theils für ſich ſelbſt
und in ſich ſelbſt zur Allegorie des höheren Organiſchen, da er, wie
dieſes, nach oben und unten, durch Haupt und Fuß geſchloſſen wird,
theils wird er es in der Beziehung auf das Ganze, wo er die Säule eines
organiſchen Ganzen bedeutet, wodurch dieſes ſich über die Erde in die
höhere Region des Aethers erhebt. Wie in der Natur die Pflanze nur
das Vorſpiel und inſofern gleichſam der Boden der höheren Entwick-
lung im Thierreich iſt, ſo zeigt ſie ſich auch hier; die Säule iſt das
Stützende, gleichſam die Stufe, die zu dem höheren Gebilde hinauf-
leitet, das vollkommener ſchon die Formen der thieriſchen Organiſation
verkündet; nur auf ihrem Gipfel, da wo ſie die höhere Bildung berührt,
und in dieſe gleichſam übergeht, darf ſie ihre eigne Ueppigkeit zeigen
und, wie in der korinthiſchen Säule, in Blättern ranken, die ſelbſt
wieder, das erhabenere Gebilde tragend, durch ihre Leichtigkeit und
Zartheit die höhere Natur des letzteren andeuten, und uns gleichſam
vergeſſen laſſen, daß es den Geſetzen der Schwere unterworfen iſt.

Es kommt nun darauf an, die Allegorie des höheren Organi-
ſchen in den einzelnen Formen der Architektur noch beſtimmter nach-
zuweiſen.

§. 113. Die Allegorie des höheren Organiſchen findet
ſich theils in der Symmetrie des Ganzen, theils in der
Vollendung des Einzelnen und des Ganzen nach oben und
unten, wodurch es eine in ſich beſchloſſene Welt wird
. —
Es iſt ſchon bei der Malerei bemerkt worden, daß die Natur, wo ſie
die höchſte Indifferenz und Totalität erreicht, im Organiſchen und vor-
züglich im Thierleib, eine doppelte Polarität annimmt, Oſt- und
Weſtpolarität, (von oben nach unten findet Differenz ſtatt, reelle
Polarität, nach der Seite bloß ideelle). Sie producirt daher die edel-
ſten Organe, d. h. diejenigen, in welchen ſie am meiſten jene letzte
Indifferenz erreicht hat, doppelt, und macht das organiſche Gebilde in
zwei ſymmetriſche Hälften zerfallen, die dem Entwurf der Natur nach
ſich mehr oder weniger gleich ſind. Dieſe Symmetrie, welche mehr
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[587/0263] nur das Bedeutende beſtehen. Der Baum wird theils für ſich ſelbſt und in ſich ſelbſt zur Allegorie des höheren Organiſchen, da er, wie dieſes, nach oben und unten, durch Haupt und Fuß geſchloſſen wird, theils wird er es in der Beziehung auf das Ganze, wo er die Säule eines organiſchen Ganzen bedeutet, wodurch dieſes ſich über die Erde in die höhere Region des Aethers erhebt. Wie in der Natur die Pflanze nur das Vorſpiel und inſofern gleichſam der Boden der höheren Entwick- lung im Thierreich iſt, ſo zeigt ſie ſich auch hier; die Säule iſt das Stützende, gleichſam die Stufe, die zu dem höheren Gebilde hinauf- leitet, das vollkommener ſchon die Formen der thieriſchen Organiſation verkündet; nur auf ihrem Gipfel, da wo ſie die höhere Bildung berührt, und in dieſe gleichſam übergeht, darf ſie ihre eigne Ueppigkeit zeigen und, wie in der korinthiſchen Säule, in Blättern ranken, die ſelbſt wieder, das erhabenere Gebilde tragend, durch ihre Leichtigkeit und Zartheit die höhere Natur des letzteren andeuten, und uns gleichſam vergeſſen laſſen, daß es den Geſetzen der Schwere unterworfen iſt. Es kommt nun darauf an, die Allegorie des höheren Organi- ſchen in den einzelnen Formen der Architektur noch beſtimmter nach- zuweiſen. §. 113. Die Allegorie des höheren Organiſchen findet ſich theils in der Symmetrie des Ganzen, theils in der Vollendung des Einzelnen und des Ganzen nach oben und unten, wodurch es eine in ſich beſchloſſene Welt wird. — Es iſt ſchon bei der Malerei bemerkt worden, daß die Natur, wo ſie die höchſte Indifferenz und Totalität erreicht, im Organiſchen und vor- züglich im Thierleib, eine doppelte Polarität annimmt, Oſt- und Weſtpolarität, (von oben nach unten findet Differenz ſtatt, reelle Polarität, nach der Seite bloß ideelle). Sie producirt daher die edel- ſten Organe, d. h. diejenigen, in welchen ſie am meiſten jene letzte Indifferenz erreicht hat, doppelt, und macht das organiſche Gebilde in zwei ſymmetriſche Hälften zerfallen, die dem Entwurf der Natur nach ſich mehr oder weniger gleich ſind. Dieſe Symmetrie, welche mehr oder weniger in dem architektoniſchen Theil der Malerei gefordert wird,

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/263>, abgerufen am 22.11.2024.