Dieser Satz kann nun als allgemeines Princip der Construktion und Beurtheilung aller architektonischen Formen gelten. Indem er von der einen Seite das Princip, daß die Architektur eine Parodie der mechanischen Baukunst sey, auf die Bedingung beschränkt, daß die For- men derselben durch diese Objektivirung allegorisch für das Organische werden, läßt er diese Kunst in anderer Rücksicht frei über diese Nach- ahmung hinausgehen, wofern sie nur die allgemeine Forderung, das Organische als präformirt im Anorgischen darzustellen, erfüllt.
Es kann hiebei noch allgemein bemerkt werden, daß die Kunst das Anorgische auch in andern Beziehungen nur in jenem Verhältniß zum Organischen nachahmen kann. Nicht der geringste Theil der pla- stischen Kunst ist die Kunst der Draperie und Belleidung, welche als die vollkommenste und schönste Architektonik betrachtet werden kann. Aber die Kleidung um ihrer selbst willen plastisch auszudrücken, würde keine Aufgabe der Kunst seyn. Nur als Allegorie des Organischen, als andeutend die höheren Formen des organischen Leibs, ist sie einer der schönsten Theile der Kunst.
§. 112. Die Architektur hat vorzugsweise den Pflan- zenorganismus zum Vorbild. -- Denn sie ist nach dem Zusatz zu §. 110 eine Allegorie des Organischen, sofern dieses objektive Iden- tität des Allgemeinen und Besondern ist. Der Organismus kat exokhen aber ist nur der thierische, und in diesem wieder der menschliche Or- ganismus, zu welchem sich der der Pflanze nur als Allegorie verhält. Demnach ist Architektur vorzugsweise nach dem Vorbild des Pflanzen- organismus gebildet.
Anmerkung. Die Pflanze als Allegorie des Thierischen ist vor- züglich daraus zu begreifen, daß in ihr die Besonderheit herrschend, das Allgemeine also durch die Besonderheit vorgebildet wird. (Größte Aehnlichkeit des menschlichen und Pflanzenorganismus.)
Erläuterung. Die nahe Verwandtschaft der Architektur mit der Pflanzenwelt können wir von der tiefsten Stufe selbst der rohesten Kunst an verfolgen, wo sie die gleichsam bloß instinktmäßige Hinneigung zu diesem Vorbild zeigt. Die sogenannte gothische Baukunst zeigt
Dieſer Satz kann nun als allgemeines Princip der Conſtruktion und Beurtheilung aller architektoniſchen Formen gelten. Indem er von der einen Seite das Princip, daß die Architektur eine Parodie der mechaniſchen Baukunſt ſey, auf die Bedingung beſchränkt, daß die For- men derſelben durch dieſe Objektivirung allegoriſch für das Organiſche werden, läßt er dieſe Kunſt in anderer Rückſicht frei über dieſe Nach- ahmung hinausgehen, wofern ſie nur die allgemeine Forderung, das Organiſche als präformirt im Anorgiſchen darzuſtellen, erfüllt.
Es kann hiebei noch allgemein bemerkt werden, daß die Kunſt das Anorgiſche auch in andern Beziehungen nur in jenem Verhältniß zum Organiſchen nachahmen kann. Nicht der geringſte Theil der pla- ſtiſchen Kunſt iſt die Kunſt der Draperie und Belleidung, welche als die vollkommenſte und ſchönſte Architektonik betrachtet werden kann. Aber die Kleidung um ihrer ſelbſt willen plaſtiſch auszudrücken, würde keine Aufgabe der Kunſt ſeyn. Nur als Allegorie des Organiſchen, als andeutend die höheren Formen des organiſchen Leibs, iſt ſie einer der ſchönſten Theile der Kunſt.
§. 112. Die Architektur hat vorzugsweiſe den Pflan- zenorganismus zum Vorbild. — Denn ſie iſt nach dem Zuſatz zu §. 110 eine Allegorie des Organiſchen, ſofern dieſes objektive Iden- tität des Allgemeinen und Beſondern iſt. Der Organismus κατ̕ ἐξοχήν aber iſt nur der thieriſche, und in dieſem wieder der menſchliche Or- ganismus, zu welchem ſich der der Pflanze nur als Allegorie verhält. Demnach iſt Architektur vorzugsweiſe nach dem Vorbild des Pflanzen- organismus gebildet.
Anmerkung. Die Pflanze als Allegorie des Thieriſchen iſt vor- züglich daraus zu begreifen, daß in ihr die Beſonderheit herrſchend, das Allgemeine alſo durch die Beſonderheit vorgebildet wird. (Größte Aehnlichkeit des menſchlichen und Pflanzenorganismus.)
Erläuterung. Die nahe Verwandtſchaft der Architektur mit der Pflanzenwelt können wir von der tiefſten Stufe ſelbſt der roheſten Kunſt an verfolgen, wo ſie die gleichſam bloß inſtinktmäßige Hinneigung zu dieſem Vorbild zeigt. Die ſogenannte gothiſche Baukunſt zeigt
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Dieſer Satz kann nun als allgemeines Princip der Conſtruktion
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der einen Seite das Princip, daß die Architektur eine Parodie der
mechaniſchen Baukunſt ſey, auf die Bedingung beſchränkt, daß die For-
men derſelben durch dieſe Objektivirung allegoriſch für das Organiſche
werden, läßt er dieſe Kunſt in anderer Rückſicht frei über dieſe Nach-
ahmung hinausgehen, wofern ſie nur die allgemeine Forderung, das
Organiſche als präformirt im Anorgiſchen darzuſtellen, erfüllt.
Es kann hiebei noch allgemein bemerkt werden, daß die Kunſt das
Anorgiſche auch in andern Beziehungen nur in jenem Verhältniß
zum Organiſchen nachahmen kann. Nicht der geringſte Theil der pla-
ſtiſchen Kunſt iſt die Kunſt der Draperie und Belleidung, welche
als die vollkommenſte und ſchönſte Architektonik betrachtet werden kann.
Aber die Kleidung um ihrer ſelbſt willen plaſtiſch auszudrücken, würde
keine Aufgabe der Kunſt ſeyn. Nur als Allegorie des Organiſchen,
als andeutend die höheren Formen des organiſchen Leibs, iſt ſie einer
der ſchönſten Theile der Kunſt.
§. 112. Die Architektur hat vorzugsweiſe den Pflan-
zenorganismus zum Vorbild. — Denn ſie iſt nach dem Zuſatz
zu §. 110 eine Allegorie des Organiſchen, ſofern dieſes objektive Iden-
tität des Allgemeinen und Beſondern iſt. Der Organismus κατ̕ ἐξοχήν
aber iſt nur der thieriſche, und in dieſem wieder der menſchliche Or-
ganismus, zu welchem ſich der der Pflanze nur als Allegorie verhält.
Demnach iſt Architektur vorzugsweiſe nach dem Vorbild des Pflanzen-
organismus gebildet.
Anmerkung. Die Pflanze als Allegorie des Thieriſchen iſt vor-
züglich daraus zu begreifen, daß in ihr die Beſonderheit herrſchend,
das Allgemeine alſo durch die Beſonderheit vorgebildet wird. (Größte
Aehnlichkeit des menſchlichen und Pflanzenorganismus.)
Erläuterung. Die nahe Verwandtſchaft der Architektur mit der
Pflanzenwelt können wir von der tiefſten Stufe ſelbſt der roheſten
Kunſt an verfolgen, wo ſie die gleichſam bloß inſtinktmäßige Hinneigung
zu dieſem Vorbild zeigt. Die ſogenannte gothiſche Baukunſt zeigt
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/259>, abgerufen am 22.11.2024.
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