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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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heben, bestimmt ist; wenn aber die Kleidung etwa zum Zweck gemacht
wird, so kann man in denselben Fall kommen, wie jener Maler, der
von dem Apelles, den er um sein Urtheil wegen eines Gemäldes der
Helena, das er verfertigt, gefragt hatte, zur Antwort bekam: Weil
du sie nicht schön zu machen wußtest, hast du sie wenigstens reich
machen wollen. Noch näher an das Wesentliche sich anschließend, aber
insofern nur noch störender für Darstellung desselben, ist die Beobach-
tung der Kleinigkeiten der Gestalt, der Haut, der Haare u. s. w. Von
dieser Art sind vorzüglich die Arbeiten einiger niederländischer Meister.
Sie sind wie für den Geruch gearbeitet, denn man muß, um das-
jenige, wodurch sie gefallen wollen, zu erkennen, sie dem Gesichte so
nahe bringen als Blumen. Ihre Sorgfalt ging auf strenge Nach-
ahmung des Allerkleinsten, sie scheuten sich das geringste Häärchen an-
ders zu legen, als man es fand, um dem schärfsten Auge, ja wenn
es möglich gewesen wäre, selbst den Vergrößerungsgläsern das Unmerk-
lichste in der Natur, alle Poren der Haut, alle Nuancen der Bart-
haare vorzulegen. Eine solche Kunstfertigkeit könnte etwa zu Insekten-
malerei zuträglich und dem Physiker oder Naturbeschreiber erwünscht seyn.

In dem Verhältniß, wie in der Zeichnung von dem Zufälligen
abgesehen und nur das Wesentliche dargestellt wird, nähert sie sich dem
Idealischen; denn die Idee ist die Nothwendigkeit und Absolutheit eines
Dings. Man kann allgemein sagen, daß mit der Entfernung dessen,
was nicht zum Wesen gehört, von selbst die Schönheit hervortrete, da
die Schönheit das schlechthin Erste, die Substanz und das Wesen der
Dinge ist, dessen Erscheinung nur durch die empirischen Bedingungen
gestört ist. Die bildende Kunst hat aber überall den Gegenstand nicht
in seiner empirischen, sondern in seiner absoluten Wahrheit, befreit von
den Bedingungen der Zeit, in seinem An-sich darzustellen.

Gewöhnlich wird zu der Zeichnung auch noch der Ausdruck und
die Composition gerechnet. Ausdruck ist überhaupt Darstellung des
Inneren durch das Aeußere. Allein man sieht deutlich, daß diese zwei
Seiten hat, die der Invention und die der Ausführung; bloß die letzte
gehört der Zeichnung an. Wenn die Frage ist, welche Art des

heben, beſtimmt iſt; wenn aber die Kleidung etwa zum Zweck gemacht
wird, ſo kann man in denſelben Fall kommen, wie jener Maler, der
von dem Apelles, den er um ſein Urtheil wegen eines Gemäldes der
Helena, das er verfertigt, gefragt hatte, zur Antwort bekam: Weil
du ſie nicht ſchön zu machen wußteſt, haſt du ſie wenigſtens reich
machen wollen. Noch näher an das Weſentliche ſich anſchließend, aber
inſofern nur noch ſtörender für Darſtellung deſſelben, iſt die Beobach-
tung der Kleinigkeiten der Geſtalt, der Haut, der Haare u. ſ. w. Von
dieſer Art ſind vorzüglich die Arbeiten einiger niederländiſcher Meiſter.
Sie ſind wie für den Geruch gearbeitet, denn man muß, um das-
jenige, wodurch ſie gefallen wollen, zu erkennen, ſie dem Geſichte ſo
nahe bringen als Blumen. Ihre Sorgfalt ging auf ſtrenge Nach-
ahmung des Allerkleinſten, ſie ſcheuten ſich das geringſte Häärchen an-
ders zu legen, als man es fand, um dem ſchärfſten Auge, ja wenn
es möglich geweſen wäre, ſelbſt den Vergrößerungsgläſern das Unmerk-
lichſte in der Natur, alle Poren der Haut, alle Nuancen der Bart-
haare vorzulegen. Eine ſolche Kunſtfertigkeit könnte etwa zu Inſekten-
malerei zuträglich und dem Phyſiker oder Naturbeſchreiber erwünſcht ſeyn.

In dem Verhältniß, wie in der Zeichnung von dem Zufälligen
abgeſehen und nur das Weſentliche dargeſtellt wird, nähert ſie ſich dem
Idealiſchen; denn die Idee iſt die Nothwendigkeit und Abſolutheit eines
Dings. Man kann allgemein ſagen, daß mit der Entfernung deſſen,
was nicht zum Weſen gehört, von ſelbſt die Schönheit hervortrete, da
die Schönheit das ſchlechthin Erſte, die Subſtanz und das Weſen der
Dinge iſt, deſſen Erſcheinung nur durch die empiriſchen Bedingungen
geſtört iſt. Die bildende Kunſt hat aber überall den Gegenſtand nicht
in ſeiner empiriſchen, ſondern in ſeiner abſoluten Wahrheit, befreit von
den Bedingungen der Zeit, in ſeinem An-ſich darzuſtellen.

Gewöhnlich wird zu der Zeichnung auch noch der Ausdruck und
die Compoſition gerechnet. Ausdruck iſt überhaupt Darſtellung des
Inneren durch das Aeußere. Allein man ſieht deutlich, daß dieſe zwei
Seiten hat, die der Invention und die der Ausführung; bloß die letzte
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[527/0203] heben, beſtimmt iſt; wenn aber die Kleidung etwa zum Zweck gemacht wird, ſo kann man in denſelben Fall kommen, wie jener Maler, der von dem Apelles, den er um ſein Urtheil wegen eines Gemäldes der Helena, das er verfertigt, gefragt hatte, zur Antwort bekam: Weil du ſie nicht ſchön zu machen wußteſt, haſt du ſie wenigſtens reich machen wollen. Noch näher an das Weſentliche ſich anſchließend, aber inſofern nur noch ſtörender für Darſtellung deſſelben, iſt die Beobach- tung der Kleinigkeiten der Geſtalt, der Haut, der Haare u. ſ. w. Von dieſer Art ſind vorzüglich die Arbeiten einiger niederländiſcher Meiſter. Sie ſind wie für den Geruch gearbeitet, denn man muß, um das- jenige, wodurch ſie gefallen wollen, zu erkennen, ſie dem Geſichte ſo nahe bringen als Blumen. Ihre Sorgfalt ging auf ſtrenge Nach- ahmung des Allerkleinſten, ſie ſcheuten ſich das geringſte Häärchen an- ders zu legen, als man es fand, um dem ſchärfſten Auge, ja wenn es möglich geweſen wäre, ſelbſt den Vergrößerungsgläſern das Unmerk- lichſte in der Natur, alle Poren der Haut, alle Nuancen der Bart- haare vorzulegen. Eine ſolche Kunſtfertigkeit könnte etwa zu Inſekten- malerei zuträglich und dem Phyſiker oder Naturbeſchreiber erwünſcht ſeyn. In dem Verhältniß, wie in der Zeichnung von dem Zufälligen abgeſehen und nur das Weſentliche dargeſtellt wird, nähert ſie ſich dem Idealiſchen; denn die Idee iſt die Nothwendigkeit und Abſolutheit eines Dings. Man kann allgemein ſagen, daß mit der Entfernung deſſen, was nicht zum Weſen gehört, von ſelbſt die Schönheit hervortrete, da die Schönheit das ſchlechthin Erſte, die Subſtanz und das Weſen der Dinge iſt, deſſen Erſcheinung nur durch die empiriſchen Bedingungen geſtört iſt. Die bildende Kunſt hat aber überall den Gegenſtand nicht in ſeiner empiriſchen, ſondern in ſeiner abſoluten Wahrheit, befreit von den Bedingungen der Zeit, in ſeinem An-ſich darzuſtellen. Gewöhnlich wird zu der Zeichnung auch noch der Ausdruck und die Compoſition gerechnet. Ausdruck iſt überhaupt Darſtellung des Inneren durch das Aeußere. Allein man ſieht deutlich, daß dieſe zwei Seiten hat, die der Invention und die der Ausführung; bloß die letzte gehört der Zeichnung an. Wenn die Frage iſt, welche Art des

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/203>, abgerufen am 03.05.2024.