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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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producirt. Das Licht wird daher in diesem Proceß auf keine Weise
weder zerlegt noch gespalten, nicht chemisch oder mechanisch decomponirt,
sondern es selbst bleibt als der eine Faktor des Processes in seiner ab-
soluten Einfachheit; alle Differenz ist durch das Nicht-Licht oder den
Körper gesetzt. Farbe ist = Licht + Nicht-Licht, Positives + Ne-
gatives.

Das Wichtigste für die Ansicht der Kunstwirkungen der Farben ist
nun das Begreifen der Totalität der Farben. Das, wodurch eine
Totalität allein möglich ist, ist eine Vielheit in der Einheit, demnach
ein Gegensatz, der sich in allen Farbenerscheinungen zeigen muß. Wir
brauchen, um diesen Gegensatz darzustellen, nicht unmittelbar zum pris-
matischen Bild zu gehen, welches bereits ein verwickeltes und zusammen-
gesetztes Phänomen ist. Kein Wunder, daß Newton zu keinem andern
Resultat kam, da er gerade dieses Phänomen als das erste nahm, und
daß es nicht weniger als der Anschauung eines Goethe bedurfte, um
den wahren Faden dieser Erscheinung wieder zu finden, den Newton
in dem Knäuel so künstlich versteckt hatte, den er seine Theorie nannte.
Noch jetzt ist die prismatische Erscheinung den Physikern die Grund-
erscheinung; auch die Künstler werfen sich einzig auf sie, obgleich sie
eine Menge Fälle unerklärt läßt, die in ihrer Kunst wiederkommen. Wir
finden den Gegensatz der Farben schon in viel einfacheren Fällen. Es
gehören hieher die Phänomene der gefärbten Gläser oder farbigen
Flüssigkeiten, welche Newton aus einer Verschiedenheit des reflektirten
und restringirten Lichts zu erklären suchte. Wenn z. B. ein blaugefärbtes
Glas gegen eine dunkle Fläche gehalten wird, und das Auge sich zwi-
schen dem Licht und dem Körper befindet, so geht jene Farbe bis zum
tiefsten Blau hinab; derselbe Körper aber so gehalten, daß er zwischen
dem Auge und dem Licht sich befindet, gibt das schönste Gelb- oder
auch wohl Hochroth. Hier entsteht also die rothe Farbe unmittelbar
durch ein Weniger des Getrübtwerdens, anstatt daß in dem ersten Fall
die dunklere Farbe durch ein bloßes Mehr des Getrübtwerdens entsteht.
Die beiden Farbenpole schließen sich hier noch aus, sie erscheinen nicht
simultan, aber nacheinander. Durch eine Verbindung verschiedener

producirt. Das Licht wird daher in dieſem Proceß auf keine Weiſe
weder zerlegt noch geſpalten, nicht chemiſch oder mechaniſch decomponirt,
ſondern es ſelbſt bleibt als der eine Faktor des Proceſſes in ſeiner ab-
ſoluten Einfachheit; alle Differenz iſt durch das Nicht-Licht oder den
Körper geſetzt. Farbe iſt = Licht + Nicht-Licht, Poſitives + Ne-
gatives.

Das Wichtigſte für die Anſicht der Kunſtwirkungen der Farben iſt
nun das Begreifen der Totalität der Farben. Das, wodurch eine
Totalität allein möglich iſt, iſt eine Vielheit in der Einheit, demnach
ein Gegenſatz, der ſich in allen Farbenerſcheinungen zeigen muß. Wir
brauchen, um dieſen Gegenſatz darzuſtellen, nicht unmittelbar zum pris-
matiſchen Bild zu gehen, welches bereits ein verwickeltes und zuſammen-
geſetztes Phänomen iſt. Kein Wunder, daß Newton zu keinem andern
Reſultat kam, da er gerade dieſes Phänomen als das erſte nahm, und
daß es nicht weniger als der Anſchauung eines Goethe bedurfte, um
den wahren Faden dieſer Erſcheinung wieder zu finden, den Newton
in dem Knäuel ſo künſtlich verſteckt hatte, den er ſeine Theorie nannte.
Noch jetzt iſt die prismatiſche Erſcheinung den Phyſikern die Grund-
erſcheinung; auch die Künſtler werfen ſich einzig auf ſie, obgleich ſie
eine Menge Fälle unerklärt läßt, die in ihrer Kunſt wiederkommen. Wir
finden den Gegenſatz der Farben ſchon in viel einfacheren Fällen. Es
gehören hieher die Phänomene der gefärbten Gläſer oder farbigen
Flüſſigkeiten, welche Newton aus einer Verſchiedenheit des reflektirten
und reſtringirten Lichts zu erklären ſuchte. Wenn z. B. ein blaugefärbtes
Glas gegen eine dunkle Fläche gehalten wird, und das Auge ſich zwi-
ſchen dem Licht und dem Körper befindet, ſo geht jene Farbe bis zum
tiefſten Blau hinab; derſelbe Körper aber ſo gehalten, daß er zwiſchen
dem Auge und dem Licht ſich befindet, gibt das ſchönſte Gelb- oder
auch wohl Hochroth. Hier entſteht alſo die rothe Farbe unmittelbar
durch ein Weniger des Getrübtwerdens, anſtatt daß in dem erſten Fall
die dunklere Farbe durch ein bloßes Mehr des Getrübtwerdens entſteht.
Die beiden Farbenpole ſchließen ſich hier noch aus, ſie erſcheinen nicht
ſimultan, aber nacheinander. Durch eine Verbindung verſchiedener

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[512/0188] producirt. Das Licht wird daher in dieſem Proceß auf keine Weiſe weder zerlegt noch geſpalten, nicht chemiſch oder mechaniſch decomponirt, ſondern es ſelbſt bleibt als der eine Faktor des Proceſſes in ſeiner ab- ſoluten Einfachheit; alle Differenz iſt durch das Nicht-Licht oder den Körper geſetzt. Farbe iſt = Licht + Nicht-Licht, Poſitives + Ne- gatives. Das Wichtigſte für die Anſicht der Kunſtwirkungen der Farben iſt nun das Begreifen der Totalität der Farben. Das, wodurch eine Totalität allein möglich iſt, iſt eine Vielheit in der Einheit, demnach ein Gegenſatz, der ſich in allen Farbenerſcheinungen zeigen muß. Wir brauchen, um dieſen Gegenſatz darzuſtellen, nicht unmittelbar zum pris- matiſchen Bild zu gehen, welches bereits ein verwickeltes und zuſammen- geſetztes Phänomen iſt. Kein Wunder, daß Newton zu keinem andern Reſultat kam, da er gerade dieſes Phänomen als das erſte nahm, und daß es nicht weniger als der Anſchauung eines Goethe bedurfte, um den wahren Faden dieſer Erſcheinung wieder zu finden, den Newton in dem Knäuel ſo künſtlich verſteckt hatte, den er ſeine Theorie nannte. Noch jetzt iſt die prismatiſche Erſcheinung den Phyſikern die Grund- erſcheinung; auch die Künſtler werfen ſich einzig auf ſie, obgleich ſie eine Menge Fälle unerklärt läßt, die in ihrer Kunſt wiederkommen. Wir finden den Gegenſatz der Farben ſchon in viel einfacheren Fällen. Es gehören hieher die Phänomene der gefärbten Gläſer oder farbigen Flüſſigkeiten, welche Newton aus einer Verſchiedenheit des reflektirten und reſtringirten Lichts zu erklären ſuchte. Wenn z. B. ein blaugefärbtes Glas gegen eine dunkle Fläche gehalten wird, und das Auge ſich zwi- ſchen dem Licht und dem Körper befindet, ſo geht jene Farbe bis zum tiefſten Blau hinab; derſelbe Körper aber ſo gehalten, daß er zwiſchen dem Auge und dem Licht ſich befindet, gibt das ſchönſte Gelb- oder auch wohl Hochroth. Hier entſteht alſo die rothe Farbe unmittelbar durch ein Weniger des Getrübtwerdens, anſtatt daß in dem erſten Fall die dunklere Farbe durch ein bloßes Mehr des Getrübtwerdens entſteht. Die beiden Farbenpole ſchließen ſich hier noch aus, ſie erſcheinen nicht ſimultan, aber nacheinander. Durch eine Verbindung verſchiedener

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/188>, abgerufen am 24.11.2024.