Dichters darin zusammenfassen, daß bei jenem nur das Objekt waltet, bei diesem das Subjekt als Subjekt hervortritt, daß jener über sein Objekt bewußtlos scheint, dieser es mit seinem Bewußtseyn beständig begleitet und dieses Bewußtseyn zu erkennen gibt. Jener ist kalt und fühllos bei seinem Objekt, wie die Natur, dieser gibt uns sein Gefühl mit zu genießen. Jener zeigt keine Vertraulichkeit gegen uns, nur das Objekt ist uns verwandt, er selbst entflieht uns; dieser macht, indem er das Objekt darstellt, zugleich auch sich selbst zum Reflex desselben. Ebenso wie in der Poesie selbst mischt sich dieser Gegensatz auch in die Beurtheilung ein; es gehört ebenso zum modernen Charakter, daß ihn in der Regel die Fühllosigkeit des Dichters kalt läßt (das Objekt muß schon durch die Reflexion hindurchgegangen seyn, um auf ihn zu wirken), ja daß ihn das, was eben die höchste Kraft aller Poesie ist, nur das Objekt walten zu lassen, an dem Dichter empört.
Es erhellt schon aus Schillers Abhandlung, daß der Grund- charakter der Modernen im Gegensatz gegen die Alten als der sentimen- tale ausgedrückt werden kann. Daß diese Behauptung aber wenigstens Beschränkung leide, zeigt schon die einzige Ausnahme des Shakespeare, welche auch Schiller macht. Es möchte sich eben auch in dieser Be- ziehung mit Shakespeare verhalten wie in der Beziehung auf den früheren Gegensatz der bewußten und bewußtlosen Seite. Die voll- kommene Indifferenz des Naiven und Sentimentalen selbst wieder (denn ich habe schon bemerkt, daß naiv ja eben auch wieder naiv nur für den sentimentalen Beschauer) hat vielleicht überhaupt kein Neuerer erreicht, also auch Shakespeare nicht. Der Grund, der Ausgangspunkt ist hier immer die Entgegensetzung des Subjekts und Objekts, d. h. das Sentimen- tale, nur im Objekt wieder zur Naivheit reducirt. Ganz unterscheidbar liegen in Ariosto die Elemente des Sentimentalen und Naiven beieinander; man könnte von ihm sagen: er ist auf naive Weise sentimental, anstatt daß Shakespeare innerhalb des Sentimentalen ganz und gar naiv ist.
Für die äußere Erscheinung des Naiven ist noch zu bemerken, daß es sich immer durch Simplicität und Leichtigkeit der Behandlung eben- so sehr als durch strenge Nothwendigkeit auszeichnen wird. Wie das
Dichters darin zuſammenfaſſen, daß bei jenem nur das Objekt waltet, bei dieſem das Subjekt als Subjekt hervortritt, daß jener über ſein Objekt bewußtlos ſcheint, dieſer es mit ſeinem Bewußtſeyn beſtändig begleitet und dieſes Bewußtſeyn zu erkennen gibt. Jener iſt kalt und fühllos bei ſeinem Objekt, wie die Natur, dieſer gibt uns ſein Gefühl mit zu genießen. Jener zeigt keine Vertraulichkeit gegen uns, nur das Objekt iſt uns verwandt, er ſelbſt entflieht uns; dieſer macht, indem er das Objekt darſtellt, zugleich auch ſich ſelbſt zum Reflex deſſelben. Ebenſo wie in der Poeſie ſelbſt miſcht ſich dieſer Gegenſatz auch in die Beurtheilung ein; es gehört ebenſo zum modernen Charakter, daß ihn in der Regel die Fühlloſigkeit des Dichters kalt läßt (das Objekt muß ſchon durch die Reflexion hindurchgegangen ſeyn, um auf ihn zu wirken), ja daß ihn das, was eben die höchſte Kraft aller Poeſie iſt, nur das Objekt walten zu laſſen, an dem Dichter empört.
Es erhellt ſchon aus Schillers Abhandlung, daß der Grund- charakter der Modernen im Gegenſatz gegen die Alten als der ſentimen- tale ausgedrückt werden kann. Daß dieſe Behauptung aber wenigſtens Beſchränkung leide, zeigt ſchon die einzige Ausnahme des Shakeſpeare, welche auch Schiller macht. Es möchte ſich eben auch in dieſer Be- ziehung mit Shakeſpeare verhalten wie in der Beziehung auf den früheren Gegenſatz der bewußten und bewußtloſen Seite. Die voll- kommene Indifferenz des Naiven und Sentimentalen ſelbſt wieder (denn ich habe ſchon bemerkt, daß naiv ja eben auch wieder naiv nur für den ſentimentalen Beſchauer) hat vielleicht überhaupt kein Neuerer erreicht, alſo auch Shakeſpeare nicht. Der Grund, der Ausgangspunkt iſt hier immer die Entgegenſetzung des Subjekts und Objekts, d. h. das Sentimen- tale, nur im Objekt wieder zur Naivheit reducirt. Ganz unterſcheidbar liegen in Arioſto die Elemente des Sentimentalen und Naiven beieinander; man könnte von ihm ſagen: er iſt auf naive Weiſe ſentimental, anſtatt daß Shakeſpeare innerhalb des Sentimentalen ganz und gar naiv iſt.
Für die äußere Erſcheinung des Naiven iſt noch zu bemerken, daß es ſich immer durch Simplicität und Leichtigkeit der Behandlung eben- ſo ſehr als durch ſtrenge Nothwendigkeit auszeichnen wird. Wie das
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Dichters darin zuſammenfaſſen, daß bei jenem nur das Objekt waltet,
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Objekt bewußtlos ſcheint, dieſer es mit ſeinem Bewußtſeyn beſtändig
begleitet und dieſes Bewußtſeyn zu erkennen gibt. Jener iſt kalt und
fühllos bei ſeinem Objekt, wie die Natur, dieſer gibt uns ſein Gefühl
mit zu genießen. Jener zeigt keine Vertraulichkeit gegen uns, nur das
Objekt iſt uns verwandt, er ſelbſt entflieht uns; dieſer macht, indem
er das Objekt darſtellt, zugleich auch ſich ſelbſt zum Reflex deſſelben.
Ebenſo wie in der Poeſie ſelbſt miſcht ſich dieſer Gegenſatz auch in
die Beurtheilung ein; es gehört ebenſo zum modernen Charakter, daß
ihn in der Regel die Fühlloſigkeit des Dichters kalt läßt (das Objekt
muß ſchon durch die Reflexion hindurchgegangen ſeyn, um auf ihn zu
wirken), ja daß ihn das, was eben die höchſte Kraft aller Poeſie iſt,
nur das Objekt walten zu laſſen, an dem Dichter empört.
Es erhellt ſchon aus Schillers Abhandlung, daß der Grund-
charakter der Modernen im Gegenſatz gegen die Alten als der ſentimen-
tale ausgedrückt werden kann. Daß dieſe Behauptung aber wenigſtens
Beſchränkung leide, zeigt ſchon die einzige Ausnahme des Shakeſpeare,
welche auch Schiller macht. Es möchte ſich eben auch in dieſer Be-
ziehung mit Shakeſpeare verhalten wie in der Beziehung auf den
früheren Gegenſatz der bewußten und bewußtloſen Seite. Die voll-
kommene Indifferenz des Naiven und Sentimentalen ſelbſt wieder (denn
ich habe ſchon bemerkt, daß naiv ja eben auch wieder naiv nur für den
ſentimentalen Beſchauer) hat vielleicht überhaupt kein Neuerer erreicht,
alſo auch Shakeſpeare nicht. Der Grund, der Ausgangspunkt iſt hier
immer die Entgegenſetzung des Subjekts und Objekts, d. h. das Sentimen-
tale, nur im Objekt wieder zur Naivheit reducirt. Ganz unterſcheidbar
liegen in Arioſto die Elemente des Sentimentalen und Naiven beieinander;
man könnte von ihm ſagen: er iſt auf naive Weiſe ſentimental, anſtatt
daß Shakeſpeare innerhalb des Sentimentalen ganz und gar naiv iſt.
Für die äußere Erſcheinung des Naiven iſt noch zu bemerken, daß
es ſich immer durch Simplicität und Leichtigkeit der Behandlung eben-
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/148>, abgerufen am 23.11.2024.
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