Schillers Worte 1 zu bedienen) die Unermeßlichkeit der Natur nur an die Schranken seiner Fassungskraft, ebenso wie die furchtbare und mit unmeßbaren Kräften verderbende Natur einzig an seine Ohnmacht erinnern. In der bloß sinnlichen Anschauung würde er sich nun entweder mit Kleinmuth oder Entsetzen von diesem großen Bild der Natur abwenden. Aber nicht so bald erhebt er sich zur ab- soluten Contemplation, kaum steigt ihm das Unendliche einer höheren Anschauung herab in die Fluth dieser Erscheinungen und verbindet sich mit dem Ungeheuren der sinnlichen Anschauung als seiner bloßen Hülle, so fangen die wilden Naturmassen um ihn her an eine ganz andere Anschauung für ihn zu werden, indem ihm das relativ Große außer ihm nur der Spiegel ist, worin er das absolut Große, das Unend- liche an und für sich selbst erblickt. Absichtlich bietet er nun das Ver- mögen, das an sich Unendliche anzuschauen, auf, um das sinnlich- Unendliche ihm als bloße Form zu unterwerfen, und in diesem Unter- liegen des sinnlich-Großen die Ueberlegenheit seiner Ideen über das Höchste, was die Natur aufbieten oder darstellen kann, desto unmittel- barer zu empfinden.
Diese Anschauung des Erhabenen ist ihrer Verwandtschaft mit dem Ideellen und Sittlichen unerachtet eine ästhetische Anschauung, um hier einmal dieses Wort zu gebrauchen. Das Unendliche ist das Herrschende, aber es herrscht doch nur, inwiefern es in dem sinnlich-Unendlichen, das insofern wieder ein Endliches ist, angeschaut wird.
Dieses Anschauen des wahrhaft Unendlichen in dem Unendlichen der Natur ist die Poesie, welche der Mensch allgemein üben kann; denn es ist der Anschauende selbst, dem das relativ Große der Natur zum Erhabenen wird, indem er es zum Symbol des absolut Großen macht.
Die moralische und intellektuelle Schlaffheit, die Weichlichkeit wie die Feigheit der Gesinnung wendet sich von diesen großen Anblicken ab, welche ihr ein furchtbares Bild ihrer eignen Nichtigkeit und
1 Ueber das Erhabene (Taschenausgabe 1847, Bd. 12, S. 292). D. H.
Schillers Worte 1 zu bedienen) die Unermeßlichkeit der Natur nur an die Schranken ſeiner Faſſungskraft, ebenſo wie die furchtbare und mit unmeßbaren Kräften verderbende Natur einzig an ſeine Ohnmacht erinnern. In der bloß ſinnlichen Anſchauung würde er ſich nun entweder mit Kleinmuth oder Entſetzen von dieſem großen Bild der Natur abwenden. Aber nicht ſo bald erhebt er ſich zur ab- ſoluten Contemplation, kaum ſteigt ihm das Unendliche einer höheren Anſchauung herab in die Fluth dieſer Erſcheinungen und verbindet ſich mit dem Ungeheuren der ſinnlichen Anſchauung als ſeiner bloßen Hülle, ſo fangen die wilden Naturmaſſen um ihn her an eine ganz andere Anſchauung für ihn zu werden, indem ihm das relativ Große außer ihm nur der Spiegel iſt, worin er das abſolut Große, das Unend- liche an und für ſich ſelbſt erblickt. Abſichtlich bietet er nun das Ver- mögen, das an ſich Unendliche anzuſchauen, auf, um das ſinnlich- Unendliche ihm als bloße Form zu unterwerfen, und in dieſem Unter- liegen des ſinnlich-Großen die Ueberlegenheit ſeiner Ideen über das Höchſte, was die Natur aufbieten oder darſtellen kann, deſto unmittel- barer zu empfinden.
Dieſe Anſchauung des Erhabenen iſt ihrer Verwandtſchaft mit dem Ideellen und Sittlichen unerachtet eine äſthetiſche Anſchauung, um hier einmal dieſes Wort zu gebrauchen. Das Unendliche iſt das Herrſchende, aber es herrſcht doch nur, inwiefern es in dem ſinnlich-Unendlichen, das inſofern wieder ein Endliches iſt, angeſchaut wird.
Dieſes Anſchauen des wahrhaft Unendlichen in dem Unendlichen der Natur iſt die Poeſie, welche der Menſch allgemein üben kann; denn es iſt der Anſchauende ſelbſt, dem das relativ Große der Natur zum Erhabenen wird, indem er es zum Symbol des abſolut Großen macht.
Die moraliſche und intellektuelle Schlaffheit, die Weichlichkeit wie die Feigheit der Geſinnung wendet ſich von dieſen großen Anblicken ab, welche ihr ein furchtbares Bild ihrer eignen Nichtigkeit und
1 Ueber das Erhabene (Taſchenausgabe 1847, Bd. 12, S. 292). D. H.
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Schillers Worte 1 zu bedienen) die Unermeßlichkeit der Natur nur
an die Schranken ſeiner Faſſungskraft, ebenſo wie die furchtbare
und mit unmeßbaren Kräften verderbende Natur einzig an ſeine
Ohnmacht erinnern. In der bloß ſinnlichen Anſchauung würde er
ſich nun entweder mit Kleinmuth oder Entſetzen von dieſem großen
Bild der Natur abwenden. Aber nicht ſo bald erhebt er ſich zur ab-
ſoluten Contemplation, kaum ſteigt ihm das Unendliche einer höheren
Anſchauung herab in die Fluth dieſer Erſcheinungen und verbindet ſich
mit dem Ungeheuren der ſinnlichen Anſchauung als ſeiner bloßen Hülle,
ſo fangen die wilden Naturmaſſen um ihn her an eine ganz andere
Anſchauung für ihn zu werden, indem ihm das relativ Große außer
ihm nur der Spiegel iſt, worin er das abſolut Große, das Unend-
liche an und für ſich ſelbſt erblickt. Abſichtlich bietet er nun das Ver-
mögen, das an ſich Unendliche anzuſchauen, auf, um das ſinnlich-
Unendliche ihm als bloße Form zu unterwerfen, und in dieſem Unter-
liegen des ſinnlich-Großen die Ueberlegenheit ſeiner Ideen über das
Höchſte, was die Natur aufbieten oder darſtellen kann, deſto unmittel-
barer zu empfinden.
Dieſe Anſchauung des Erhabenen iſt ihrer Verwandtſchaft mit dem
Ideellen und Sittlichen unerachtet eine äſthetiſche Anſchauung, um hier
einmal dieſes Wort zu gebrauchen. Das Unendliche iſt das Herrſchende,
aber es herrſcht doch nur, inwiefern es in dem ſinnlich-Unendlichen,
das inſofern wieder ein Endliches iſt, angeſchaut wird.
Dieſes Anſchauen des wahrhaft Unendlichen in dem Unendlichen
der Natur iſt die Poeſie, welche der Menſch allgemein üben kann;
denn es iſt der Anſchauende ſelbſt, dem das relativ Große der Natur
zum Erhabenen wird, indem er es zum Symbol des abſolut Großen
macht.
Die moraliſche und intellektuelle Schlaffheit, die Weichlichkeit
wie die Feigheit der Geſinnung wendet ſich von dieſen großen Anblicken
ab, welche ihr ein furchtbares Bild ihrer eignen Nichtigkeit und
1 Ueber das Erhabene (Taſchenausgabe 1847, Bd. 12, S. 292). D. H.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/139>, abgerufen am 29.11.2024.
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