Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 63. Dieser ewige Begriff des Menschen in Gott
als der unmittelbaren Ursache seiner Produktionen ist
das, was man Genie,
gleichsam den Genius, das inwohnende
Göttliche des Menschen, nennt. Es ist so zu sagen ein Stück aus
der Absolutheit Gottes. Jeder Künstler kann daher auch nur so viel
produciren, als mit dem ewigen Begriff seines eignen Wesens in Gott
verbunden ist. Je mehr nun in diesem für sich schon das Universum
angeschaut wird, je organischer er ist, je mehr er die Endlichkeit der
Unendlichkeit verknüpft, desto produktiver.

Erläuterungen. 1) Gott producirt aus sich nichts, als worin
wieder sein ganzes Wesen ausgedrückt ist, nichts also, das nicht wieder
producirte, wieder Universum wäre. So verhält es sich in dem An-
sich
. Daß nun aber das Produciren Gottes, d. h. die Idee als
Idee, auch in der erscheinenden Welt hervortrete, dieß hängt von
Bedingungen ab, die in dieser liegen, und die uns insofern als zu-
fällig erscheinen, obgleich, von einem höheren Gesichtspunkt aus be-
trachtet, auch die Erscheinung des Genies immer wieder eine noth-
wendige ist.

2) Das Produciren Gottes ist ein ewiger, d. h. überhaupt kein
Verhältniß zur Zeit habender Akt der Selbstaffirmation, worin eine
reale und ideale Seite. In jener gebiert er seine Unendlichkeit in die
Endlichkeit und ist Natur, in dieser nimmt er die Endlichkeit wieder
zurück in seine Unendlichkeit. Aber eben dieß wird auch in der Idee des
Genies gedacht, daß es nämlich von der einen Seite ebenso als natür-
liches wie von der andern als ideelles Princip gedacht wird. Es ist
demnach die ganze absolute Idee, angeschaut in der Erscheinung oder
Beziehung auf Besonderes. Es ist ein und dasselbe Verhältniß, durch
welches in dem ursprünglichen Erkenntnißakt die Welt an sich, und
durch welches in dem Akt des Genies die Kunstwelt, als dieselbe Welt
an sich nur in der Erscheinung producirt wird. (Das Genie unter-
scheidet sich von allem, was bloß Talent, dadurch, daß dieses eine bloß
empirische Nothwendigkeit, die selbst wieder Zufälligkeit, hat, jenes absolute
Nothwendigkeit. Jedes wahre Kunstwerk ist ein absolut nothwendiges;

§. 63. Dieſer ewige Begriff des Menſchen in Gott
als der unmittelbaren Urſache ſeiner Produktionen iſt
das, was man Genie,
gleichſam den Genius, das inwohnende
Göttliche des Menſchen, nennt. Es iſt ſo zu ſagen ein Stück aus
der Abſolutheit Gottes. Jeder Künſtler kann daher auch nur ſo viel
produciren, als mit dem ewigen Begriff ſeines eignen Weſens in Gott
verbunden iſt. Je mehr nun in dieſem für ſich ſchon das Univerſum
angeſchaut wird, je organiſcher er iſt, je mehr er die Endlichkeit der
Unendlichkeit verknüpft, deſto produktiver.

Erläuterungen. 1) Gott producirt aus ſich nichts, als worin
wieder ſein ganzes Weſen ausgedrückt iſt, nichts alſo, das nicht wieder
producirte, wieder Univerſum wäre. So verhält es ſich in dem An-
ſich
. Daß nun aber das Produciren Gottes, d. h. die Idee als
Idee, auch in der erſcheinenden Welt hervortrete, dieß hängt von
Bedingungen ab, die in dieſer liegen, und die uns inſofern als zu-
fällig erſcheinen, obgleich, von einem höheren Geſichtspunkt aus be-
trachtet, auch die Erſcheinung des Genies immer wieder eine noth-
wendige iſt.

2) Das Produciren Gottes iſt ein ewiger, d. h. überhaupt kein
Verhältniß zur Zeit habender Akt der Selbſtaffirmation, worin eine
reale und ideale Seite. In jener gebiert er ſeine Unendlichkeit in die
Endlichkeit und iſt Natur, in dieſer nimmt er die Endlichkeit wieder
zurück in ſeine Unendlichkeit. Aber eben dieß wird auch in der Idee des
Genies gedacht, daß es nämlich von der einen Seite ebenſo als natür-
liches wie von der andern als ideelles Princip gedacht wird. Es iſt
demnach die ganze abſolute Idee, angeſchaut in der Erſcheinung oder
Beziehung auf Beſonderes. Es iſt ein und daſſelbe Verhältniß, durch
welches in dem urſprünglichen Erkenntnißakt die Welt an ſich, und
durch welches in dem Akt des Genies die Kunſtwelt, als dieſelbe Welt
an ſich nur in der Erſcheinung producirt wird. (Das Genie unter-
ſcheidet ſich von allem, was bloß Talent, dadurch, daß dieſes eine bloß
empiriſche Nothwendigkeit, die ſelbſt wieder Zufälligkeit, hat, jenes abſolute
Nothwendigkeit. Jedes wahre Kunſtwerk iſt ein abſolut nothwendiges;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0136" n="460"/>
            <p>§. 63. <hi rendition="#g">Die&#x017F;er ewige Begriff des Men&#x017F;chen in Gott<lb/>
als der unmittelbaren Ur&#x017F;ache &#x017F;einer Produktionen i&#x017F;t<lb/>
das, was man <hi rendition="#b">Genie,</hi></hi> gleich&#x017F;am den Genius, das inwohnende<lb/>
Göttliche des Men&#x017F;chen, <hi rendition="#g">nennt</hi>. Es i&#x017F;t &#x017F;o zu &#x017F;agen ein Stück aus<lb/>
der Ab&#x017F;olutheit Gottes. Jeder Kün&#x017F;tler kann daher auch nur &#x017F;o viel<lb/>
produciren, als mit dem ewigen Begriff &#x017F;eines eignen We&#x017F;ens in Gott<lb/>
verbunden i&#x017F;t. Je mehr nun in die&#x017F;em für &#x017F;ich &#x017F;chon das Univer&#x017F;um<lb/>
ange&#x017F;chaut wird, je organi&#x017F;cher er i&#x017F;t, je mehr er die Endlichkeit der<lb/>
Unendlichkeit verknüpft, de&#x017F;to produktiver.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Erläuterungen</hi>. 1) Gott producirt aus &#x017F;ich nichts, als worin<lb/>
wieder &#x017F;ein ganzes We&#x017F;en ausgedrückt i&#x017F;t, nichts al&#x017F;o, das nicht wieder<lb/>
producirte, wieder Univer&#x017F;um wäre. So verhält es &#x017F;ich in dem <hi rendition="#g">An-<lb/>
&#x017F;ich</hi>. Daß nun aber das Produciren Gottes, d. h. die Idee als<lb/>
Idee, auch in der er&#x017F;cheinenden Welt hervortrete, dieß hängt von<lb/>
Bedingungen ab, die in die&#x017F;er liegen, und die uns in&#x017F;ofern als zu-<lb/>
fällig er&#x017F;cheinen, obgleich, von einem höheren Ge&#x017F;ichtspunkt aus be-<lb/>
trachtet, auch die Er&#x017F;cheinung des Genies immer wieder eine noth-<lb/>
wendige i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>2) Das Produciren Gottes i&#x017F;t ein ewiger, d. h. überhaupt kein<lb/>
Verhältniß zur Zeit habender Akt der Selb&#x017F;taffirmation, worin eine<lb/>
reale und ideale Seite. In jener gebiert er &#x017F;eine Unendlichkeit in die<lb/>
Endlichkeit und i&#x017F;t <hi rendition="#g">Natur</hi>, in die&#x017F;er nimmt er die Endlichkeit wieder<lb/>
zurück in &#x017F;eine Unendlichkeit. Aber eben dieß wird auch in der Idee des<lb/>
Genies gedacht, daß es nämlich von der einen Seite eben&#x017F;o als natür-<lb/>
liches wie von der andern als ideelles Princip gedacht wird. Es i&#x017F;t<lb/>
demnach die ganze ab&#x017F;olute Idee, ange&#x017F;chaut in der Er&#x017F;cheinung oder<lb/>
Beziehung auf Be&#x017F;onderes. Es i&#x017F;t ein und da&#x017F;&#x017F;elbe Verhältniß, durch<lb/>
welches in dem ur&#x017F;prünglichen Erkenntnißakt die Welt an &#x017F;ich, und<lb/>
durch welches in dem Akt des Genies die Kun&#x017F;twelt, als die&#x017F;elbe Welt<lb/>
an &#x017F;ich nur in der Er&#x017F;cheinung producirt wird. (Das Genie unter-<lb/>
&#x017F;cheidet &#x017F;ich von allem, was bloß Talent, dadurch, daß die&#x017F;es eine bloß<lb/>
empiri&#x017F;che Nothwendigkeit, die &#x017F;elb&#x017F;t wieder Zufälligkeit, hat, jenes ab&#x017F;olute<lb/>
Nothwendigkeit. Jedes wahre Kun&#x017F;twerk i&#x017F;t ein ab&#x017F;olut nothwendiges;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[460/0136] §. 63. Dieſer ewige Begriff des Menſchen in Gott als der unmittelbaren Urſache ſeiner Produktionen iſt das, was man Genie, gleichſam den Genius, das inwohnende Göttliche des Menſchen, nennt. Es iſt ſo zu ſagen ein Stück aus der Abſolutheit Gottes. Jeder Künſtler kann daher auch nur ſo viel produciren, als mit dem ewigen Begriff ſeines eignen Weſens in Gott verbunden iſt. Je mehr nun in dieſem für ſich ſchon das Univerſum angeſchaut wird, je organiſcher er iſt, je mehr er die Endlichkeit der Unendlichkeit verknüpft, deſto produktiver. Erläuterungen. 1) Gott producirt aus ſich nichts, als worin wieder ſein ganzes Weſen ausgedrückt iſt, nichts alſo, das nicht wieder producirte, wieder Univerſum wäre. So verhält es ſich in dem An- ſich. Daß nun aber das Produciren Gottes, d. h. die Idee als Idee, auch in der erſcheinenden Welt hervortrete, dieß hängt von Bedingungen ab, die in dieſer liegen, und die uns inſofern als zu- fällig erſcheinen, obgleich, von einem höheren Geſichtspunkt aus be- trachtet, auch die Erſcheinung des Genies immer wieder eine noth- wendige iſt. 2) Das Produciren Gottes iſt ein ewiger, d. h. überhaupt kein Verhältniß zur Zeit habender Akt der Selbſtaffirmation, worin eine reale und ideale Seite. In jener gebiert er ſeine Unendlichkeit in die Endlichkeit und iſt Natur, in dieſer nimmt er die Endlichkeit wieder zurück in ſeine Unendlichkeit. Aber eben dieß wird auch in der Idee des Genies gedacht, daß es nämlich von der einen Seite ebenſo als natür- liches wie von der andern als ideelles Princip gedacht wird. Es iſt demnach die ganze abſolute Idee, angeſchaut in der Erſcheinung oder Beziehung auf Beſonderes. Es iſt ein und daſſelbe Verhältniß, durch welches in dem urſprünglichen Erkenntnißakt die Welt an ſich, und durch welches in dem Akt des Genies die Kunſtwelt, als dieſelbe Welt an ſich nur in der Erſcheinung producirt wird. (Das Genie unter- ſcheidet ſich von allem, was bloß Talent, dadurch, daß dieſes eine bloß empiriſche Nothwendigkeit, die ſelbſt wieder Zufälligkeit, hat, jenes abſolute Nothwendigkeit. Jedes wahre Kunſtwerk iſt ein abſolut nothwendiges;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/136
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/136>, abgerufen am 01.05.2024.