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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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können, ehe sie von der Natur Besitz ergriffen haben, ehe sie Natur-
götter sind. Man muß der christlichen Bildung nicht die realistische
Mythologie der Griechen aufdringen wollen, man muß vielmehr um-
gekehrt ihre idealistischen Gottheiten in die Natur pflanzen, wie die
Griechen ihre realistischen in die Geschichten. Dieß scheint mir die
letzte Bestimmung aller modernen Poesie zu seyn, so daß auch dieser
Gegensatz, wie jeder andere, nur in der Nichtabsolutheit besteht, jedes
der Entgegengesetzten aber in seiner Absolutheit auch mit dem andern
in Harmonie tritt, und ich verhehle meine Ueberzeugung nicht, daß in
der Naturphilosophie, wie sie sich aus dem idealistischen Princip ge-
bildet hat, die erste ferne Anlage jener künftigen Symbolik und der-
jenigen Mythologie gemacht ist, welche nicht ein Einzelner, sondern die
ganze Zeit geschaffen haben wird.

Nicht wir wollen der idealistischen Bildung ihre Götter durch die
Physik geben. Wir erwarten vielmehr ihre Götter, für die wir,
vielleicht noch ehe sie in jener ganz unabhängig von dieser sich gebildet
haben, die Symbole schon in Bereitschaft haben.

Dieß war der Sinn meiner Meinung, inwiefern ich behauptete,
daß in der höheren speculativen Physik die Möglichkeit einer künftigen
Mythologie und Symbolik zu suchen sey.

Uebrigens muß diese Bestimmung allein der Fügung der Zeit
überlassen werden; denn noch scheint der Punkt der Geschichte, wo sich
ihr Nacheinander in ein Zumal verwandeln wird, unbestimmbar weit
entfernt, und was jetzt möglich ist, nur das schon früher Angegebene
seyn zu können, nämlich daß jede überwiegende Kraft sich aus jedem
Stoff, also auch aus dem der Natur, ihren mythologischen Kreis bil-
den kann, welches doch wiederum nicht ohne eine Synthese der Geschichte
mit der Natur möglich seyn wird. Das Letzte der reine Homeros.

Da die antike Mythologie sich überall auf die Natur bezieht und
eine Symbolik der Natur ist, so muß es uns interessiren zu sehen,
wie in der modernen Mythologie bei ihrem vollkommenen Gegensatz
mit der antiken die Beziehung auf die Natur sich ausdrücken werde.
Im Allgemeinen läßt sich dieß schon aus dem Bisherigen bestimmen.

Schelling, sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 29

können, ehe ſie von der Natur Beſitz ergriffen haben, ehe ſie Natur-
götter ſind. Man muß der chriſtlichen Bildung nicht die realiſtiſche
Mythologie der Griechen aufdringen wollen, man muß vielmehr um-
gekehrt ihre idealiſtiſchen Gottheiten in die Natur pflanzen, wie die
Griechen ihre realiſtiſchen in die Geſchichten. Dieß ſcheint mir die
letzte Beſtimmung aller modernen Poeſie zu ſeyn, ſo daß auch dieſer
Gegenſatz, wie jeder andere, nur in der Nichtabſolutheit beſteht, jedes
der Entgegengeſetzten aber in ſeiner Abſolutheit auch mit dem andern
in Harmonie tritt, und ich verhehle meine Ueberzeugung nicht, daß in
der Naturphiloſophie, wie ſie ſich aus dem idealiſtiſchen Princip ge-
bildet hat, die erſte ferne Anlage jener künftigen Symbolik und der-
jenigen Mythologie gemacht iſt, welche nicht ein Einzelner, ſondern die
ganze Zeit geſchaffen haben wird.

Nicht wir wollen der idealiſtiſchen Bildung ihre Götter durch die
Phyſik geben. Wir erwarten vielmehr ihre Götter, für die wir,
vielleicht noch ehe ſie in jener ganz unabhängig von dieſer ſich gebildet
haben, die Symbole ſchon in Bereitſchaft haben.

Dieß war der Sinn meiner Meinung, inwiefern ich behauptete,
daß in der höheren ſpeculativen Phyſik die Möglichkeit einer künftigen
Mythologie und Symbolik zu ſuchen ſey.

Uebrigens muß dieſe Beſtimmung allein der Fügung der Zeit
überlaſſen werden; denn noch ſcheint der Punkt der Geſchichte, wo ſich
ihr Nacheinander in ein Zumal verwandeln wird, unbeſtimmbar weit
entfernt, und was jetzt möglich iſt, nur das ſchon früher Angegebene
ſeyn zu können, nämlich daß jede überwiegende Kraft ſich aus jedem
Stoff, alſo auch aus dem der Natur, ihren mythologiſchen Kreis bil-
den kann, welches doch wiederum nicht ohne eine Syntheſe der Geſchichte
mit der Natur möglich ſeyn wird. Das Letzte der reine Homeros.

Da die antike Mythologie ſich überall auf die Natur bezieht und
eine Symbolik der Natur iſt, ſo muß es uns intereſſiren zu ſehen,
wie in der modernen Mythologie bei ihrem vollkommenen Gegenſatz
mit der antiken die Beziehung auf die Natur ſich ausdrücken werde.
Im Allgemeinen läßt ſich dieß ſchon aus dem Bisherigen beſtimmen.

Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 29
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[449/0125] können, ehe ſie von der Natur Beſitz ergriffen haben, ehe ſie Natur- götter ſind. Man muß der chriſtlichen Bildung nicht die realiſtiſche Mythologie der Griechen aufdringen wollen, man muß vielmehr um- gekehrt ihre idealiſtiſchen Gottheiten in die Natur pflanzen, wie die Griechen ihre realiſtiſchen in die Geſchichten. Dieß ſcheint mir die letzte Beſtimmung aller modernen Poeſie zu ſeyn, ſo daß auch dieſer Gegenſatz, wie jeder andere, nur in der Nichtabſolutheit beſteht, jedes der Entgegengeſetzten aber in ſeiner Abſolutheit auch mit dem andern in Harmonie tritt, und ich verhehle meine Ueberzeugung nicht, daß in der Naturphiloſophie, wie ſie ſich aus dem idealiſtiſchen Princip ge- bildet hat, die erſte ferne Anlage jener künftigen Symbolik und der- jenigen Mythologie gemacht iſt, welche nicht ein Einzelner, ſondern die ganze Zeit geſchaffen haben wird. Nicht wir wollen der idealiſtiſchen Bildung ihre Götter durch die Phyſik geben. Wir erwarten vielmehr ihre Götter, für die wir, vielleicht noch ehe ſie in jener ganz unabhängig von dieſer ſich gebildet haben, die Symbole ſchon in Bereitſchaft haben. Dieß war der Sinn meiner Meinung, inwiefern ich behauptete, daß in der höheren ſpeculativen Phyſik die Möglichkeit einer künftigen Mythologie und Symbolik zu ſuchen ſey. Uebrigens muß dieſe Beſtimmung allein der Fügung der Zeit überlaſſen werden; denn noch ſcheint der Punkt der Geſchichte, wo ſich ihr Nacheinander in ein Zumal verwandeln wird, unbeſtimmbar weit entfernt, und was jetzt möglich iſt, nur das ſchon früher Angegebene ſeyn zu können, nämlich daß jede überwiegende Kraft ſich aus jedem Stoff, alſo auch aus dem der Natur, ihren mythologiſchen Kreis bil- den kann, welches doch wiederum nicht ohne eine Syntheſe der Geſchichte mit der Natur möglich ſeyn wird. Das Letzte der reine Homeros. Da die antike Mythologie ſich überall auf die Natur bezieht und eine Symbolik der Natur iſt, ſo muß es uns intereſſiren zu ſehen, wie in der modernen Mythologie bei ihrem vollkommenen Gegenſatz mit der antiken die Beziehung auf die Natur ſich ausdrücken werde. Im Allgemeinen läßt ſich dieß ſchon aus dem Bisherigen beſtimmen. Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 29

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/125>, abgerufen am 26.11.2024.